Wirtschaftsausblick | Saudi-Arabien
Drosselung der Ölförderung bremst Konjunktur aus
In Saudi-Arabien lassen Kürzungen der Ölproduktion die Exporteinnahmen einbrechen. Der Ausbau der Nichtölwirtschaft eröffnet deutschen Unternehmen Geschäftschancen.
23.10.2023
Von Robert Espey | Dubai
Top-Thema: Geringere Ölproduktion bringt Saudi-Arabien an den Rand einer Rezession
Saudi-Arabien fährt im Jahr 2023 seine Ölförderung herunter, um 8,8 Prozent auf durchschnittlich 9,7 Millionen Barrel pro Tag. Die Reduzierung der Fördermenge trug wesentlich dazu bei, den Verfall des Ölpreises zu stoppen. Die Drosselung geht über die von der OPEC+ Gruppe beschlossenen Produktionskürzungen hinaus.
Der Ölpreis befand sich im 1. Halbjahr 2023 auf Talfahrt und sank im Juni auf durchschnittlich 75,2 US-Dollar (US$). Im September wurde wieder die Marke von 90 US$ überschritten. Damit könnte sich 2023 ein Jahresdurchschnitt von etwa 85 US$ ergeben. Im Jahr 2022 lag dieser noch bei 100,1 US$.
Die starke Ausweitung der Fördermenge ermöglichte 2022 ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 8,7 Prozent. Im Oktober 2023 prognostizierte das Finanzministerium, dass der Rückgang der Ölproduktion das BIP-Wachstum im Jahr 2023 auf 0,03 Prozent dämpfen wird. Der Nichtölsektor soll um 5,9 Prozent zulegen.
Die Weltbank erwartet in ihrer Herbstprognose für 2023 dagegen ein Wachstum der Nichtölwirtschaft um lediglich 3,6 Prozent. Daraus resultiert eine Schrumpfung der Gesamtwirtschaft um 0,9 Prozent.
Der volatile Ölmarkt stellt für die Konjunktur des Königreichs auch zukünftig ein erhebliches Risiko dar. Die Diversifizierungspolitik der saudi-arabischen Regierung wird zwar zu einer tendenziell sinkenden Abhängigkeit vom Ölsektor führen, jedoch bleibt die Ölförderung mittel- und langfristig der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig. Der Anteil des Ölsektors am realen BIP lag 2022 bei 39,4 Prozent und dürfte aufgrund der Förderdrosselung 2023 auf rund 36 Prozent fallen.
Wirtschaftsausblick: Nichtölwirtschaft soll Wachstumsmotor sein
Das Wachstum der Nichtölwirtschaft dürfte 2023 einen Einbruch der Gesamtwirtschaft verhindern. Bereits in den beiden Vorjahren erwies sich der Sektor als wichtige Konjunkturstütze. Und auch in den kommenden Jahren werden entscheidende Wachstumsimpulse voraussichtlich aus diesem Bereich der Wirtschaft kommen. Prognosen zum Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 bewegen sich zumeist zwischen 4 und 4,5 Prozent. Die Analysten des Finanzdienstleisters Jadwa Investment aus Riad prognostizieren für 2024 einen BIP-Zuwachs von 4,2 Prozent. Die Nichtölwirtschaft soll um 5,6 Prozent zulegen, der Ölsektor nur um 2,8 Prozent.
Jadwa kalkuliert für 2024 mit einer Erhöhung der Ölförderung um 3 Prozent auf 10 Millionen Barrel pro Tag. Ob die Entwicklungen auf den internationalen Ölmärkten 2024 eine Ausweitung der saudi-arabischen Förderung ohne Preiseinbrüche ermöglichen, lässt sich allerdings nur schwer prognostizieren.
Das erwartete Wachstum der Nichtölwirtschaft soll vor allem durch den Ausbau der verarbeitenden Industrie und verschiedener Dienstleistungsbranchen generiert werden. Die "National Strategy for Industry" aus dem Jahr 2022 sieht vor, die industrielle Wertschöpfung bis 2030 zu verdreifachen. Im Dienstleistungsbereich haben unter anderem die Entwicklung des Freizeit- und Tourismussektors sowie der Logistikbranche Priorität.
Investitionen: Staatsfonds finanziert viele Großprojekte
Der saudi-arabische Public Investment Fund (PIF) verfügt im In- und Ausland über Vermögenswerte in Höhe von etwa 700 Milliarden US$. Er wird von Kronprinz Mohammad bin Salman kontrolliert und ist derzeit Hauptfinancier von fünf Gigaprojekten: NEOM, Read Sea Tourism Project, Qiddiya Leisure and Sports Project, Roshn Housing Project und Diriyah Culture and Tourism Project.
Zudem hat PIF in zahlreiche Firmen investiert. Dazu gehören unter anderem die neue Fluggesellschaft "Riyadh Air" sowie ein Unternehmen zur Realisierung eines gewaltigen Stadtentwicklungsprojekts in Riad (New Murabba Development). Im Oktober 2023 gründete PIF die National Automotive and Mobility Investment Company. Das Unternehmen soll den Aufbau einer lokalen Elektrofahrzeugindustrie forcieren.
Im September 2023 eröffnete der Elektrofahrzeughersteller Lucid ein Werk in der King Abdallah Economic City. PIF ist Hauptaktionär des US-Unternehmens. In der Fabrik sollen zunächst jährlich 5.000 Fahrzeuge montiert werden. Ziel ist ein Jahresausstoß von 150.000 Fahrzeugen.
Konsum: Verbraucher sind wichtige Konjunkturstütze
Nach einem Konsumeinbruch im Coronajahr 2020 werden die privaten Haushalte seit 2021 wieder ihrer traditionellen Rolle als zuverlässige Konjunkturstütze gerecht. Die Konsumausgaben lagen 2022 um 5,4 Prozent über dem Niveau von 2019. Für 2023 wird ein Anstieg um etwa 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr prognostiziert. In den kommenden Jahren dürfte sich dieser positive Trend fortsetzen.
Außenhandel: Einfuhren steigen, Ausfuhren sinken
Der Handelsbilanzüberschuss könnte im Jahr 2023 von 221 Milliarden auf unter 140 Milliarden US$ sinken. Im 1. Halbjahr 2023 ließen geringere Ölexporte die Gesamtausfuhr gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode um 24 Prozent auf 162 Milliarden US$ (fob) schrumpfen. Gleichzeitig stiegen die Importe um 12 Prozent auf 99 Milliarden US$ (cif). Hauptlieferanten waren China, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate (vor allem Reexporte über Dubai), Indien und Deutschland.
Deutsche Perspektive: Partner der Diversifizierungsstrategie
Die Diversifizierung der saudi-arabischen Wirtschaft bietet deutschen Firmen große Kooperationschancen. So ist der deutsche Maschinenbau ein wichtiger Partner beim Ausbau der verarbeitenden Industrie. Die deutsche Maschinenausfuhr nach Saudi-Arabien hat sich 2022 nach einer sechsjährigen Schwächephase deutlich erholt. Die Lieferungen der Branche stiegen um 24 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro. Im 1. Halbjahr 2023 wurde ein Plus von 53 Prozent verzeichnet.
Die deutschen Ausfuhren nach Saudi-Arabien waren 2021 mit 5,6 Milliarden Euro auf den niedrigsten Wert seit 2009 gesunken. Seit 2022 geht es wieder deutlich bergauf. Die Exporte stiegen 2022 um 20,6 Prozent, für 2023 zeichnet sich ein noch höherer Zuwachs ab.
Weitere Informationen zu Saudi-Arabien bieten unter anderem unsere Reihen "Wirtschaftsstandort", "Wirtschaftsdaten kompakt" oder "Branche kompakt". Ferner sind auf der GTAI-Länderseite zahlreiche Berichte zum Wirtschaftsumfeld, zu Branchen sowie Rechts- und Zollthemen zu finden. |