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Digital Health
Der Staat ist bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht so schnell voran gekommen wie geplant. Es gibt aber viele Fortschritte, flankiert von privaten Initiativen.
14.01.2025
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Die vietnamesische Regierung hat sich die umfassende Digitalisierung des Gesundheitssektors zum Ziel gesetzt. Die Voraussetzungen aus Patientensicht sind gut: Im Oktober 2024 waren 82 Prozent der Haushalte an Glasfaserkabel angebunden und knapp 90 Prozent der Bevölkerung nutzte Smartphones. Gleichzeitig sind Datenschutzbedenken gering. Auf Seiten der Kliniken ist die Infrastruktur noch im Aufbau.
Die Digitalisierungsstrategie 4888 vom Oktober 2019 gibt den Fahrplan vor. Sie definiert in der Gesundheitsvorsorge eine Reihe von Digitalisierungszielen. So müssen alle Einrichtungen Softwaresysteme einsetzen, sukzessive elektronische Patientenakten und elektronische Zahlungsmöglichkeiten einführen und jährlich ihren Digitalisierungsfortschritt melden. Das Gesundheitsministerium vergibt ID-Nummern an Patienten, damit sie softwareseitig erfasst werden können. Öffentliche Krankenhäuser sollen Informationskioske einrichten, wo Patienten ihre Informationen einsehen und Termine machen können. Gleichzeitig werden KI-Anwendungen ausgerollt, um etwa bei der Diagnose zu helfen.
Nach Informationen des Gesundheitsministeriums mit Stand Mitte Dezember 2024 nutzten alle Gesundheitseinrichtungen landesweit Krankenhaus-Management-Software (hospital information systems) und 99,5 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser hatten ihre Systeme für die Abrechnung von Behandlungskosten mit der Sozialversicherung verbunden. Ganze 46,5 Prozent hatten eine Online-Terminvergabe eingerichtet und 71 Prozent akzeptieren elektronische Zahlungen. Alle Krankenhäuser, mit wenigen Ausnahmen in ländlichen Gegenden, nutzen elektronische Rezepte. Etwa 32 Millionen Menschen verfügen über eine Gesundheits-ID-Nummer.
Einführung elektronischer Patientenakten kommt nur langsam voran
Wo allerdings noch ein größerer Abstand zu den Zielvorgaben der Strategie besteht, ist bei den elektronischen Patientenakten. Insgesamt hatten bis Mitte Dezember 2024 nur 112 Einrichtungen diese eingeführt, davon nur 29 sogenannte "Grade 1 Hospitals". Das sind Groß- oder Spezialkliniken, die dem Zentralstaat direkt unterstehen. Die Strategie hatte hier ein Ziel von 135 Grade-1-Krankenhäusern bis Ende 2023 vorgegeben. Mit einem der größten Krankenhäuser des Landes, Bạch Mai, hat im November 2024 eine erste zentrale Spezialklinik elektronische Patientenakten eingeführt.
Nach Presseberichten sind einige Softwaresysteme aber nicht nachhaltig umgesetzt worden und fallen dann wieder aus, da es den Kliniken an Know-how, IT-Kräften und Mitteln fehlt. Vor allem die Finanzierung gilt als großes Hindernis in vielen Kliniken. So gibt es kein zusätzliches Budget für Digitalisierungsprojekte, sondern die Investitionen müssen aus dem IT-Budget bestritten werden. Gleiches gilt für die Instandhaltung und Pflege der Systeme. Kliniken beklagen auch, dass es von der Sozialversicherung keine Vergütung für die elektronische Erfassung gibt, während etwa die eingesparten Kosten für Bildausdrucke einfach abgezogen werden.
Kliniken nutzen noch viele verschiedene Softwarepakete. Das Nationale Zentrum für Gesundheitsinformationen propagiert inzwischen Open-Source-Software für das Krankenhausmanagement, um Lizenzgebühren zu sparen. Das lokal angepasste Angebot an Softwarelösungen hat sich aber stark entwickelt. Immer stärker werden Softwarepakete der staatlichen Telekommunikationsfirmen VNPT (VHIS) und Viettel (Viettel-HIS) sowie eHospital der privaten Softwarefirma FPT eingesetzt.
Staatliche Gesundheitsdatenbank soll 2027 starten
Die Umsetzung geht weiter. Bis Ende 2028 sollen alle Gesundheitseinrichtungen elektronische Gesundheitsakten nutzen. Laut Strategie gibt es nur bei sehr triftigen Begründungen einen Aufschub bis Anfang 2030. Werden die elektronischen Daten derzeit noch auf dem Niveau der Krankenhäuser gespeichert, sollen sie künftig zentral zusammengeführt werden.
Die Regierung hat im November 2024 die verschiedenen Datenquellen definiert, die in eine staatliche Gesundheitsdatenbank einfließen sollen. Sie soll Anfang 2027 einsatzbereit sein. Dabei geht es um alle sektorrelevanten Daten: Krankheitsinzidenz, Todesfälle und -ursachen, administrative Daten der Kliniken, Kosten, etc. Manche Informationen sollen auch privaten Firmen zur Verfügung gestellt werden können, für die Entwicklung etwa von KI-Lösungen.
Telemedizin entwickelt sich gut
Die Telemedizin hat auch in Vietnam durch die Coronakrise einen Schub erhalten. Das Ministerium für Information und Kommunikation und das Gesundheitsministerium hatten in Kooperation mit dem größten Telekommunikationsanbieter des Landes, Viettel, im Dezember 2020 eine Telemedizinplattform (Bác Sĩ Cho Mọi Nhà) geschaffen. Diese bindet landesübergreifend lokale Krankenhäuser in entlegenen Regionen (2024 etwa 1.400) für Diagnose und Training an die städtischen Spezialkliniken und deren Expertise an. Im November 2024 wurde eine Ausweitung vereinbart. Das Gesundheitsministerium hat 2023 mit VTelehealth eine weitere Plattform lanciert, die nach offiziellen Angaben von 1.700 Ärzten genutzt wird.
Viele private Anbieter haben ebenfalls Plattformen für Telemedizin und die Online-Terminvergabe entwickelt, wie YouMed, Bookingcare, Medpro, Hello Bác Sĩ und Suns Med. Das Start-up JioHealth kooperiert mit zahlreichen Versicherungen und Krankenhäusern und bietet ebenfalls telemedizinische Dienste an. Private Anbieter wie die pädiatrische Nhi Dong 315-Kette oder das Privatkliniknetzwerk Medlatec kombinieren telemedizinische Leistungen mit Vor-Ort-Behandlung, die noch von Privatpatienten vorgezogen wird.
Privatkliniken setzen auf künstliche Intelligenz
Der Einsatz von KI-Lösungen beschränkt sich bisher weitgehend auf den Privatsektor. Einsatzbereiche sind die Diagnoseunterstützung (Bildgebung, Symptome), die Automatisierung des Krankenhausbetriebs und Dokumentenerkennung (Rezepte, Tests, Rechnungen) sowie virtuelle Gesundheitsassistenten für Patienten. Privatkliniken nutzen Lösungen ausländischer Anbieter. Aber auch der lokale Entwickler VinBrain (Teil der VinGroup) hat mit DrAid eine umfassende KI-Plattform geschaffen. Er wurde im Dezember 2024 von der US-Firma Nvidia gekauft.