Wirtschaftsumfeld | USA | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Arbeitsmarkt
Die Erwerbslosigkeit steigt, die Löhne aber kaum noch. Die Arbeitgeber sitzen wieder am längeren Hebel. Besonders übel stößt den Angestellten die erhöhte Präsenzpflicht auf.
09.10.2023
Von Roland Rohde | Washington, D.C.
Der US-Arbeitsmarkt ist im Post-Covid-Zeitalter angekommen. Die Zeiten, in denen sich Arbeitnehmer über kräftige Lohnsteigerungen und ein schier unbegrenztes Angebot an offenen Stellen freuen konnten, neigen sich dem Ende entgegen. Tilmann Bender, Managing Partner der Führungskräftevermittlung TH Bender erwartet, dass in Folge die Arbeitsentgelte 2023/24 kaum noch zulegen, in manchen Branchen und Positionen sogar sinken werden.
Noch sind viele Firmen bemüht, ihren während der Pandemie gesunkenen Arbeitskräftepool auf das Vorkrisenniveau zu heben. Doch dieser Nachholeffekt fällt immer schwächer aus. So stieg die Erwerbslosenquote nach Angaben des US-Arbeitsministeriums im August 2023 auf 3,8 Prozent. Das war der höchste Wert seit 18 Monaten. Die Differenz zwischen offenen Stellen und Beschäftigungslosen fiel zwischen März 2022 und Juli 2023 von 6 Millionen auf 3 Millionen.
Und die Schere dürfte sich weiter schließen, denn die US-Konjunktur kühlt sich spürbar ab. Für 2024 sagen Forschungsinstitute und Banken nur noch ein Wirtschaftswachstum von rund 1 Prozent voraus. Entsprechend werden sich die Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhalten. Die Erwerbslosenquote könnte auf 4,2 Prozent steigen. Dennoch machen sich Volkswirte keine Sorgen, denn die zunehmende Arbeitslosigkeit führt zugleich zu fallenden Inflationsraten. Zudem sprechen sie bei Quoten um 4 Prozent immer noch von Vollbeschäftigung.
Bevölkerung (in Mio.) 1) | 335,5 |
Erwerbspersonen (Bevölkerung älter als 15 und jünger als 65 Jahre, in Mio.) 2) | 216,0 |
Erwerbstätige (in Mio.) 3) | 161,3 |
Arbeitslosenquote, offizielle (in %, nach ILO-Definition) 3) | 3,8 |
Universitätsabschluss (in %) 4) | 37,7 |
Selbst Zoom schränkt Möglichkeit zum Homeoffice ein
Die Arbeitgeber sitzen nun wieder am längeren Hebel. Sie versuchen nicht nur, die Arbeitskosten zu reduzieren, sondern drängen die Mitarbeiter, öfter im Büro zu erscheinen. Selbst Zoom, der führende Anbieter von Videokonferenzen, zieht die Daumenschrauben an. Angestellte, die nicht weiter als 80 Kilometer von der Arbeitsstelle entfernt wohnen, sollen nun zweimal wöchentlich persönlich erscheinen. Doch die meisten Angestellten sträuben sich noch. Meta (Facebook) und Amazon, die ebenfalls die Präsenzpflicht erhöht haben, drohen bei Nichtbefolgung mit Kündigung. Das hätten sie sich vor einem Jahr nicht erlauben können.
Immerhin dürfte sich das Problem des Fachkräftemangels 2024 zumindest etwas entspannen. Im Herbst 2023 berichten noch nahezu alle Unternehmen davon, dass es sehr schwierig sei, Stellen mit qualifizierten Kräften zu besetzen. In vielen Fällen müssen die Firmen sogar Expansionspläne und Umsatzerwartungen zurückschrauben. Gerade deutsche Unternehmen, die eine Produktion in den USA aufbauen oder erweitern wollen, sind betroffen.
Relativ unproblematisch stellt sich dagegen das Anwerben ungelernter Kräfte, junger Hochschulabgänger und Berufsanfänger mit akademischem Hintergrund dar. Eine Ausnahme gilt für IT-Studiengänge, deren Absolventen besonders begehrt sind. Potenzielle Arbeitgeber unterbreiten Studierenden entsprechender Fächer schon im letzten oder vorletzten Semester attraktive Einstellungsangebote.
Führungskräfte über Personalagentur einstellen
Bei der Einstellung von Führungskräften mit mehrjähriger Berufserfahrung werden in der Regel kommerzielle Personalberatungen beauftragt. Sie schalten keine Anzeigen, sondern setzen fast ausschließlich auf Direktansprache. DH Bender rät bei Managern, die in engem Kundenkontakt stehen, einheimische Kräfte einzustellen. Bei der Leitung einer Fabrik hingegen könne man auch Entsandkräfte aus Deutschland einsetzen.
Auch Fachkräfte für den technischen Bereich, Facharbeiter mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, Techniker, Meister sowie Spezialisten für den mittleren kaufmännischen Sektor sind auf dem Arbeitsmarkt rar. Der Grund: In den USA fehlt ein flächendeckendes System der Berufsausbildung. Deutsche Unternehmen versuchen das Problem mit viel Eigeninitiative und in enger Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zu lösen.
Wenig Interesse an technischen Studienfächern
Dabei leisten die deutschen Auslandshandelskammern (AHK) Hilfestellung. In Chicago, New York und Atlanta fördern sie die Kooperation zwischen lokalen Bildungseinrichtungen und Ausbildungsbetrieben. Unter den teilnehmenden Unternehmen befinden sich Produktionsniederlassungen sowohl deutscher als auch US-amerikanischer Firmen. Jedoch gibt es kulturelle Hürden. So bevorzugen amerikanische Eltern aus Gründen des Sozialprestiges eine Hochschulausbildung für ihre Kinder. Zudem ist die Bereitschaft, später im verarbeitenden Gewerbe zu arbeiten, gering ausgeprägt. Auf entsprechend wenig Interesse stoßen daher auch technische Studiengänge.
Für – nach US-Maßstäben – junge Branchen, darunter erneuerbare Energien oder energieeffizientes Bauen, gibt es kaum geeignete Ausbildungsstätten oder Studiengänge. So berichten Betreiber von Windparks, dass sie ihr Personal aus drei Dutzend artverwandten Berufen rekrutieren und danach inhäusig schulen. Um geeignetes Personal zu diesem Berufswechsel zu bewegen, bieten Energiefirmen Einstiegsgehälter, die über dem landesweiten Industriedurchschnitt liegen.
Die Betriebstreue fällt in den USA traditionell gering aus, zumal eine hohe Bereitschaft besteht, für einen neuen Job den Wohnort zu wechseln. Insbesondere in wissensgetriebenen Unternehmen gibt es eine hohe Fluktuation. Firmen müssen sich einiges überlegen, um ihr Personal bei der Stange zu halten, was letztendlich nur über das Gehalt geht. Qualifizierte Arbeitnehmer können mit einem Stellenwechsel derzeit signifikante Einkommensverbesserungen erzielen. Dies betrifft neben der Industrie auch Forschungsinstitute, die Finanz- und Versicherungswirtschaft, Unternehmensberatungen, die Kreativwirtschaft sowie Anwaltskanzleien, Ingenieur- und Architekturbüros.