Wirtschaftsausblick | Ungarn
Ungarn will die Konjunkturwende schaffen
Der ungarischen Wirtschaft geht es deutlich schlechter als erwartet. Ein staatliches Konjunkturprogramm soll die Binnennachfrage steigern und 2025 für Wachstum sorgen.
10.01.2025
Von Kirsten Grieß | Budapest
Top-Thema: Aktionsplan verspricht Wachstumsschub
Trotz positiver Prognosen gelang es der ungarischen Wirtschaft 2024 nicht, auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzukehren. Ungarns Regierung sucht den Befreiungsschlag mit einer "neuen Wirtschaftspolitik". Im Oktober 2024 stellte Wirtschaftsminister Márton Nagy wirtschaftspolitische Leitlinien vor, die auf drei Säulen fußen: höhere Kaufkraft, erschwinglicher Wohnraum und mehr Unternehmensinvestitionen.
Ein entsprechender Aktionsplan umfasst 21 Einzelmaßnahmen, die von Zielvorgaben für die Mindestlohnentwicklung, höheren Steuergutschriften für Familien, Zinsdeckeln für Wohnungskredite bis hin zu einem neuen Darlehensprogramm für kleine und mittlere Unternehmen reichen. Einzelne Punkte wie die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns sind unter Wirtschaftsvertretern umstritten. Inzwischen einigten sich die Tarifpartner aber auf einen Dreijahresplan mit schrittweisen Anhebungen um 9, 13 und 14 Prozent.
Das Kabinett von Viktor Orbán hofft, mit den Maßnahmen den privaten Konsum zu stimulieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen und die Bauindustrie aus der Krise zu führen. Für die Umsetzung des Aktionsplans sind allein im Jahr 2025 rund 10 Milliarden Euro eingeplant. Das Geld soll einen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsschub zwischen 3 und 6 Prozent in den Jahren 2025 und 2026 auslösen.
Wirtschaftsentwicklung: Ungarischer Wirtschaftsmotor stottert
Im 3. Quartal 2024 schrumpfte die ungarische Wirtschaftsleistung im Jahresvergleich um 0,7 Prozent. Das ist einer der schlechtesten Werte in der EU. In ihrer Herbstprognose senkte die Europäische Kommission die Wachstumserwartungen für 2024 von 2,4 auf 0,6 Prozent. Für 2025 rechnet die Kommission mit einem Wachstum um die 2 Prozent.
Ungarische Verbraucher geben mehr Geld aus
Positive Impulse setzte 2024 fast ausschließlich der private Konsum, der auch 2025 wichtigster Konjunkturtreiber bleiben wird. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen die privaten Konsumausgaben zwischen Juli und September um 4,5 Prozent. Ermöglicht wird die steigende Nachfrage durch höhere Reallöhne und deutlich stabilere Verbraucherpreise. Für 2025 erwartet Ungarns Nationalbank MNB ein Reallohnwachstum von 3,8 Prozent.
Inflationsdruck könnte 2025 wieder steigen
In den ersten zehn Monaten 2024 lag die Teuerungsrate bei durchschnittlich 3,6 Prozent. Dieses Niveau soll die Inflation laut Nationalbank auch 2025 halten. Allerdings üben gleich mehrere Faktoren Druck auf die Preise aus: die Lohnentwicklung, der schwache Euro-Forint-Wechselkurs und höhere Staatsausgaben, mit der die Orbán-Regierung um Stimmen für die Parlamentswahl 2026 ringen wird.
Eine wichtige Weiche wurde in Budapest bereits gestellt: Im März löst Finanzminister Mihály Varga den aktuellen Chef der Nationalbank ab. Expertenkreise vermuten, dass Varga dem Wunsch der Orbán-Regierung nach einer expansiveren Geldpolitik und niedrigeren Leitzinsen eher nachgibt als sein Vorgänger.
Milliardensummen an EU-Fördermitteln sind weiterhin eingefroren, die Haushaltslage bleibt angespannt. Die ungarische Regierung kündigte gleichwohl an, die seit 2022 erhobenen Sondersteuern für die Arzneimittelindustrie 2025 auslaufen zu lassen. Für Banken und den Einzelhandel bleiben die Sondersteuern bestehen.
Exportorientiertes Wirtschaftsmodell in Gefahr
Auf der Produktionsseite sorgt aktuell nur der Dienstleistungssektor für Wachstum. Die Leistung der ungarischen Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes und der Bauwirtschaft entwickelte sich im 3. Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum negativ. Seit mehr als zwölf Monaten schrumpft die Industrieproduktion und sank im 3. Quartal um weitere 6,6 Prozent. Besonders stark fielen die Produktionszahlen in der Automobilindustrie (-11,1 Prozent) und in der Batteriefertigung (-17,3 Prozent).
Die Exportorientierung der ungarischen Wirtschaft und die enge Verflechtung mit der deutschen Automobilindustrie ist für Ungarn gegenwärtig ein Handicap. Mehr Dynamik könnte 2025 der Produktionsstart in den neuen Werken von BMW, CATL und BYD bringen. Der Zeitpunkt dafür ist allerdings denkbar schlecht: Eine kurzfristige Erholung der Auslandsnachfrage ist nicht zu erwarten. Außerdem stehen US-Handelskonflikte mit China und der EU im Raum. Das könnte das Geschäftsmodell der ungarischen Automobilwirtschaft auf lange Sicht gefährden.
Die Wachstumsschwäche der ungarischen Wirtschaft schlägt sich in geringeren Aufträgen für die Bauwirtschaft nieder. Die Bauleistung war im September um 8,2 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat. Der neue Aktionsplan der Regierung soll nicht zuletzt den Wohnungsbau ankurbeln und damit der Bauwirtschaft 2025 wieder auf die Beine helfen.
Deutsche Perspektive: Mehr Konkurrenz aus Asien
Seit einigen Jahren drängen asiatische Investoren auf den ungarischen Markt und lösten Deutschland 2021 als größten Neuinvestor ab. Die Stimmung bei deutschen Unternehmen im Land ist verhalten: In der Herbstbefragung 2024 der AHK Ungarn erwarten weniger als ein Drittel der Befragten Mitglieder für 2025 bessere Geschäfte. Mehr als die Hälfte will weniger am Standort Ungarn investieren.
Exporte nach Deutschland, dem nach wie vor wichtigsten Handelspartner, gehen seit November 2023 kontinuierlich zurück. In den ersten acht Monaten des Jahres sind die Lieferungen im Jahresvergleich um 8,5 Prozent gesunken. Deutsche Warenlieferungen nach Ungarn schrumpften im gleichen Zeitraum um 5 Prozent, die Einfuhren von elektrischen Geräten (-14,1 Prozent) und Generatoren (-15,1 Prozent) brachen besonders stark ein.
Positive Nachrichten für den Automobilstandort
Für einen Silberstreifen am Horizont sorgen Meldungen, wonach deutsche Autohersteller Fertigungslinien von anderen Standorten künftig nach Ungarn verlegen: Der Kfz-Zulieferer Mahle kündigte etwa an, die slowenische Produktion von Elektrokompressoren ins ungarische Balassagyarmat zu verlagern. Schaeffler plant, die Produktion von Kupplungssystemen aus dem britischen Sheffield nach Szombathely zu holen.