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Ukraine startet neue Privatisierungsrunde
Mitten im Krieg will sich die Ukraine von Staatsbetrieben trennen. Damit sollen das Wirtschaftsleben in Gang gebracht werden und marode Unternehmen eine zweite Chance bekommen.
31.08.2022
Von Gerit Schulze | Berlin
Die Ukraine wagt inmitten des russischen Angriffskrieges eine neue Privatisierungsrunde. Ab 1. September 2022 sollen vor allem kleinere Staatsbetriebe verkauft werden. Die Regierung hofft, dass die Privatisierung Investitionen anlockt, das Wirtschaftswachstum belebt und die Unternehmen wettbewerbsfähiger macht. Im Land bestehe eine große Bereitschaft, in ehemalige Staatsbetriebe zu investieren, wenn die Eigentumsrechte des Investors gesichert und garantiert seien, schreibt das Wirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung.
Rund 1.000 Objekte stehen zum Verkauf
Eine im Juli 2022 vom Fonds für Staatseigentum veröffentlichte Liste enthält 1.089 Objekte, die zum Verkauf anstehen. Darunter sind auch einfache Vermögenswerte wie Fahrzeuge, Baracken oder Garagen. Außerdem stehen 57 soziale und kulturelle Einrichtungen wie Sportstätten oder Ferienlager in dem Verzeichnis.
In einer ersten Runde will sich der Staat von 420 Unternehmen trennen. Dazu gehören 354 Staatsbetriebe, die liquidiert oder umstrukturiert werden müssen. Es handelt sich dabei meist um Rechtshüllen, hinter denen keine überlebensfähigen Unternehmen stecken.
Konkret zum Verkauf stehen zunächst 66 Unternehmen wie Brotfabriken und Schnapsbrennereien, deren Produktion zum Teil stillsteht. Eine Privatisierung solle helfen, die Getreidelager im Land zu leeren, um dort Platz für die neue Ernte zu schaffen, sagte die Chefin des Privatisierungsfonds Olha Batowa. Die betreffenden Betriebe liegen in der Regel in westlichen Landesteilen, wo keine Kampfhandlungen stattfinden.
Der Fonds für Staateigentum erwartet bis Jahresende Privatisierungserlöse von bis zu 1 Milliarde Hrywnja (27,4 Millionen Euro, Wechselkurs der Nationalbank am 26. August 2022: 1 Euro = 36,48 Hrywnja).
Neues Gesetz erleichtert Privatisierungsprozess
Am 28. Juli 2022 hatte die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, das Gesetz Nummer 7451 verabschiedet, das den Privatisierungsprozess erheblich beschleunigen soll. Wichtigstes Instrument dafür sind elektronische Auktionen über die Webplattform Prozorro.Sale.
"Diese Plattform wird seit langem genutzt und schützt wirksam die Interessen der Auktionsparteien", erklärt Rechtsanwalt Igor Dykunskyy, Partner bei der Kiewer Kanzlei DLF attorneys-at-law. Laut dem Juristen sind die Auktionsverfahren transparent und durch die ukrainischen Gesetze gut geregelt.
Quellen: Wirtschaftsministerium der Ukraine 2022, GMK Center 2022 |
Auch deutsche Unternehmen können bei der anstehenden Privatisierungsrunde mitbieten und so den Einstieg in den ukrainischen Markt wagen. Dabei müssen sie aber bestimmte Anforderungen erfüllen, betont Rechtsanwalt Dykunskyy: "Sie dürfen beispielsweise nicht mit russischen oder sanktionierten Unternehmen verbunden sein und nicht in Offshore-Finanzplätzen registriert werden. Ihre wirtschaftlichen Endbegünstigten müssen identifizierbar sein."
Besitzerwechsel auch bei Altschulden möglich
Der Jurist weist darauf hin, dass für die Teilnahme an den Auktionen Registrierungsgebühren und eine Garantieleistung in Höhe von 20 Prozent des Startpreises zu zahlen sind. Außerdem sind Gefahren durch mögliche Altlasten zu berücksichtigen, wobei die neuen Gesetzesregelungen den Käufer besser schützen. "So kann das Vermögen von kleineren Staatsbetrieben auch dann verkauft werden, wenn es beschlagnahmt worden ist", erklärt Rechtsexperte Dykunskyy. "Die Schuldverpflichtungen bleiben für den neuen Eigentümer zwar erhalten, jedoch ist die Zwangsvollstreckung für diese Schulden für ein Jahr lang ausgesetzt."
Laut dem Fonds für Staateigentum gibt es in der Ukraine rund 3.700 staatliche Unternehmen. Davon muss ein Drittel liquidiert werden, weil die Betriebe über keine Vermögenswerte mehr verfügen. Weitere 585 Unternehmen befinden sich in den von Russland okkupierten Gebieten auf der Krim und im Donbass.
Bislang galten 300 Unternehmen als strategisch so wichtig, dass sie für eine Privatisierung nicht in Betracht kommen. Dazu gehören die ukrainische Post Ukrposhta, die Bahngesellschaft Ukrzaliznytsia und der internationale Flughafen Boryspil bei Kiew. Doch eine neue Gesetzesinitiative sieht vor, dass der der ukrainische Staat nur noch rund 100 Unternehmen in seinem Besitz behält. Das wären besonders Betriebe der Rüstungsindustrie und des Maschinenbaus, der Energiewirtschaft und der kritischen Infrastruktur. Andere Aktiva, wie Hersteller von Rehabilitationsgeräten für Menschen mit Behinderungen, könnten dagegen in Zukunft private Eigentümer bekommen.
Staatsbetriebe arbeiten häufig ineffizient
Nach dem russischen Einmarsch im Februar 2022 wurde die Privatisierung zunächst gestoppt, da Notare und Handelsregister nicht arbeiteten und die Antimonopolbehörde keine Genehmigungen ausstellte. Inzwischen funktionieren die Institutionen wieder.
Mit der neuen Privatisierungsinitiative reagiert Kiew auch auf die Kritik aus der Wirtschaft. Unter anderem verweist der Industrieverband USPP auf die geringe Effizienz der Staatsbetriebe, auf ausbleibende Investitionen und fehlende Kundenorientierung. Laut USPP erzielte 2021 nur jedes vierte Unternehmen in Staatsbesitz Gewinne.
Die Regierung will die anstehende Privatisierungsrunde mit einem Förderprogramm begleiten, um die neuen Eigentümer beim Geschäftsaufbau zu unterstützen. Diese müssen sich dann verpflichten, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen.
In der Vergangenheit war die Privatisierung von ukrainischen Staatsbetrieben in der Regel weit hinter den Plänen zurückgeblieben. Seit 2020 stiegen die Erlöse wieder deutlich an und erreichten 2021 mit 5,1 Milliarden Hrywnja (158 Millionen Euro) einen Höchststand. Nach Angaben des staatlichen Vermögensfonds hatten sich im Vorjahr mehr Bieter an den Auktionen beteiligt und damit die Verkaufspreise nach oben getrieben. Ob sich dieser Trend angesichts des russischen Angriffskrieges fortsetzen lässt, ist fraglich.
Jahr | Einnahmen in Mio. Hrywnja | Einnahmen in Mio. Euro |
---|---|---|
2015 | 150 | 6,2 |
2016 | 190 | 6,7 |
2017 | 3.380 | 112,7 |
2018 | 270 | 8,4 |
2019 | 550 | 19,0 |
2020 | 2.250 | 73,1 |
2021 | 5.100 | 157,9 |