Hinweis: Der Rechtsbericht wurde erstmals am 29. April 2021 veröffentlicht und zuletzt inhaltlich überprüft und - soweit erforderlich - aktualisiert im Dezember 2023.
Prozess- und Verfahrenskosten
Für den Kläger ist die Erhebung einer Klage gegen den Hersteller kaum mit Risiken verbunden, selbst wenn er den Prozess verlieren sollte. Er läuft nur in seltenen Fällen Gefahr, die Anwaltskosten der anderen Partei zu tragen. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass das beklagte Unternehmen verpflichtet ist, seine Anwaltskosten zu tragen, auch wenn es sich erfolgreich vor Gericht verteidigen kann.
Eigene Anwälte werden oftmals auf Erfolgsbasis (contingency fee) tätig, sodass der Kläger nur die Anwaltsgebühren zu zahlen hat, wenn er den Prozess gewinnt oder es zumindest zu einem Vergleich kommt. Die Gerichtskosten sind streitwertunabhängig und durchgehend niedrig, was nach amerikanischem Verständnis den Zugang zu den Gerichten erleichtern soll, sich im Vergleich zu Deutschland jedoch einseitig zu Gunsten der amerikanischen Klägerseite auswirkt.
Das amerikanische Gerichtssystem ist für Außenstehende kompliziert: Einzelstaatliche Gerichte und Bundesgerichte sind parallel zuständig, die Rollen des Richters und des Rechtsanwalts sind mit ihren Funktionen in unserem kontinentaleuropäischen Rechtskreis nur eingeschränkt vergleichbar.
Beweisermittlung
Besondere Beachtung ist der Beweisermittlung zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung (pretrial discovery) zu schenken, da die Ermittlungsmethoden, die Vorlageverlangen und die in diesem Zeitraum durch Anwälte durchgeführten Vernehmungen erheblich über das nach deutschem Recht Übliche hinausgehen und äußerst zeit- und kostenintensiv sind.
Im Rahmen des discovery-Verfahrens existiert eine Vielzahl an Möglichkeiten einer Prozesspartei Beweismaterial zugänglich zu machen, welches sich im Besitz der anderen Partei oder eines Dritten befindet. Dies ermöglicht dem Kläger beispielsweise, verklagte Unternehmen zur Herausgabe von Konstruktionsunterlagen zu zwingen. Die Vorlagepflicht beklagter Unternehmen erstreckt sich dabei auch auf Kontoauszüge, Bilanzen, E-Mails, postalischen Geschäftsverkehr, hausinterne Vermerke oder Protokolle.
Die Bundesrepublik Deutschland und die USA haben das Haager Beweisübereinkommen (HBÜ) vom 18. März 1970 ratifiziert (Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen, BGBl. II 1977 II. S. 1472ff.). Nach dem deutschen Vorbehalt zu Art. 23 HBÜ ist jedes Landesjustizministerium befugt, die Erledigung von Rechtshilfeersuchen abzulehnen, die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den USA unter der Bezeichnung "pretrial discovery of documents" bekannt ist. Der Umfang der Rechtshilfe im Hinblick auf das Ersuchen um Urkundenvorlage liegt damit im Ermessen der deutschen Justizbehörden.
Unabhängig hiervon sollten sich Unternehmen bewusst sein, welche Unterlagen gegebenenfalls dem Zugriffsbereich einer discovery-Anordnung unterfallen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nach verbreiteter US-Rechtsprechung von Klägern durchgeführte pretrial discovery-Maßnahmen in Deutschland nicht im Rahmen des Haager Beweisübereinkommens durchgeführt werden müssen, jedenfalls nicht, solange das Gericht noch nicht über die Zuständigkeit (personal jurisdiction) entschieden hat (Fishel v. BASF Group, 175 F.R.D. 525 (S.D. Iowa 1997)).
Einrede der Unzuständigkeit US-amerikanischer Gerichte für nicht ansässige Beklagte
Ein nicht in den USA ansässiger Beklagter, der in einem bestimmten Bundesstaat verklagt wird, kann unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich vorbringen, dass das angerufene Gericht nicht befugt ist, richterliche Gewalt über ihn auszuüben (personal jurisdiction).
Allerdings existiert im US-amerikanischen Recht kaum ein Rechtsgebiet, das die US-Rechtsprechung mehr beschäftigt als personal jurisdiction. Der U.S. Supreme Court hat in einer Vielzahl von Entscheidungen versucht, die Zuständigkeitsgrenzen der US-Gerichte, die er in ständiger Rechtsprechung aus der Due Process Clause der Verfassung ableitet, festzusetzen. Die hierdurch geschaffene Rechtslage ist allerdings äußerst kompliziert und komplex.
Besonders umstritten ist die Begründung der (specific) personal jurisdiction für Produkthaftungsklagen gegen ausländische Hersteller auf Grundlage der stream-of-commerce Theorie. Bei der stream of commerce-Zuständigkeit geht es primär um die Frage, ob US-Gerichte internationale Zuständigkeit ausüben können, wenn die Produkte eines ausländischen Herstellers durch den Handelsstrom in die USA gelangen und dort ein Rechtsgut verletzten.
In J.McIntyre Maschinery Ltd. Vs. Nicastro verneinte der U.S. Supreme Court (specific) personal jurisdiction der Gerichte in New Jersey gegen den britischen Hersteller einer Maschine, die in New Jersey einen Personenschaden verursachte. Allerdings konnten die Richter sich nicht auf eine mehrheitliche Begründung einigen. Da der Hersteller selbst keinen Kontakt mit New Jersey hatte und die Maschine auch nicht dahin verkaufte, verneinten vier Richter das Bestehen von Zuständigkeit aufgrund einer stream-of-commerce Produkthaftung, ein Ergebnis (nicht der Begründung), dem sich ein weiterer Richter anschloss. Vier andere Richter vertraten hingegen die Ansicht, dass der Erfolgsort (Schadenseintritt) die Zuständigkeit begründe. Die unterschiedlichen Auffassungen der Richter eröffnen einen weitreichenden Interpretationsspielraum und die Entscheidung wird teilweise sogar als Hinweis auf eine Ausweitung der Zuständigkeit der US-Gerichte für Produkthaftungsklagen gegen ausländische Hersteller betrachtet.
Personal jurisdiction wird oft als „the Supreme Court’s thousand-piece jigsaw puzzle“ bezeichnet und die internationale Zuständigkeit über mehrere Instanzen genauso zeit- und kostenintensiv angefochten wie die materiellrechtlichen Fragen eines Rechtsstreits.
Von Jan Sebisch,
Alexander von Hopffgarten