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Special | Ungarn | Klimawandel lokal

Dekarbonisierung der Wirtschaft benötigt hohe Investitionen

Ungarns Regierung setzt sich ehrgeizige Klimaschutzziele. Eine Schlüsselrolle sollen erneuerbare Energie, Wasserstoff und Kernkraft spielen.

Von Waldemar Lichter | Budapest

Auch Ungarn bleibt von den Folgen des globalen Klimawandels nicht verschont. Berechnungen der Europäischen Umweltagentur EEA zufolge beliefen sich die Schäden durch wetter- und klimabedingte Ereignisse von 1980 bis 2020 auf insgesamt 5,9 Milliarden Euro oder 577 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Ungarn liegt damit auf Rang 13 der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder in der Europäischen Union (EU).

Nicht zuletzt deshalb gehören aktive Klimaschutzpolitik und Maßnahmen zur Linderung der Klimafolgen zu den Schwerpunkten der Regierung. Ihre Ziele und Aktivitäten sind insbesondere im Nationalen Energie- und Klimaplan (NECP) und in der Nationalen Strategie für saubere Entwicklung (National Clean Development Strategy) für 2020 bis 2050 definiert.

In vielen Bereichen des Klimaschutzes sieht sich Ungarn auf gutem Weg oder sogar als Vorreiter in der EU. Die Regierung verweist darauf, es sei gelungen, das Wirtschaftswachstum von der Entwicklung der Treibhausgasemissionen zu entkoppeln. So sei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1990 und 2018 um 64 Prozent gestiegen. Die Emissionen nahmen im gleichen Zeitraum dagegen um 32 Prozent ab, so Berechnungen des Ministeriums für Innovationen und Technologie (ITM).

Klimaneutralität bis 2050 gesetzlich festgeschrieben

Auch beim Kernziel der Klimaschutzpolitik, der Reduzierung der Treibhausgasemission, prescht das Land vor. Als einer der ersten Staaten in Europa hat sich Ungarn im Juni 2020 per Gesetz verbindlich verpflichtet, bis 2050 vollständig klimaneutral zu werden. In der EU hatten sich ähnliche Vorgaben zu dem Zeitpunkt nur Schweden, Deutschland, Frankreich, Dänemark, Spanien und Luxemburg gesetzt.

Als Zwischenziel sollen bis 2030 die Emissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 40 Prozent gesenkt werden. Um das zu erreichen, wird der Hebel vor allem im Energiesektor angesetzt. Dazu wird der Anteil erneuerbarer Energie am Verbrauch erhöht. Ziel ist, diesen bis 2030 auf mindestens 21 Prozent zu heben.

Solarenergie könnte einen wesentlichen Beitrag leisten. So sind bis 2030 Fotovoltaikkapazitäten von über 6.000 Megawatt geplant. Experten geben aber zu bedenken, dass parallel das Stromübertragungsnetz gestärkt und Kapazitäten zum Ausgleich von Spannungsschwankungen im System ausgebaut werden müssten.

"Ohne Kernkraft kein Klimaschutz"

Mindestens genauso wichtig wird nach Einschätzung der Regierung der Ausbau der Kernkraft sein. Atomstrom soll den Status grüner Energie erhalten. Gemeinsam mit anderen mitteleuropäischen EU-Ländern setzte sich Ungarn dafür ein, dass die Investitionen in Kernkraftwerke als nachhaltig und "grün" anerkannt werden. Derzeit entstehen zwei zusätzliche Reaktorblöcke (je 1.200 Megawatt) im Kernkraftwerk Paks.

Eine wichtige Maßnahme im Energiesektor wird die Umstellung des Braunkohlekraftwerks Mátra auf Gasbetrieb sein. Die Anlage ist für 14 Prozent der gesamten Kohlenstoffdioxidemissionen in Ungarn und die Hälfe der Emissionen im Energiesektor verantwortlich. Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung soll bis 2025 vollzogen sein.

Verbesserung der Energieeffizienz notwendig

Spürbare Fortschritte bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen könnte das Land durch höhere Energieeffizienz erreichen - vor allem im Gebäudesektor. Um voranzukommen und die Industrie zu mehr Anstrengungen zu bewegen, wurde ein neues verpflichtendes Auditsystem eingerichtet. Dieses belegt zu geringe Fortschritte mit Sanktionen. Fachleute rechnen im Bereich Energieeffizienz mit einem Investitionsbedarf von rund 3 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren.

Aufbau der Wasserstoffwirtschaft

Eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität soll auch Wasserstoff spielen. Im Mai 2021 wurde die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Zu den Prioritäten bis 2030 gehören der Aufbau von Kapazitäten für kohlenstoffarmen und -freien Wasserstoff (240 Megawatt), die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie (Dekarbonisierung von Industrieprozessen), im Verkehr sowie zur Energiespeicherung und als Beimischung zum Erdgas beim Transport im Pipelinenetz. Die Regierung sieht in diesem Sektor einen großen Bedarf an Technologie, Technik und Kooperation mit deutschen Unternehmen.

Die Dekarbonisierung und der Übergang zur Klimaneutralität werden enorme Investitionen erfordern. Nach Schätzungen des Innovations- und Technologieministerium könnte der grüne Umbau der Wirtschaft bis 2050 rund 50 Trillionen Forint (umgerechnet 140 Milliarden Euro) kosten.

Zur Finanzierung sollen vor allem EU-Mittel eingesetzt werden. Ungarn wird im Zeitraum 2021 bis 2027 etwa 22,5 Milliarden Euro aus den Kohäsionsfonds der EU erhalten. Davon sollen 3,7 Milliarden Euro für Umwelt- und Energieeffizienzprogramme und weitere 3,4 Milliarden Euro für Verkehrsentwicklung aufgewendet werden. Die Regierung gibt aus dem Staatshaushalt noch einmal 1,2 Milliarden Euro hinzu.

Zusätzlich rechnet Ungarn mit Mitteln aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU, die ebenfalls zum beträchtlichen Teil für Investitionen in den Klimaschutz genutzt werden sollen. Aber auch aus dem ungarischen Finanzsektor kommen Impulse. So fördert die ungarische Nationalbank MNB klimafreundliche Investitionen von Unternehmen und öffentlichen Körperschaften durch besondere Refinanzierungsbedingungen.

Klimaschutz eröffnet Geschäftschancen

Für deutsche Unternehmen eröffnet die Entwicklung gute Perspektiven. "Die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer sieht gute Chancen für deutsche Unternehmen auf dem ungarischen Markt für Technologien und Lösungen für mehr Nachhaltigkeit", sagt die AHK-Geschäftsführerin Barbara Zollmann. Die geplanten Maßnahmen reichen von der Wasserwirtschaft über den Ausbau erneuerbarer Energien bis zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. In all diesen Bereichen können deutsche Firmen mit ihrem Know-how an den künftigen Investitionen partizipieren, ist Zollmann sicher.

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