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Wirtschaftsausblick | Vereinigtes Königreich

Vorzeitige Wahlen und Aufschwung: Briten auf neuem Weg?

Während sich die Konjunktur erholt, deuten die Zeichen im britischen Wahlkampf auf einen Regierungswechsel hin. Unabhängig vom Ergebnis bleibt der fiskalische Spielraum gering.

Von Marc Lehnfeld | London

Top-Thema: Wahlkampf im Turbo-Modus

Premierminister Rishi Sunak überraschte auch Politikexperten mit der Entscheidung, die Unterhauswahlen schon für den 4. Juli 2024 anzusetzen. Zuvor wurde erwartet, dass die Wahlen im Herbst stattfinden würden. Jetzt schaltet die britische Insel in einen sechswöchigen Wahlkampf-Turbo. Dabei richten sich die Augen weniger auf die Tories, sondern vielmehr auf die oppositionelle Labour-Partei, die in Wahlumfragen auf einen komfortablen Vorsprung von im Schnitt 20 Prozentpunkten gegenüber den Tories kommt. 

Auch vor Veröffentlichung der Wahlprogramme sind die Eckpfeiler des Labour-Programms und ihrem Vorsitzenden Keir Starmer weitgehend bekannt. Das von der Schattenfinanzministerin Rachel Reeves 2023 vorgestellte "Securonomics"-Konzept will die Rolle des Staates stärken, um wirtschaftliche Resilienz und nationale Sicherheitsinteressen zu vereinen. Das gilt insbesondere für die Energiewirtschaft, deren Umbau die nationale Versorgungssicherheit des Landes sichern soll. 

Das konkretisiert der erstmals im September 2021 veröffentlichte "Green Prosperity Plan", der unter anderem die Entwicklung von Projekten zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Wind- und Solarenergie vorsieht. Eine zentrale Rolle dabei soll der zu gründende staatliche Akteur "GB Energy" einnehmen, der dazu beitragen soll, diese Projekte zu kofinanzieren und die Realisierung zu beschleunigen.

"Securonomics" setzt auch auf eine Industriestrategie, die das Land im Wettbewerb mit den USA und der EU stärkt. Die Labour-Partei schließt eine Rückkehr in eine Zollunion mit der EU deshalb aus, will das Verhältnis zur Union als wichtigem Partner aber neu aufsetzen und intensivieren. Einerseits vermeidet die Partei im Wahlkampf eine zu europhile Position, möchte aber die wirtschaftlichen Beziehungen zur EU durch ein gemeinsames Veterinärabkommen und der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen stützen. Die Überprüfung des Handels- und Kooperationsabkommens im Jahr 2026 fällt in die Legislaturperiode der nächsten Regierung und bietet die Chance, die bilateralen Beziehungen zu verbessern. 

Wirtschaftsentwicklung: Zaghafte Wachstumssignale im Wahljahr

Die unerwartet frühen Unterhauswahlen werden die kurzfristigen Wachstumsprognosen für die britische Wirtschaft wahrscheinlich nicht beeinflussen. Die Analysten von Oxford Economics begründen diese Einschätzung vor allem damit, dass der mögliche Regierungswechsel aufgrund des großen Labour-Vorsprungs bei den meisten Marktbeobachtern bereits eingepreist und keine fiskalpolitische Wende zu erwarten sei. 

Ohnehin verbessert sich die britische Wirtschaftslage nach der milden Rezession im 2. Halbjahr 2023 wieder zaghaft. So stieg das Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2024 real um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und wird im Jahresverlauf weiter an Fahrt gewinnen. Für das Gesamtjahr prognostiziert Oxford Economics bereits ein Wachstum von 0,9 Prozent. Zurückhaltender sind die Prognosen von Internationalem Währungsfonds und Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die ein Wachstum von 0,5 beziehungsweise 0,4 Prozent erwarten. Beide rechnen aber mit einem deutlichen Wachstumsschub im nächsten Jahr. Im Vergleich zu den G7-Staaten schneidet die britische, wie auch die deutsche Konjunktur, schlecht ab.  

 

Von realwirtschaftlicher Dynamik kann noch keine Rede sein. Treiber ist der Staatskonsum, der laut Prognose von Oxford Economics im Jahr 2024 um 3,4 Prozent kräftig zulegen wird. Es sind vor allem inflationsbedingt gestiegene Ausgaben und Schuldentilgungen, die die Staatsausgaben ankurbeln, während die Nettoinvestitionen zurückgehen. Die Staatsschuldenquote bleibt mit rund 98 Prozent hoch. Sowohl die Konservativen, als auch die Labour-Partei versprechen eine Senkung der Staatsschulden und setzen sich damit einen verantwortungsvollen aber fiskalisch engen Spielraum. 

Problematisch bleibt die Inflationsentwicklung. Entgegen der Erwartungen zahlreicher Ökonomen fällt die britische Preisdynamik langsamer als erwartet. So stiegen die Verbraucherpreise im April 2024 noch um 2,3 Prozent, vor allem wegen hoher Preissteigerungen bei Dienstleistungen, und lagen damit über dem 2-Prozent-Inflationsziel der Bank of England. Die Analysten von Oxford Economics gehen nun nicht mehr von einer Leitzinssenkung im Juni aus, erwarten aber trotzdem ab August drei Senkungsschritte um jeweils 25 Basispunkte auf 4,5 Prozent. 

Deutsche Perspektive: Erwartungen der Unternehmen gestiegen

Die Erwartungen deutscher Unternehmen an ihre Geschäftsentwicklung im Vereinigten Königreich verbessern sich weiter. Wie aus der Frühjahresumfrage der Deutsch-Britischen Handelskammer von Anfang Mai 2024 hervorgeht, blicken 56 Prozent der 61 befragten Unternehmen positiv auf das laufende Jahr. Im November 2023 waren es noch 45 Prozent. Weiterhin schätzen sie ihre eigene Geschäftsentwicklung besser ein als die Wirtschaftsentwicklung der Insel. 

Die Investitionsbereitschaft ist laut Umfrage ebenfalls gestiegen, was die Ankündigungen der Unternehmen bereits jetzt spiegelt. Die Projektdatenbank von fDi Markets registriert im 1. Quartal 2024 bereits rund 30 Investitionsbekanntmachungen deutscher Firmen. Dabei erweitern die Firmen ihre Hauptsitze, bauen ihre Produktion aus und optimieren ihre Logistik. Fast die Hälfte der Maßnahmen finden im Lebensmittelsektor sowie bei erneuerbaren Energien statt. 

Dahinter steht sowohl der Expansionskurs der deutschen Discounter Lidl und Aldi, als auch die Pläne deutscher Energiekonzerne auf der Insel. So startet RWE nach der Übernahme von JBM Solar nicht nur eine Investitionsoffensive in sieben neue Solarparks mit einer Erzeugungskapazität von 330 Megawatt, sondern baut auch sein Wasserstoffportfolio aus. Im schottischen Chemiepark Grangemouth baut der Energiekonzern bis 2029 einen Elektrolyseur mit einer Leistung von 200 Megawatt, dessen grüner Wasserstoff die Dekarbonisierung von INEOS am gleichen Standort unterstützt.

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