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US-Unternehmen wollen Kohlenstoff aus der Atmosphäre saugen
Pilotprojekte für die Abscheidung von CO2 aus der Luft gibt es bereits. Doch nun entstehen in den USA erste Anlagen im industriellen Maßstab. Deutsche Firmen liefern Ausrüstung zu.
14.06.2024
Von Heiko Stumpf | San Francisco
Zwölf Meter hohe Regale in einer an den Seiten offenen Lagerhalle haben den beschaulichen Ort Tracy im Kalifornischen Längstal plötzlich ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gelotst. Auslöser war das amerikanische Start-up Heirloom Carbon, das im November 2023 die weltweit erste kommerzielle Anlage für eine womöglich bahnbrechende Klimalösung in Betrieb genommen hatte.
In den Regalen befindet sich behandeltes Kalksteinpulver, welches Kohlendioxid (CO2) aus der Luft absorbiert. Durch Erhitzen kann das CO2 anschließend freigesetzt und in Betonblöcken dauerhaft als Klimagas unschädlich gemacht werden. Damit gehört Heirloom zu den Pionieren des sogenannten Direct Air Capture (DAC), einer innovativen Technologie, die den Kampf gegen den Klimawandel revolutionieren könnte.
"Bloße Emissionsminderungen durch erneuerbare Energie können die durch den Klimawandel verursachten Schäden allein nicht stoppen", sagte US-Energieministerin Jennifer Granholm anlässlich der Eröffnung der Anlage. "Direct Air Capture gibt uns die Chance, auch die vorhandene Verschmutzung zu verringern, die sich seit der industriellen Revolution in der Atmosphäre gebildet hat."
Regierungszuschüsse in Milliardenhöhe
Das erste Projekt von Heirloom ist vergleichsweise klein: Pro Jahr können nur rund 1.000 Tonnen CO2 eingefangen werden. Mit dem Förderprogramm für Regional Direct Air Capture Hubs will das Weiße Haus jedoch dafür sorgen, dass schon bald deutlich größere Anlagen an den Start gehen. Die Mittel von insgesamt 3,5 Milliarden US-Dollar (US$) stammen aus dem Bipartisan Infrastructure Law, das 2021 verabschiedet wurde.
Insgesamt vier große Hubs sollen entstehen, wobei die ersten beiden Förderbescheide mit einer Gesamtsumme von rund 1,2 Milliarden US$ bereits vergeben wurden. Auf längere Sicht streben die USA eine ganze Flotte von DAC-Anlagen an. Dazu fördert Washington Machbarkeitsstudien an insgesamt 19 potenziellen Standorten.
Die Vorhaben befinden sich in sehr unterschiedlichen Planungsstadien: von der Frühphase bis hin zum Front-End Engineering and Design (FEED).
Unterirdische Einlagerung von CO2
Ein Beispiel: das Project Cypress im Bundesstaat Louisiana. Auch hier ist Heirloom beteiligt, zusammen mit dem Partner ClimateWorks. Das Schweizer Unternehmen mit deutschen Gründern bringt eine andere, bereits etwas weiter verbreitete DAC-Technologie mit in das Projekt. Große Ventilatoren saugen Umgebungsluft an und leiten diese in ein Filtersystem. Darin bleibt das CO2 hängen.
Mit den beiden Methoden kombiniert will Project Cypress pro Jahr rund 1 Million Tonnen aus der Atmosphäre holen. Dies entspricht dem Ausstoß von etwa 225.000 mit Verbrennungsmotoren fahrenden Kfz. Anders als in Kalifornien wird das herausgefischte CO2 jedoch dauerhaft in unterirdischen Sandsteinformationen gespeichert.
Mehrere Einnahmequellen im Blick der Betreiber
Damit sich die Entfernung von CO2 aus der Luft auch finanziell lohnt, setzen die Entwickler insbesondere auf den Markt für Ausgleichszertifikate. Heirloom zählt zum Beispiel bereits Microsoft zu seinen Kunden. Der Softwarekonzern ist darum bemüht, den rasant wachsenden Energiehunger der eigenen Rechenzentren auszugleichen. Fürsprecher von DAC argumentieren, dass sich die Klimawirkung im Gegensatz zu klassischen Ausgleichsmethoden wie Aufforstung leichter verifizieren lässt.
Als zweites mit Förderung bedachtes Projekt will auch der South Texas DAC Hub mit Ausgleichszertifikaten Geld verdienen. Hinter dem Vorhaben steht mit Occidental Petroleum (Oxy) einer der größten US-Mineralölkonzerne. Unter anderem wurde bereits ein Vertrag mit Airbus an Land gezogen. Zunächst ist eine Entnahmekapazität von 1 Million Tonnen CO2 pro Jahr geplant. Später könnten es bis zu 30 Millionen Tonnen pro Jahr werden. Endgelagert wird in Salzstöcken.
Darüber hinaus nimmt Oxy weitere Anwendungen ins Visier. So sollen mit aus der Luft entnommenem CO2 in Zukunft auch synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. Kommt dabei ausschließlich erneuerbare Energie zum Einsatz, könnten auf diese Weise erzeugte Produkte wie Kerosin als klimaneutral vermarktet werden.
Inflation Reduction Act als Markttreiber der Technologie
Eine Hürde für die breite Anwendung von DAC sind die hohen Kosten. Oxy muss nach eigener Schätzung etwa 400 bis 500 US$ aufwenden, um 1 Tonne CO2 aus der Luft zu entfernen. Damit sich die Anlagen wirtschaftlich lohnen, stellt die US-Regierung mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein zweites Förderinstrument bereit.
Für jede Tonne CO2, die aus der Luft entnommen und dauerhaft gespeichert wird, erhalten Unternehmen eine Steuergutschrift von bis zu 180 US$. Bei einer Weiterverarbeitung beispielsweise zu synthetischen Kraftstoffen werden bis zu 130 US$ gezahlt.
"Der IRA garantiert einen stabilen und vorhersehbaren Cashflow für zwölf Jahre und wird die frühe Entwicklung der DAC-Industrie vorantreiben", prognostiziert Siegmar Pohl, Rechtsanwalt bei Kilpatrick Townsend in San Francisco. "Durch Skalierung werden die ersten Großprojekte gleichzeitig zu geringeren Kosten führen."
Oxy will die eigenen Kosten mittelfristig auf 200 bis 250 US$ pro Tonne runterdrücken, auf lange Sicht ist sogar eine Reduzierung auf 100 US$ pro Tonne angestrebt. Auf Basis dieser Kalkulation will das Unternehmen bis 2035 insgesamt 135 DAC-Anlagen errichten. In Ecaton, Texas, soll bereits 2025 das Projekt Stratos den Betrieb aufnehmen – mit einer Kapazität von 500.000 Tonnen pro Jahr.
Sollte sich DAC tatsächlich als die erhoffte Wunderwaffe erweisen, wäre dies nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für Geschäftschancen deutscher Unternehmen. So werden beispielsweise die Kompressoren für das Stratos-Projekt von Siemens Energy geliefert. Zudem ist präzise Messtechnik gefragt.