Markets International 05/23 I Ukraine I Wirtschaftsumfeld
Bayer sieht in der Ukraine mehr Chancen als Risiken
Oliver Gierlichs leitet das Geschäft des deutschen Life Sciences-Konzerns Bayer in der Ukraine. Bayer produziert im Land vor allem Saatgut und will sein Engagement ausbauen.
Von Gerit Schulze | Prag
Herr Gierlichs, warum hat sich Bayer mitten im Krieg dafür entschieden, das Saatgutwerk Pochuiky zu erweitern?
Das war in erster Linie eine Geschäftsentscheidung. Die Ukraine ist ein sehr attraktiver Markt für die Landwirtschaft. Zugleich zeigen wir damit, dass wir in dieser schweren Zeit an der Seite unserer Mitarbeiter, Kunden und des ukrainischen Volkes stehen. Solche Investitionen und der Wiederaufbau der Wirtschaft können nicht warten, bis der Krieg vorbei ist. Dies kommt nicht nur der Ukraine zugute, es trägt auch weit über die Ukraine hinaus zur Ernährung der Menschen bei. Unsere wirtschaftlichen Aktivitäten im Land flankieren wir mit humanitärem Engagement, das Sach- und Geldspenden im zweistelligen Millionenbereich umfasst.
Der Standort befindet sich unweit von Kiew, wo regelmäßig Drohnen- und Raketenangriffe stattfinden. Wie sorgen Sie für die Sicherheit der Beschäftigten in dem Werk?
Teil der Investitionen ist auch der Bau zweier neuer Luftschutzbunker, die unsere provisorischen Installationen ersetzen werden. Wir stellen sicher, dass Schutzeinrichtungen von überall auf dem Gelände schnell erreichbar sind. Darüber hinaus haben wir die Arbeitszeiten flexibler gestaltet, so dass die Kollegen in Phasen verstärkter kriegerischer Handlungen nicht arbeiten, sondern Schutz suchen können. Wir haben die Versicherung unserer Mitarbeiter um Kriegsrisiken erweitert und, wo nötig, bei Umzügen in andere Landesteile oder ins Ausland Unterstützung geleistet. Zu Beginn des Krieges standen russische Truppen in der Nähe des Werkes, als gleichzeitig die Hochsaison für Saatgutlieferungen war. Da sind die Mitarbeiter ausschließlich auf freiwilliger Basis zur Arbeit gekommen.
Wie hat sich die Zahlungsmoral der ukrainischen Kunden in Kriegszeiten geändert? Sind längere Zahlungsziele nötig und haben Sie häufiger Zahlungsausfälle?
Der Krieg hat große Herausforderungen für alle Marktteilnehmer mit sich gebracht. Mit vielen unserer Kunden unterhalten wir langjährige Beziehungen und wir wollen, dass das so bleibt. Daher finden wir Lösungen, die für alle Seiten akzeptabel sind.
Was würden Sie anderen deutschen Unternehmen empfehlen: Warum lohnt sich ein Engagement in der Ukraine ausgerechnet jetzt in diesen gefährlichen Zeiten?
Die Mentalität, Tatkraft und Resilienz der Menschen hier hat mich schon vor dem Krieg beeindruckt und tut es jetzt umso mehr. Das Land hat die Chance, nach dem Krieg zu prosperieren. Wir wollen gemeinsam mit den Ukrainerinnen und Ukrainern unseren Teil dazu beitragen, dass dies gelingt. Hinzu kommt, dass diese Investments sehr deutlich wahrgenommen werden und neben den wirtschaftlichen Chancen auch das Image der Firma sehr positiv beeinflusst wird.
Was sollten die Unternehmen dabei besonders beachten?
Natürlich sollten alle üblichen Punkte einer Investition geprüft werden. Darüber hinaus gibt es Bereiche, die durch das derzeit verhängte Kriegsrecht beeinflusst sind. Dazu zählen Besonderheiten bei der Vertragsgestaltung und die Regeln zur höheren Gewalt. Wechselkurse sind derzeit durch die ukrainische Zentralbank festgelegt. Sie sind aber seit letztem Sommer unverändert geblieben. Auch hinsichtlich des Imports von Investitionsgütern gilt es aktuell einige Regeln zu befolgen. Positiv zu nennen sind aber auch die Investitionsanreize, die die ukrainische Regierung anbietet. Die staatliche Agentur UkraineInvest kann dazu Auskünfte geben. Außerdem gibt es mittlerweile Versicherungen, die eventuelle Kriegsschäden abdecken, und eine Vielzahl von Finanzierungsmöglichkeiten über staatliche und private Institutionen. Unter dem Strich sehen wir mehr Chancen als Risiken für Investitionen in der Ukraine.
LESETIPP: Lesen Sie den ausführlichen Artikel "Farbe bekennen" zum Wiederaufbau in der Ukraine in der aktuellen Ausgabe der Markets International. |