Deutsche Wettbewerbsposition | Ägypten
Deutschland kann sich auf dem ägyptischen Markt behaupten
Dort, wo Qualität eine wichtigere Rolle spielt als Geld, haben deutsche Anbieter die besten Chancen in Ägypten. Der Haken: gesucht wird meistens nicht die beste Qualität.
15.06.2022
Von Sherif Rohayem | Kairo
Ägypten ist nach Südafrika und Nigeria die größte Volkswirtschaft Afrikas und mit einer Bevölkerung von über 100 Millionen der größte Verbrauchermarkt in der Region. Täglich passieren mehr als 10 Prozent der weltweit gehandelten Waren den Sueskanal, darunter auch deutsche Produkte in Richtung Asien und umgekehrt.
Trotz dieser Rahmenbedingungen und der Nähe zu Deutschland entscheiden sich noch wenige deutsche Unternehmen für Ägypten als Produktionsstandort. Rechtsstaatsrisiken, Fachkräftemangel und ein verzerrter Wettbewerb machen Ägypten zu einem schweren Pflaster für den deutschen Mittelstand. Dabei bietet Ägypten mit Großprojekten im Städtebau, Wasser-, Energie- und Bahnsektor deutschen Unternehmen ein breites Betätigungsfeld.
Ägypten importierte 2020 laut UN Comtrade Waren im Wert von 60,3 Milliarden US-Dollar (US$), davon stammten 5,8 Prozent aus Deutschland. Destatis zufolge lag das Land auf Rang 46 der wichtigsten deutschen Absatzmärkte. |
Ägypten exportierte 2020 Waren im Wert von 26,8 Milliarden US$. 2,1 Prozent davon gingen nach Deutschland - Rang 63 der wichtigsten deutschen Bezugsmärkte. |
Laut AHK-MENA waren 2021 rund 300 deutsche Unternehmen in Ägypten ansässig, hauptsächlich im Großraum Kairo. |
Deutsche Anteile auf Ägyptens Importmarkt sind leicht rückläufig
Bei den deutschen Exportschlagern wie Maschinen und Kfz ist Ägypten stark von Importen abhängig, folglich auch von deutschen. Dennoch: Ägyptens wichtigster Lieferant ist China - und das, obwohl Waren aus dem Reich der Mitte im Gegensatz zu den meisten deutschen Produkten nicht zollfrei nach Ägypten gelangen.
Das Land am Nil ist ein Preismarkt. Gesucht wird hier nicht die beste Qualität, sondern ordentliche. Da haben chinesische Hersteller oft das beste Angebot. Ein weiterer Grund für die stagnierenden Ausfuhren deutscher Hersteller ist die vergleichsweise schwache lokale Verankerung. So besitzen deutsche Hersteller zwar häufig eine kommerzielle Niederlassung, bieten aber seltener After-Sales- oder andere technische Dienste an.
Deutsche Unternehmen stehen bei Infrastrukturprojekten in zweiter Reihe
Siemens Mobility hat Ende Mai 2022 den Zuschlag für den zweiten Abschnitt der geplanten Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke erhalten. Beim Bau nahezu aller Düngemittelanlagen in Ägypten war ThyssenKrupp federführend. Dass deutsche Unternehmen bei derartigen Milliardenprojekten als Generalunternehmer auftreten, ist aber eher die Ausnahme.
Den ägyptischen Projektmarkt dominieren Firmen wie China State Construction, Bechtel oder Schneider Electric. Das liegt einerseits am Zuschnitt deutscher Unternehmen. Diese sind häufig zu klein für Großprojekte, die durch Erfüllungsgarantien und eventuelle Zahlungsverzögerungen Kapital binden. Andererseits mag auch eine ausgeprägte Risikoaversion eine Rolle spielen, weshalb deutsche Unternehmen bei Großvorhaben eher in der zweiten Reihe stehen wollen und sich lieber auf einzelne Gewerke fokussieren. Hier sind deutsche Anbieter in Ägypten erfolgreich, wie Beispiele im Wasser- und Transportsektor zeigen.
Rang | Produkt | 2000 | 2010 | 2020 |
---|---|---|---|---|
Maschinen 2) | ||||
1 | China | 3,0 | 12,6 | 23,8 |
2 | Italien | 19,2 | 19,4 | 14,6 |
3 | Deutschland | 20,5 | 16,0 | 11,9 |
Chemische Erzeugnisse 3) | ||||
1 | China | 4,3 | 7,0 | 11,4 |
2 | Deutschland | 12,3 | 11,3 | 9,7 |
3 | USA | 10,9 | 10,0 | 7,3 |
Kfz und -Teile 4) | ||||
1 | Deutschland | 19,0 | 22,8 | 22,2 |
2 | China | 1,8 | 7,0 | 12,9 |
3 | Japan | 22,6 | 14,7 | 8,2 |
Ägypten kann russisches Gas teilweise ersetzen
Aus deutscher Sicht kommt Ägypten als Baustein bei der Suche nach Alternativen zu russischem Gas in Betracht. Das Land ist Nettoexporteur von Erdgas und verfügt an seiner Mittelmeerküste über zwei Verflüssigungsanlagen, wo auch israelisches Gas ankommt, komprimiert und re-exportiert wird. Außerdem verkauft Ägypten sein Erdgas zu großen Teilen auf dem kurzfristigen Spotmarkt. Nur geringe Mengen werden auf der Grundlage langfristiger Lieferverträge exportiert. Die Economist Intelligence Unit geht in einer Analyse vom Mai 2022 davon aus, dass Ägypten kurzfristig 5 Prozent des europäischen Bedarfs an Gas decken kann - vorausgesetzt die Verflüssigungsanlagen werden ausgelastet und die Lieferungen nach Asien werden deutlich begrenzt.
Über Interkonnektoren will Ägypten seine Überschüsse an Strom exportieren, unter anderem in die Europäische Union. Zu diesem Zweck ist der Bau einer Stromverbindung von Ägypten nach Zypern geplant. Ebenfalls in der frühen Planung ist der Export von grünem Wasserstoff nach Europa. Gegenwärtig gibt es etwa zehn Absichtserklärungen für den Bau von Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff. Als am weitesten fortgeschritten gilt die geplante Anlage von Orascom und Scatec mit einer Kapazität von 100 Megawatt. Branchenkenner berichten, dass andere Interessenten zunächst beobachten wollen, wie sich dieses Projekt entwickelt, um dann ihre eigenen Pläne auszurichten.