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Branche kompakt | Ungarn | Medizintechnik

Markttrends

Behandlungskapazitäten im öffentlichen Gesundheitswesen werden abgebaut. Immer mehr Ungarn vertrauen auf kommerzielle Leistungserbringer, der private Gesundheitsmarkt wächst. 

Von Kirsten Grieß | Budapest

Um die Gesundheit der Ungarn ist es vergleichsweise schlecht bestellt: 2022 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung laut OECD-Daten 76,2 Jahre. Das ist der fünftletzte Platz innerhalb der EU. Ungarns Bevölkerung wird immer älter und ist häufiger krank. Beim Anteil vermeidbarer Todesursachen belegte Ungarn 2022 im EU-Vergleich den 3. Platz.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Gesundheitsausgaben nur sehr moderat wachsen und der Anteil der Ausgaben am ungarischen Bruttoinlandsprodukt seit Jahren schrumpft. Zuletzt lagen sie 2022 bei 6,7 Prozent. Ungarn ist damit eines der Schlusslichter innerhalb der EU.

6,7 %

betrug 2022 der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP.

Öffentliche Einrichtungen sind schlecht ausgestattet 

Die öffentlichen Krankenhäuser sind seit Jahren in Zahlungsnot und häufen hohe Schulden an. Bis zu zweimal im Jahr werden diese durch Sonderzahlungen aus dem laufenden Staatshaushalt beglichen. Dabei wächst die jährliche Schuldenlast kontinuierlich und erreichte im März 2024 umgerechnet bereits 300 Millionen Euro. Schon vor Jahresmitte sah sich die Regierung zu einem Ausgleich gezwungen. 

Hersteller und Lieferanten klagen über verspätete Zahlungen öffentlicher Gesundheitseinrichtungen. Werden die Rechnungen endlich beglichen, dann meist ohne Aufschläge oder Verzugszinsen. Marktteilnehmer tragen durch die Verschuldung der Krankenhäuser höhere Kosten und Risiken. Aufgeschoben werden von den Einrichtungen auch Investitionen in medizintechnische Ausrüstung. Nicht selten kommt es zu Schließungen ganzer Stationen. Mehr als jede zehnte Schließung ist laut Ärzteverband auf mangelhafte Ausstattung zurückzuführen. 

Der Gerätebestand der Krankenhäuser ist in keinem guten Zustand. Die jüngste Branchenanalyse von BMI verortet in Ungarn die EU-weit geringste Anzahl an Magnetresonanztomografen (MRT) pro Einwohner, viele der eingesetzten Geräte sind älter als von Regulierungsbehörden empfohlen. Ähnliches gilt für Computertomografen (CT) und Röntgenapparate. 

Hälfte der Ungarn zahlt für Gesundheitsleistungen zu

Den öffentlichen Krankenhäusern fehlen zunehmend Kapazitäten, um eine flächendeckende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Für Facharzttermine, spezielle Diagnoseverfahren und operative Eingriffe gibt es lange Wartezeiten. Das führt zu einer steigenden Nachfrage nach privaten Leistungen mit entsprechenden Zuzahlungen. Laut Branchenkennern sind es nicht mehr nur Top-Verdiener, sondern rund 50 Prozent der Ungarn, die heute Gesundheitsleistungen aus eigener Tasche zahlen. Am gefragtesten sind Labortests, bildgebende Diagnoseverfahren, Dentalleistungen sowie fachärztliche Konsultationen und Eingriffe. 

Das generiert Wachstum im privaten Sektor. Nach Berechnungen des Wirtschaftsmagazins Portfolio ist der private Gesundheitsmarkt in Ungarn zwischen 2020 und 2023 um 2,5 Prozent angewachsen. Der Umsatz der 30 größten privaten Gesundheitsdienstleister lag 2023 bei umgerechnet 430 Millionen Euro. Für Aufsehen sorgte unlängst, dass inzwischen auch stiftungsbetriebene Universitätskliniken private Abteilungen einrichten. Die Preise für die Gesundheitsleistungen variieren unter den Anbietern stark, werden aber in der Regel transparent auf den jeweiligen Internetseiten kommuniziert. 

Zahnärzte spezialisieren sich auf Medizintouristen

In einzelnen Fachgebieten wird Ungarn als Destination für Medizintouristen immer beliebter. Der Standort punktet mit wettbewerbsfähigen Preisen. Medizintouristen kombinieren Wellnessangebote etwa in den Budapester Thermalbädern häufig mit weiteren medizinischen Behandlungen, die in aller Regel von privaten Anbietern erbracht werden. Für den Zahntourismus zählt Ungarn schon lange als Top-Reiseziel. Die Zahnarztdichte ist hoch, viele Praxen haben sich auf die Behandlung ausländischer Patienten spezialisiert. Die ungarische Regierung fördert das Segment, indem sie Studienkosten von Zahnmedizinern bezuschusst. Kosmetische und orthopädische Behandlungen werden ebenfalls stark nachgefragt. Bis 2030 rechnen Analysten der Infinium Research Group mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum des Medizintourismusmarktes von knapp 15 Prozent.

Die Digitalisierung schreitet nur langsam voran

Ungarns Universitätskliniken und private Gesundheitseinrichtungen verfügen über einige Vorzeigeprojekte bei der Anwendung digitaler Gesundheitslösungen und KI-basierter Systeme. An einzelnen Einrichtungen wird mit robotergestützten Chirurgiesystemen experimentiert. Das erste Zentrum für orthopädische Roboterchirurgie wird Ende August 2024 im Emineo Private Hospital eröffnen. Dort kommt der vom US-Unternehmen Zimmer Biomet entwickelte Operationsroboter ROSA zum Einsatz. Der Direktor des ungarischen Medizintechnikverbands (ETOSZ), Tamas Rádai, sieht darin aber noch keinen Trend. Im Vergleich zu anderen Ländern stehe Ungarn bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems noch ganz am Anfang. 

Was den Erfolg telemedizinischer Dienste angeht, ist der Verbandschef ebenfalls skeptisch. Während der Coronapandemie schuf die ungarische Regierung 2020 zwar einen festen rechtlichen Rahmen für Telemedizin. Dazu gehört auch, dass entsprechende Leistungen erstattungsfähig sind. Die Akzeptanz bei Patienten sei jedoch deutlich geringer als zunächst erwartet. Rádai schätzt, dass nach wie vor etwa 90 Prozent der Arztkonsultationen in Präsenz stattfinden. Aktuell existiert nur ein überschaubarer Markt für kostenpflichtige Teleleistungen. Seit 2006 ist der US-amerikanische Anbieter Teladoc in Ungarn aktiv. Gemeinsam mit Teladoc lancierte die ungarische Telekom-Tochter Ende Juli 2024 einen Telekom Healthcare Service. 

EU fördert Digitalisierungsprojekte 

Der ungarische Plan für den EU-Wiederaufbaufonds sieht rund 480 Millionen Euro für Maßnahmen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens und digitale Unterstützung in der Pflege vor. Schwerpunkte setzt die Regierung im Bereich Datenverarbeitung und Datensicherheit, beim Ausbau der Telemedizin und bei innovativen E-Health-Diensten. Kürzlich veröffentlicht wurde eine Ausschreibung über 330 Millionen Euro zum Ausbau digitaler Angebote für Krankenhäuser und Rettungsdienste.

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