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Stromausfälle in Ägypten plagen Menschen und Unternehmen
Seit zwei Wochen fällt in Ägypten täglich der Strom aus. Ein Grund ist der hohe Verbrauch im Sommer.
07.08.2023
Von Sherif Rohayem | Kairo
Devisenknappheit, Inflation und eine hohe Außenverschuldung haben Ägypten in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Nun kommt auch noch eine Energiekrise hinzu. Vor kurzem noch Nettoexporteur von Erdgas und Bestandteil einer angepassten europäischen Energiestrategie nach dem Einmarsch Russlands die Ukraine, gehen im Land am Nil seit zwei Wochen täglich die Lichter aus. Im Großraum Kairo gibt es zwar mittlerweile nur noch einen Stromausfall pro Tag, der etwa eine Stunde dauert. Haushalte im strukturschwachen Oberägypten müssen dagegen drei bis vier Stunden ohne Licht und bei Temperaturen bis zu 45 Grad ohne Ventilatoren ausharren.
Mit Ausnahme von Hotels, Krankenhäusern und sicherheitsrelevanten Einrichtungen sind auch weite Teile der Wirtschaft von Stromabschaltungen betroffen. Besonders in den ersten Tagen kam es zu unangekündigten Ausfällen. Mittlerweile sorgen von den Behörden bereitgestellte Pläne über Ort, Zeit und Dauer der Abschaltungen für mehr Vorhersehbarkeit.
Ägypten verbraucht mehr Strom
Die größtenteils öffentlichen Betreiber der Stromkraftwerke wollen durch die regelmäßigen Lastreduzierungen die Erdgasvorräte schonen. Der fossile Energieträger ist mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent am Gesamtmix die mit Abstand wichtigste Quelle zur Stromerzeugung im Land. Er wurde so knapp, dass Ägypten seit zwei Monaten seine Flüssigerdgasexporte (LNG) vor allem nach Europa nahezu eingestellt hat.
Dieser Schritt ist bemerkenswert, schließlich sind die Exporterlöse aus dem Verkauf von Erdgas eine der letzten Devisenquellen für das von Liquiditätsengpässen geplagte Land. Ein Grund für die sinkenden Erdgasvorräte ist zunächst der Stromverbrauch, der in den Monaten Juli und August typischerweise seinen Höchststand erreicht. Laut Daten des ägyptischen Ministeriums für Elektrizität ist der Verbrauch in diesem Jahr sogar besonders hoch. Demnach stieg die Spitzenlast im Juli 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 3 Prozent auf 34,65 Gigawatt.
… und produziert weniger Erdgas
Ein weiterer Grund für das gesunkene Erdgasangebot dürfte der Rückgang der Fördermengen sein. Zwar hat die Regierung Berichte dementiert, wonach es in Ägyptens größtem Gasfeld Zohr technische Probleme gebe und die Produktion gesunken sei. Dennoch veröffentlichte das Ölministerium Zahlen, die für April 2023 einen Rückgang der Erdgasförderung um insgesamt 7 Prozent im Vorjahresvergleich zeigen. Verglichen mit der Spitzenproduktion von täglich rund 7,19 Milliarden Kubikfuß im September 2021 beträgt das Minus sogar 17 Prozent.
Unabhängig von Zohr, das immerhin knapp 40 Prozent der lokalen Fördermenge beisteuert und gleichzeitig das größte Förderfeld im gesamten Mittelmeerraum ist, sinkt die Produktion bei den älteren Gasfeldern kontinuierlich und offenbar besonders schnell. So konnten die Stromeinsparungen nach Einführung der Sommerzeit und Abschaltung der öffentlichen Straßenbeleuchtung die jetzige Mangellage nicht abwenden – nicht einmal vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Erdgaslieferungen aus Israel.
Neue Konzessionen für die Suche nach Öl und Gas zu vergeben
Die ägyptische Regierung treibt daher die Suche und Erschließung neuer Vorkommen mit Hochdruck voran. Erst Anfang Juni 2023 verstrich die Angebotsfrist einer Ausschreibung für insgesamt zwölf Konzessionsblöcke zur Erdgassuche im Mittelmeer und im Nildelta. Bis dato ist noch unbekannt, wie die Resonanz der Ölfirmen auf diese Ausschreibung ausgefallen ist.
Ein Unternehmensvertreter aus der Branche hatte zuvor berichtet, dass die ägyptische Devisenkrise nun auch im Ölsektor angekommen sei. Auch hier häuften sich die Zahlungsrückstände der Unternehmen. Trotz der Schwierigkeiten scheinen die Branchengrößen Ägypten die Treue zu halten. Das mag auch daran liegen, dass Ölkonzerne üblicherweise über große finanzielle Reserven verfügen, wie der Unternehmensvertreter während einer Paneldiskussion andeutete.
So plant etwa Shell, einen Betrag von 80 Millionen US-Dollar (US$) für Probebohrungen im Mittelmeer zu investieren, dazu weitere 200 Millionen US$ für die Ausbeutung weiterer Gasfelder, die ebenfalls im Mittelmeer liegen. Schließlich kündigte Tarek El Molla, Minister für Öl und Mineralressourcen, Anfang Juli 2023 an, dass Ägypten bis zum Jahr 2025 knapp 2 Milliarden US$ für eine Reihe von Explorationsbohrungen im Mittelmeer und im Nildelta aufwenden will.
Akuter Strommangel wird bis Mitte September dauern
Zwischenzeitlich entfacht die Knappheit bei Erdgas einen Zielkonflikt zwischen Stromerzeugern und der Schwerindustrie. Erwartungsgemäß geht dieser zu Lasten der Industrie. So kürzten Behörden den Herstellern von ammoniakbasiertem Kunstdünger die Erdgaslieferungen um 20 Prozent. Die Betriebe benötigen das Erdgas als Energiequelle und auch als Ausgangsrohstoff. Da Kunstdünger ein wichtiger ägyptischer Exportartikel und damit Devisenquelle ist, zieht der Produktionsrückgang auch gesamtwirtschaftliche Kreise.
Immerhin ebbt die Hitzewelle aktuell etwas ab und die lokalen Düngemittelhersteller erhalten Zeitungsberichten zufolge ihre Lieferungen wieder ohne Rationierung. Das lässt hoffen, dass LNG-beladene Schiffe wieder für den Export auslaufen und Ägypten im Herbst sogar Überschüsse einfährt. Weniger hoffnungsvoll stimmt jedoch die Aussicht, dass sich die Stromabschaltungen laut Regierungssprecher Nader Saad voraussichtlich noch bis Mitte September hinziehen werden.
Perspektivisch dürfte Kairo auch den Ausbau erneuerbarer Energien wieder verstärkt in Betracht ziehen. Neben dem Nachhaltigkeitsaspekt liegen weitere Vorteile von Wind- und Solarenergie gegenüber fossilen Energiequellen auf der Hand. Würde der Großteil der ägyptischen Stromerzeugungskapazitäten von 59 Gigawatt auf grünem Strom basieren, wäre die Abhängigkeit von Erdgas und damit die Anfälligkeit für Stromabschaltungen geringer.