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Wirtschaftsumfeld | Ukraine | Verhandlungspraxis

Kultureller Hintergrund

Die lange Fremdherrschaft und Tragödien des 20. Jahrhunderts wirken in der Ukraine nach. Zugleich sind die Menschen Meister in Krisenbewältigung, Improvisation und Kreativität.

Von Fabian Nemitz | Kiew

In ihrer Geschichte stand die Ukraine lange Zeit unter der Herrschaft und dem Einfluss dreier großer Nachbarn: dem russischen Reich, der polnisch-litauischen Rzeczpospolita und der Krimtataren beziehungsweise des Osmanischen Reiches.

In den Jahrhunderten der Fremdbestimmung wurden die ukrainische Sprache und Kultur häufig an den Rand gedrängt, während sich die Eliten auf die polnischen und russischen Metropolen ausrichteten. Seit 1991 ist die Ukraine wieder ein unabhängiger Staat. Im Zuge der Orangen Revolution (2004) und des Euromaidan (2013/14) hat sich die Mehrheit des Volks für einen Westkurs ausgesprochen. Der Preis für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ist hoch, wie der Konflikt mit Russland zeigt. Gleichzeitig schweißt er aber auch zusammen.

Mehr Verständnis von Deutschland erwünscht

Im 20. Jahrhundert durchlebte die Ukraine schwere Tragödien. In den Hungersnöten der 1930er Jahre verloren mehrere Millionen Menschen das Leben. Die Menschen bewerten den Holodomor als von der Sowjetunion gezielt ausgelöste Hungersnot, um die Unabhängigkeitsbewegung zu brechen.

Im Zweiten Weltkrieg war das Land ein Hauptschauplatz mit bis zu 8 Millionen Toten. Von Deutschland mit seiner starken Ausrichtung der Erinnerungskultur auf Russland wünschen sich die Regierung und Gesellschaft dabei mehr Verständnis und Verantwortung.

Trotzdem gehört Deutschland heute zu den beliebtesten Ländern in der Ukraine und ist ein wichtiger Partner. Auf Kritik und Enttäuschung stößt seit 2015 aber das Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2. Die Ukraine sieht darin ein rein geopolitisch motiviertes Projekt des Kreml und eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.

Punkten können ausländische Unternehmer, wenn sie sich für das Land, seine Kultur und Geschichte interessieren und auf die schönen Seiten der Ukraine und ihre Erfolge in einem schwierigen Umfeld hinweisen. Eine Tradition, der sich auch viele ausländische Unternehmer anschließen, ist beispielsweise das Tragen von Hemden mit traditionellen Stickmustern am 17. Mai, dem sogenannten Wyschywanka-Tag.

Ein erhobener Zeigefinger und Besserwisserei sind nicht angebracht. Vorsicht geboten ist bei von Russland verbreiteten Narrativen, darunter über den angeblich weit verbreiteten Nationalismus und Darstellungen der Ukraine als gescheiterter Staat.

Fallstricke im Geschäftsklima beachten

Das Geschäftsklima in der Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Fallstricke bestehen jedoch weiterhin. Vor dem Hintergrund der historischen Tragödien und der schweren Wirtschaftskrisen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist das Denken im Wirtschaftsleben häufig immer noch kurzfristig orientiert. Korruption, Schattenwirtschaft und mangelnder Schutz von Eigentumsrechten gelten als problematisch. Das Vertrauen in staatliche Institutionen und Verträge ist vergleichsweise gering. Persönliche Kontakte sind daher eine wichtige Stütze. Die Bedeutung von Netzwerken und persönlicher Loyalität ist wesentlich größer als in Deutschland.

In den Wirren der 1990er Jahre entstand eine kleine Schicht von Oligarchen, die große Teile der Wirtschaft dominieren und starken Einfluss auf die Politik ausüben. Das Denken ist in vielen Unternehmen immer noch hierarchisch geprägt. Die Entscheidungsbefugnis liegt häufig bei der Unternehmensspitze. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen kaum an Entscheidungsprozessen teil. Sie arbeiten häufig nicht selbständig, sondern erfüllen die Anweisungen der Vorgesetzten. Eigenverantwortung und -initiative sind demzufolge wenig ausgeprägt.

Daneben gibt es aber eine wachsende Zahl junger Unternehmer, die einen modernen, westlich geprägten Manangementstil leben. Dies gilt für die blühende IT- und Startup-Szene, aber auch für die Arbeit in internationalen Firmen. Im Vergleich zur deutschen Geschäftskultur sind Multitasking und Improvisation weiter verbreitet.

Unterschiede zwischen den Regionen

Der Großteil der ukrainischen Bevölkerung ist zweisprachig (Ukrainisch, Russisch). Während in den großen Städten der Ost- und Südukraine wie Charkiw, Dnipro und Odessa das Russische dominiert, überwiegt in der Westukraine und ländlichen Gebieten das Ukrainische beziehungsweise die Mischsprache Surschyk.

Auch bei den regionalen Mentalitäten gibt es Unterschiede - mit stärkeren mitteleuropäischen Einflussen und einer größeren Befürwortung der Westintegration in den zentralen und westlichen Landesteilen. Gleichwohl spricht sich heute eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für einen Beitritt zur Europäischen Union (EU) und dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis NATO aus. Es gibt jedoch keine anti-russische Mehrheit. Die kulturellen und familiären Beziehungen zum Nachbarland leiden unter dem Konflikt mit Russland, sind aber immer noch stark.

Rollenbilder und Religion

Das Rollenbild von Frau und Mann ist traditioneller geprägt als in Deutschland. Für ukrainische Frauen ist es selbstverständlich, Karriere und Familienleben miteinander zu vereinbaren. Der Kleidungsstil ukrainischer Geschäftsfrauen ist häufig femininer  als bei deutschen Kolleginnen. Männer orientieren sich an westlichen Standards.

Wie in den meisten postsowjetischen Ländern ist Händeschütteln mit Frauen unüblich. Im Geschäftsleben ändert sich dies jedoch langsam. Männer warten am besten ab, ob ihnen die Dame die Hand reicht. Ansonsten erfolgt die Begrüßung verbal und durch Kopfnicken.

Viele Unternehmer senden ihren Geschäftspartnern Grußkarten zu Neujahr. Wichtig ist auch der 8. März, der Internationale Frauentag. Vermeiden sollte man Pfeifen im Haus und das Reichen der Hand oder Übergeben von Gegenständen über eine Türschwelle.

Die meisten Ukrainer sind orthodoxen Glaubens. In der Westukraine bekennen sich viele Menschen zur griechisch-katholischen und zur römisch-katholischen Kirche. Für Weihnachten gibt es zwei gesetzliche Feiertage, den 25. Dezember und den 7. Januar.

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