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Special | Brasilien | Klimaschutzatlas

Klimaschutz-Atlas

Brasilien – Klimaschutz als Wachstumschance

Brasilien hat Standortvorteile bei erneuerbaren Energien. Kann das Land die globale Energiewende für sich nutzen?

Von Gloria Rose | São Paulo

  • Klimastrategie: Illegale Rodungen als größte Herausforderung

    Fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen geht auf Veränderungen in der Landnutzung zurück. Um seinen Klimabeitrag zu leisten, muss Brasilien Abholzungen verhindern.

    Der Stopp der Entwaldung war eines der Wahlkampfthemen von Präsident Lula da Silva. Anfang August 2023 hält Brasilien ein Gipfeltreffen der Amazonasländer ab, die im Amazonaspakt OCTA zusammengeschlossen sind. Klimaschutz findet in der Gesellschaft einen breiten Zuspruch und eröffnet Brasilien Wachstumsperspektiven. Denn das Land weist im internationalen Vergleich sehr niedrige Vermeidungskosten auf.

    Brasilien: Klimabilanz im Jahr 2021

    Indikator

    Brasilien 

    Deutschland

    Bevölkerung (in Mio.)

    214,3

    83,2

    Ranking des Landes im Climate Change Performance Index (CCPI) 1)

    Rang: 38

    Punktezahl: 48,39

    Rang: 16

    Punktezahl: 61,11

    Anteil des Landes an den weltweiten Treibhausgasemissionen (in %)

    1,31

    1,8

    CO2-Ausstoß gesamt (in Mio. t/Jahr)

    489

    675

    CO2-Ausstoß pro Kopf (in t CO2/Kopf und Jahr)

    2,3

    8,1

    Emissionsintensität der Wirtschaft (in kg CO₂/BIP 2))

    0,2

    0,2

    Energieintensität der Wirtschaft (in MJ 3)/2017 US$ PPP 4)) 5)

    3,93

    2,76

    1 2023, Rang von 60; 2 Bruttoinlandsprodukt; 3 Megajoule; 4 Purchasing Power Parity (Kaufkraftparität); 5 2019.Quelle: Climate Change Performance Index 2023; Global Carbon Atlas 2023; International Energy Agency 2023

     

     

    Der CO2-Ausstoß durch den Verbrauch fossiler Energieträger ist in Brasilien vorbildlich niedrig. Wenn jedoch die Emissionen weiterer Treibhausgase wie Methan und die Auswirkungen der Abholzung berücksichtigt werden, liegen die Emissionen über dem weltweiten Durchschnitt und steigen von Jahr zu Jahr. Die illegalen Abholzungen gefährden somit die Umsetzung der Klimaschutzziele.

     

     

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Klimaziele: Klimaneutralität bis 2050

    Brasilien passte die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens 2022 zum zweiten Mal an. Somit muss das Land die Emissionen bis 2030 auf 1,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent reduzieren.

    Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 kündigte Brasilien eine Verschärfung des Klimaziels an. Bis 2030 will das Land die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Basisjahr 2005 nun um 50 Prozent statt um 43 Prozent senken. Die CO2-Neutralität soll bis 2050 statt erst 2060 erreicht werden. Da Landnutzung in Brasilien die größten Herausforderungen für den Klimaschutz bedeutet, beziehen sich drei wichtige Maßnahmen auf eben diesen Bereich. 

    Maßnahmen zur Umsetzung des Klimaziels
    • Bekämpfung der illegalen Abholzung: graduelle Minderung der jährlich gerodeten Flächen bis zur Verhinderung jeglicher illegaler Rodungen im Jahr 2028
    • Wiederaufforstung von 18 Millionen Hektar Wald bis 2030
    • Wiederherstellung von 30 Millionen Hektar degradierter Weideflächen
    • Anteil erneuerbarer Energieträger am Bruttoendenergieverbrauch 2021 bis 2030 soll zwischen 48 und 50 Prozent schwanken
    • Anreize für den Ausbau des Schienennetzes

    Brasilien war für die Neubestimmung der Emissionsgrenzwerte im Jahr 2020 stark kritisiert worden. Denn eine neue Berechnungsgrundlage gestattete dem Land deutlich höhere Emissionen als die Werte, die 2015 festgelegt wurden. Damit verringerte Brasilien de facto seinen nationalen Klimaschutzbeitrag (nationally determined contributions – NDC), was gegen das Abkommen von Paris verstößt.

    Die Plattform Climate Action Tracker stuft Brasiliens Ziele derzeit als fast ausreichend ein. Als erster oberster Gerichtshof weltweit erkannte der Supremo Tribunal Federal (STF) im Juli 2022 Klimaschutz als Menschenrecht an und verlieh dem Übereinkommen von Paris damit Verfassungsrang.

    Emissionswerte und -ziele Brasilien (Treibhausgasemissionen in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente)

    Jahr

    Ist-Werte

    Ziele

    1990

    1.640

    2000

    1.810

    2010

    2.110

    2015

    1.370

    2019

    1.450

    2025

    1.610

    2030

    1.280

    2050

    0

    Quelle: Climate Watch Data 2023

     

    Sektorübergreifender Handel mit Emissionsrechten verzögert sich

    Auf dem Kraftstoffmarkt begünstigt der Handel mit den sogenannten CBIOS-Zertifikaten bereits die Biokraftstoffe. Ungewissheit besteht allerdings bezüglich der Einrichtung eines nationalen Marktes für CO₂-Emissionsrechte. Die Regierung unter Lula erwägt, die Richtlinie der Vorgängerregierung von Mai 2022 zurückzunehmen und die Gesetzesgrundlage neu zu strukturieren. 

    Im Gegensatz zu Ländern wie Indien, China, Russland und Australien unterzeichnete Brasilien im November 2021 das Abkommen, den Methanausstoß bis zum Jahr 2030 um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 zu reduzieren. Als weltweiter Pionier will das Land den Zertifikatehandel für Methanemissionen einführen. Das Programm Metano Zero fokussiert zunächst auf Reststoffe aus der Hühner- und Schweinezucht, Müllhalden, die Milchwirtschaft und den Zuckerrohr-Ethanol-Sektor.

    Klimaschutz rückt in den Vordergrund

    Brasilien gehört zu den Ländern, die besonders hart vom Klimawandel getroffen werden. Aber auch durch den Druck aus dem Ausland gewinnt die Klimaschutzagenda stark an Bedeutung. Im Kongress sowie auf den unteren politischen Ebenen wächst das Engagement. Nicht nur die föderale Regierung, sondern auch die Regierung des Bundesstaates São Paulo bewirbt Brasilien aktiv als "grünen" Wirtschaftsstandort und will über diese Agenda Industrieinvestitionen stimulieren. Durch ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpläne hoffen sie, die Verschlechterung des Länderimages unter der Regierung von Jair Bolsonaro wett zu machen. Einzelne Bundesstaaten versuchen sich zu profilieren, um beispielsweise potenzielle Investoren der Wasserstoffwirtschaft für sich zu gewinnen. Die Bundesstaaten schlossen sich 2021 zu dem Konsortium Brasil Verde zusammen und veröffentlichten teilweise eigene Klimaziele und -strategien. Brasiliens Wirtschaftszentrum São Paulo erarbeitete seinen Klimaplan in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

    Unternehmen engagieren sich zunehmend

    Auch ohne politische Vorgaben streben immer mehr Konzerne Klimaschutzziele an. Schließlich richten sich Finanzmärkte und internationale Handelsströme zunehmend auf Nachhaltigkeit aus. Mehr als 170 brasilianische Unternehmen unterzeichneten die von den Vereinten Nationen unterstützte globale Kampagne Race to Zero. Die Anzahl der Mitglieder des GHG-Protocol stieg innerhalb von drei Jahren auf mehr als das Doppelte. Im Jahr 2021 veröffentlichten insgesamt 305 Unternehmen integrierte Klimastrategien. Bereits seit 2008 unterstützt das Programm Unternehmen in Brasilien dabei, ihre Treibhausgasemissionen zu erfassen.

     

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Klimagesetze: Umsetzung zuweilen schwierig

    Unternehmen halten Gesetzesanforderungen ein. Die hohe Informalität in der Wirtschaft erschwert jedoch Kontrollen und Sanktionen.

    Laut dem Portal des Grantham Research Institute zu Klimagesetzen verabschiedete Brasilien bislang 18 Gesetze und 48 politische Maßnahmen, deutlich mehr als alle lateinamerikanischen Nachbarn. Wichtige Gesetzesgrundlagen sind die nationale Politik zum Klimawandel (PNMC) und der Klimafonds (FNMC), die 2009 mit den Gesetzen 12.187 und 12.114 ins Leben gerufen wurden, sowie das Waldschutzgesetz (Código Florestal) aus dem Jahr 2012. Branchenspezifische Klimagesetze beziehen sich auf die Abfallwirtschaft, die Kfz-Industrie und den Kraftstoffsektor. Für Letzteren wurde 2017 das Programm RenovaBio verabschiedet, das erstmals in Brasilien einen Handel mit Emissionsrechten einrichtete.

    Im Jahr 2023 setzte Präsident Lula mit dem Dekret 11.349 mehrere Sonderorgane mit Zuständigkeit für Umweltfragen ein. Darunter das nationale Sekretariat für Klimawandel. Dabei handelt es sich um ein Organ, das unter anderem für die Förderung von Projekten zur Eindämmung des Klimawandels zuständig ist. Außerdem richtete der brasilianische Präsident eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Schutz vor Entwaldung ein, an der 19 Ministerien beteiligt sind. Ziel ist der Stopp der Entwaldung bis 2030.

    Gesetz versus Praxis

    In Brasilien besteht in vielen Bereichen eine gewisse Diskrepanz zwischen Recht und Realität. Gerade im Bereich Umweltschutz wird dies deutlich. Unternehmen unterliegen sehr strengen Vorgaben, die sie aufgrund hoher Strafen in der Regel umsetzen. Dazu gehören auch die Großkonzerne des Agribusiness. Kriminelle Organisationen, aber auch kleine Unternehmen und Selbstständige untergraben Gesetze und Verordnungen jedoch systematisch, sobald sich dies wirtschaftlich lohnt und sich die Gelegenheit bietet. Entsprechend schwierig ist es, illegale Rodungen zu verhindern. Immerhin dehnt sich das Amazonasgebiet über eine ähnlich große Fläche aus wie die Europäische Union.

    Trotz einer soliden Rechtslage besteht somit große Skepsis bezüglich der Ernsthaftigkeit und Durchschlagskraft von Umwelt- und Klimarecht. Unter dem neuen Präsidenten Lula soll sich dies ändern. Das Budget der Umweltschutzbehörde Ibama wurde um ein Drittel aufgestockt. Zudem setzt die Staatsanwaltschaft der Union die Zahlung von Strafen rigoros durch. Zur Hälfte fließen diese in den Umweltschutzfonds FNMA. Außerdem gehen die Behörden nun hart gegen illegale Aktivitäten in indigenen Reservaten vor.


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Investitionen: Nachhaltigkeit macht sich bezahlt

    Brasilien kann Standortvorteile bei erneuerbaren Energien nutzen und sich besserstellen. Dafür bedarf es Reformen und verlässlicher Rahmenbedingungen.

    Aufgrund der relativ hohen Staatsverschuldung stellt Brasilien nur sehr begrenzt Finanzmittel für Förderprogramme und Subventionen bereit. Doch das Land befindet sich in einer privilegierten Ausgangslage. Durch die globale Trendwende zur Dekarbonisierung kann es grüner und gleichzeitig auch reicher werden. Zu dieser Feststellung kommt der aktuelle Länderbericht der Weltbank zu Klima und Entwicklung CCDR (Country Climate and Development Reports). Die Regierung kann die Investitionen stimulieren, indem sie für verlässliche Rahmenbedingungen und eine gut funktionierende Marktregulierung sorgt sowie attraktive Projekte und öffentlich-private Investitionspartnerschaften anbietet.

    Amazonien-Fonds begünstigt erste Projekte

    Die Geberländer Norwegen und Deutschland froren unter der Regierung Bolsonaro die Mittel der 2008 gegründeten Klimafinanzierungsinitiative ein. Von der Wiederbelebung des Fonds profitieren zunächst die 14 Projekte, die 2019 nicht die bereits zugesagte Förderung erhielten. Weitere 56 Projekte mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 430 Millionen US-Dollar (US$) befanden sich Ende 2018 in der Pipeline und können sich erneut bewerben. Im April 2023 sagten die USA zusätzliche Gelder zu. Damit belaufen sich die Mittel des Fonds nun auf über 1,5 Milliarden US$.

    Alle Projekte müssen den Richtlinien des Aktionsplans zur Vorbeugung und Eindämmung der Entwaldung in Amazonien PPCDAm entsprechen. Der Aktionsplan durchläuft von 2023 bis 2027 seine fünfte Phase. In der öffentlichen Anhörung im April 2023 gingen 540 Beiträge ein, die nun ausgewertet werden. Maßnahmen in vier zentralen Bereichen sollen die Entwaldung bis 2030 stoppen: 

    1. Nachhaltige Produktion
    2. Überwachung (Monitoring und Kontrolle)
    3. Grundbesitzrecht und Raumordnung
    4. Normative und wirtschaftliche Förderinstrumente

    Strukturierte Projekte und Investitionspartnerschaften 

    Projekte zur Emissionsminderung können eine zinsgünstige Finanzierung über den Fundo Clima und andere Kreditlinien der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES beziehen. Auch ausländische Entwicklungsbanken stellen Kapital zur Verfügung. In der Regel mangelt es weniger am Kapital als an gut strukturierten Projekten. Das Ministerium für regionale Entwicklung und auch das Infrastrukturministerium strukturieren Projekte, die den Anforderungen der Climate Bonds Initiative (CBI) gerecht werden. Teilweise werden bereits formulierte Projekte des Programms für öffentlich-private Investitionspartnerschaften (PPI) integriert. So sollen beispielsweise die geplanten Schienenkonzessionen FIOL grüne Anleihen in Anspruch nehmen können.

    Begünstigungen für Strom aus erneuerbaren Energien laufen aus

    Für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien musste bislang nur die Hälfte der üblichen Stromnetzgebühren TUST und TUSD entrichtet werden. Begünstigt werden jedoch nur Projekte, die noch vor dem 2. März 2022 einen Stromnetzanschluss beantragt haben. Um noch in den Genuss der auslaufenden Begünstigung zu kommen, reichten Projektentwickler vom Jahresbeginn 2022 bis zum Stichtag etwa 3.500 Vorhaben ein. Die Regulierungsbehörde Aneel führte einen Filter ein, um weniger wirtschaftliche Projekte wieder aus der Warteschleife zu entfernen: Der Betreiber übernimmt das Risiko, die Förderung zu verlieren, falls sein Projekt nicht innerhalb von 48 Monaten ans Netz gehen kann.

    Die dezentrale Erzeugung für den Eigenbedarf wird in Brasilien über ein Net-Metering-Modell gefördert, nicht wie in Deutschland über eine Einspeisevergütung. Auch hier löst die auslaufende Förderung einen starken Andrang an Investitionen aus. Ab 2023 wird die Netzgebühr graduell angehoben. Projekte, die 2022 den Netzanschluss beantragten, bleiben bis 2045 von der Zahlung befreit. Dadurch verdoppelte sich im Jahr 2022 die installierte Leistung auf 17 Gigawatt. Trotz der Verlängerung der Amortisationsdauer erwartet der Branchenverband Associação Brasileira de Geração Distribuída (ABGD) für 2023 einen erneuten Anstieg um 8 Gigawatt. 

    Anreize über den Handel mit Emissionsrechten

    Brasilien verfügt bislang über keinen branchenübergreifenden Handel mit CO₂-Emissionsrechten. Doch für den Kraftstoffsektor entstand über das Förderprogramm RenovaBio ein Markt für Emissionsrechte. Die sogenannten Créditos de Descarbonização por Biocombustíveis (CBIOs) werden an der brasilianischen Börse gehandelt. Ein CBIO-Zertifikat entspricht einer Tonne CO₂-Emissionen. Hersteller von Biokraftstoffen verkaufen CBIOs. Vertriebsunternehmen wiederum kaufen CBIOs und kompensieren darüber den Verkauf fossiler Kraftstoffe. Die Regulierungsbehörde ANP erhöht das Handelsvolumen von Jahr zu Jahr auf bis zu 90 Millionen CBIOs im Jahr 2030. Dementsprechend dürfte die Produktion von Bioethanol um 70 Prozent auf jährlich 50 Milliarden Liter zulegen. Die Erzeugung von Biodiesel von derzeit 4 Milliarden Litern soll sich mehr als verdreifachen. 

    Das Programm Metano Zero soll Emissionen aus der Abfallwirtschaft und aus landwirtschaftlichen Reststoffen verhindern. Die Projekte erzielen damit doppelte Erlöse: erstens durch die Verwertung von Biogas und Biomethan und zweitens über den Zertifikatehandel durch die Emissionsvermeidung. Derzeit produzieren landesweit weniger als zehn Anlagen 400.000 Kubikmeter Biomethan pro Tag. Bis 2027 soll das Produktionsvolumen auf täglich 2,3 Millionen Kubikmeter ausgedehnt werden. Weitere 25 Anlagen sind geplant. Die Investitionen belaufen sich auf voraussichtlich 1,4 Milliarden US$. Bis zu 36 Prozent seiner Methanemissionen will Brasilien über das Programm einsparen. Damit würde das Land das Methanabkommen vom Klimagipfel in Glasgow locker erfüllen. 


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • DIHK-AHK-Umfrage zum Klimaschutz 2022

    Brasilien

    Die Umfrage wurde im April und Mai 2022 von der DIHK unter 2.860 Mitgliedsunternehmen der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) durchgeführt. Unternehmen aus insgesamt 107 Ländern nahmen daran teil. Die Befragung gibt wieder, wie die in dem jeweiligen Land tätigen deutschen oder eng mit Deutschland kooperierenden Unternehmen die Situation vor Ort wahrnehmen.


    Von Martin Knapp (DIHK) | Berlin

  • Energie: Brasilien ist Vorreiter bei grünem Strom

    Brasilien verfügt bereits über sehr saubere Stromerzeugung. Neben der Elektrifizierung und grünem Wasserstoff setzt Brasilien beim Klimaschutz auf Bioenergie. 

    Erneuerbare Energien gewinnen stark an Bedeutung

    Nur wenige Länder der Welt verfügen bereits jetzt über einen so sauberen Energiemix wie Brasilien. Bei der Stromerzeugung liegt das Land weit vor allen anderen großen Volkswirtschaften. Im Jahr 2022 wurden in Brasilien 92 Prozent des Stroms über erneuerbare Energien erzeugt, in Deutschland waren es 48 Prozent. Mit einem Beitrag zur Stromerzeugung von über 60 Prozent ist die Wasserkraft nach wie vor der mit Abstand wichtigste Energieträger. Doch Windkraft, Fotovoltaik, Bioenergie und auch Erdgas gewinnen an Boden.

    Erneuerbare Energien hielten den Wachstumskurs auch in der Coronakrise. Bei der Stromerzeugung stieg Solarenergie zum zweitwichtigsten Energieträger auf – gefolgt von Wind, Biomasse und Erdgas. Der Markt für Fotovoltaikanlagen expandiert weiter stark – insbesondere im Bereich der dezentralen Erzeugung. Mit der Regulierung von Offshore-Wind dürfte sich der Ausbau mit Windkraft verstärken. Bioenergie profitiert vom Emissionshandel, Änderungen in den Rechtsgrundlagen sowie von dem wachstumsstarken Agribusiness.

    Zukünftig dürften auch Investitionen in Speichersysteme attraktiv werden und Chancen für deutsche Anbieter eröffnen. Derzeit hapert es noch an den Rahmenbedingungen. Es mangelt an technischen Normen sowie einer verlässlichen Marktregulierung und Besteuerung.

    Modernisierung alter Kraftwerke und neue Übertragungsleitungen

    Da die Erzeugung elektrischer Energie in Brasilien hauptsächlich auf Wasserkraft basiert, wirkte sich die Trockenheit in den Jahren 2020 und 2021 auf die Stromversorgung des Landes aus. Zur Versorgungssicherheit wurden verstärkt Erdgaskraftwerke eingesetzt. Doch abgesehen von einigen modernen Anlagen wie das Kraftwerk Gás Natural do Açu (GNA-I) ist der Kraftwerkpark Brasiliens veraltet und ineffizient. Auch viele Wasserkraftwerke bedürfen einer Modernisierung. Dafür investiert der Großkonzern Eletrobras, der 2022 privatisiert wurde, zwischen 2021 und 2025 insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar (US$).

    Außerdem will Brasiliens neue Regierung bis Ende 2024 Konzessionsverträge für neue Übertragungsleitungen im Wert von über 10 Milliarden US$ ausschreiben. Grüner Strom soll kostengünstig im Nordosten erzeugt werden, um den hohen Bedarf im Südosten zu decken.

    Energiewende mit Wasserstoff und Bioenergie

    Brasilien bietet exzellente Voraussetzungen für die Elektrifizierung und die Gewinnung von grünem Wasserstoff beziehungsweise grünem Ammoniak, der zukünftig auch Deutschland mit Energie versorgen kann. Erste Projekte zielen eben auf den Exportmarkt Europa ab. Laut Prognosen der Marktforschungsgesellschaft Bloomberg NEF dürften die Produktionskosten für grünen Wasserstoff in Brasilien bereits ab 2024 die Kosten für blauen Wasserstoff unterschreiten. Ab 2030 könnten die Kosten bei unter 1 US$ pro Kilogramm liegen. Die Deutsch-Brasilianische Wasserstoffallianz bietet Informationen über neue Entwicklungen, Projekte und Geschäftschancen für deutsche Unternehmen.

    Bei der Abkehr von fossilen Energieträgern setzt Brasilien auf ein zweites Standbein: Biokraftstoffe wie Bioethanol, Biodiesel und Biomethan sowie Heizkraftwerke, die Biomasse oder Biogas nutzen. Auf der Biofuture Platform vertritt Brasilien seine Interessen an der Verwertung von Bioenergie. 

    Abfall und Abwasser wird Energie

    Der Rückstand in Brasilien ist enorm: Nur etwa die Hälfte der Abwässer werden wiederaufbereitet. Illegale Müllhalden unter freiem Himmel finden sich in jeder dritten Kommune. Bis 2033 müssen alle 5.570 Städte und Gemeinden ihren Bürgern eine angemessene Grundversorgung bieten. Neue Rahmenbedingungen ermöglichen nun die Konzessionierung von Investitionsprojekten. Allein durch die Projekte zur Abwasseraufbereitung können bis 2030 rund 3 Millionen Kubikmeter Biomethan pro Tag gewonnen werden, erwartet der Branchenverband Abiogás.

    In der Abfallwirtschaft verwerten moderne Deponien bereits Biogas, oftmals zur Stromerzeugung. Durch das Förderprogramm Metano Zero dürften die Kosten für Methanemissionen ansteigen. Aber auch infolge höherer Energiepreise lohnen sich Biogasanlagen und auch die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan zunehmend. 

    Erdgas und Atomkraft zur Sicherheit?

    Laut dem Zehnjahresplan PDE 2031 wird der Erdgasanteil am Energiemix steigen, Erdöl und Derivate sollen jedoch an Bedeutung verlieren. Um Versorgungssicherheit zu bieten, will die Regierung nicht nur Erdgas, sondern auch die Kernenergie ausbauen. Brasiliens drittes Atomkraftwerk Angra 3 soll 2028 den Betrieb aufnehmen. Zusätzlich ist eine vierte Anlage mit Inbetriebnahme im Jahr 2032 geplant. Damit steigt die installierte Atomkraftleistung von derzeit 2 Gigawatt auf 4,4 Gigawatt. Zudem sieht der Zehnjahresplan den Ausbau mit Müllheizkraftwerken und die Subvention von Steinkohle vor.

    Öl- und Gasproduktion expandiert

    Im kommenden Jahrzehnt soll der Energiebedarf Brasiliens um 30 Prozent zulegen. Dies berechnet der Zehnjahresplan. Über 80 Prozent der erwarteten Investitionen, die von 2022 bis 2031 schätzungsweise 680 Milliarden US$ betragen, dürften dem Öl- und Gassektor zukommen. Brasiliens Energieministerium rechnet mit einem deutlichen Ausbau der Erdölförderung. Bis 2031 soll die tägliche Fördermenge von derzeit 2,9 Millionen Tonnen auf 5,2 Millionen Tonnen Rohöl zunehmen. Damit soll Brasilien vom derzeit siebtgrößten Förderland auf den vierten Rang aufsteigen. Die Erdgasförderung soll sich mit täglich 277 Millionen Kubikmeter mehr als verdoppeln. Brasilien hat im April 2021 die Öffnung des Gasmarktes beschlossen. Der Rückzug des staatlichen Konzerns Petrobras soll private Investoren animieren und die Erdgasversorgung im Land mittelfristig vergünstigen.


    Weitere Informationen:

    Windkraft überschreitet die Marke von 20 Gigawatt

    Brasiliens Potenzial für grünen Wasserstoff beeindruckt

    Aufbruch für Brasiliens Wasserwirtschaft

    Positive Signale für Brasiliens Abfallwirtschaft


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Verkehr: Biokraftstoffe als Stützpfeiler der Dekarbonisierung

    E-Autos kommen nur langsam auf. Bioethanol, Biodiesel und Biomethan spielen in Brasilien eine wichtige Rolle für die Dekarbonisierung des Verkehrs. 

    Fortschritte auf dem Weg zur Elektrifizierung 

    Sogenannte FlexFuel-Hybrid-Modelle, deren Verbrenner Bioethanol nutzen, beleben die Elektromobilität in Brasilien. Anders als in Deutschland investieren vor allem Kfz-Hersteller in die Ladeinfrastruktur entlang der Autobahnen. Aktiv sind in erster Linie Unternehmen, die reine E-Autos anbieten – darunter Volvo, BMW sowie Porsche und Audi der Volkswagen AG. Zudem rüsten immer mehr Eigentümer die Garagen in Wohngebäuden mit Ladestationen aus.

    Nach Toyota setzen auch Volkswagen und Jeep auf FlexFuel-Hybrid. Nun prescht jedoch der chinesische Hersteller Great Wall Motors (GWM) vor und will bereits im ersten Halbjahr 2024 das erste Modell in Brasilien produzieren. Dagegen dürfte VW erst nach 2025 das erste Modell in Brasilien anfertigen.

    Verbrennungsmotoren werden in Brasilien länger leben als in Europa. 2020 startete der Handel mit CO₂-Zertifikaten für den Kraftstoffmarkt. Dieser begünstigt Biokraftstoffe, die schon seit Jahrzehnten die CO₂-Emissionen drosseln. Heute treiben erneuerbare Energien daher bereits mehr als 20 Prozent des Verkehrs an, in Deutschland sind es weniger als 10 Prozent. Über das Förderprogramm Rota2030 verpflichteten sich alle Hersteller, die Energieeffizienz ihrer Fahrzeuge bis Ende 2022 um 11 Prozent und bis Ende 2027 um weitere 8 Prozent bis 12 Prozent zu steigern. 

    Güterverkehr ist zu straßenlastig

    Etwa 65 Prozent des Frachttransports erfolgen über die Straße. Multinationale Konzerne drängen auf Nachhaltigkeit. Moderne Lkw mit Elektro- oder Gasantrieb ersetzen nach und nach die alten Dieseltransporter. Volkswagen Caminhões e Ônibus sowie JAC Motors und BYD produzieren in Brasilien Elektrolaster und Scania gasbetriebene Lkw. 

    Um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und Emissionen zu reduzieren, bedarf es einer effizienteren Transportinfrastruktur. Die Regierung fördert den Ausbau für die Küstenschifffahrt über das Programm BR do Mar und für den Schienentransport über Pro Trilhos.


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Industrie: Bioenergie als Zwischenstufe zur Dekarbonisierung

    Steigende Energiekosten setzen Investitionsanreize. Die energieintensive Industrie entwickelt eigene Initiativen zur Emissionsminderung.

    Die Regulierung des CO2-Zertifikatehandels sowie des Handels mit Methanemissionsrechten im Sinne des Programms Metano Zero steht weiter aus. Dennoch führt die brasilianische Industrie ihre Treibhausgasemissionen zurück. Laut Brasiliens Industrieverband CNI konnte die Chemieindustrie die Emissionen in dem Zehnjahreszeitraum von 2006 bis 2016 um 44 Prozent senken. Der Stahlsektor mindert die Emissionen durch den Einsatz von Holzkohle. Bei Glas und Aluminium verbesserte sich die Recyclingquote.

    Treibhausgasemissionen in der brasilianischen Industrie, 1990 und 2016 (Anteil der Sektoren in Prozent)

    Sektor

    1990

    2016

    Roheisen und Stahl

    33

    27

    Zement

    19

    21

    Chemie

    16

    10

    Nichteisenmetallurgie und andere Metallurgie

    7

    8

    Lebensmittel- und Getränkeindustrie

    4

    4

    Papier und Zellstoff

    3

    3

    Bergbau und Pelletierung

    3

    3

    Keramik

    2

    3

    Andere Industrie

    13

    21

    Quelle: Sistema de Estimativas de Emissões e Remoções de Gases de Efeito Estufa (SEEG)/Observatório do Clima 2018

     

    Der Industriesektor verursacht in Brasilien 4 Prozent der Treibhausgasemissionen. Die Hauptenergiequelle für die brasilianische Industrie ist Strom, der in Brasilien außergewöhnlich sauber erzeugt wird. CNI trägt über ein Förderprogramm für Energieeffizienz zur Emissionsminderung bei. Für zwölf Großkonzerne entwickelte das Team von CNI Aliança Lösungen, die den Stromverbrauch um insgesamt 176 Gigawattstunden drosselten. In der zweiten Phase des Förderprogramms Aliança 2.0 von 2022 bis 2025 soll die Förderung nun 25 Unternehmen zugutekommen und Emissionen von mehr als 40.000 Tonnen CO₂-Äquivalent einsparen.

     

    Höhere Kosten schärfen den Fokus auf Energieeffizienz

    Seit 2014 stiegen die Stromtarife steil an. Im Jahr 2021 sorgte die Energiekrise für eine drastische Verteuerung. Im Januar 2021 wurden zeitvariable Tarife eingeführt. Die zusätzliche Kostenlast traf insbesondere die Metallurgie, die Textilindustrie und nichtmetallische Mineralrohstoffe, also Zement, Keramik, Glas und Kalk. Im Jahr 2022 verteuerten die hohen Tarife die Industrieproduktion um durchschnittlich 13 Prozent. Entsprechend positiv sind die Aussichten für energieeffiziente Ausrüstungen und Prozesse, zumal Brasiliens Industrie laut dem internationalen Energieeffizienzranking 2022 noch über viel Verbesserungspotenzial verfügt.

    Großverbraucher aller Wirtschaftssektoren investieren in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien – entweder über dezentrale Erzeugung für den Eigenbedarf oder über Abnahmeverträge am freien Strommarkt. Ab 2024 dürfen alle Unternehmen, die Strom mit einer Spannung von über 500 Kilovolt beziehen, Verträge am freien Markt schließen. Einer Erhebung von CNI zufolge wollen 2024 etwa 45.000 Industriebetriebe abwandern.

    Dekarbonisierung über Bioenergie

    Brasiliens Zucker-Ethanol-Industrie sowie der stark konzentrierte Papier- und Zellstoffsektor und Großkonzerne des Agribusiness investieren in immer effizientere Verfahren zur Verwertung von Reststoffen und zur Gewinnung von Bioenergie. Diese wird entweder über Kraft-Wärme-Kopplung oder Biomasse- oder Biogaskraftwerke in elektrische Energie umgewandelt oder in Form von flüssigen Kraftstoffen wie Bioethanol und Biodiesel oder gasförmigen Brennstoffen wie Biogas oder Biomethan verwertet.

    Über langfristige Lieferverträge mit den Bioenergieerzeugern können andere Industriezweige ihre CO2-Emissionen reduzieren. Raízen Geo Biogás, ein Joint Venture des Zucker-Ethanol-Giganten Raízen (JV Shell/Cosan) und dem Betreiberunternehmen Geo Biogás&Tech, errichtet eine Biomethananlage und finanziert diese über langfristige Abnahmeverträge mit Volkswagen und dem norwegischen Düngemittelfabrikanten Yara. 

    Auch die Keramikindustrie in Santa Gertrudes will das Potenzial für sich nutzen und schloss ein Abkommen mit Geo Biogás&Tech sowie dem lokalen Zucker-Ethanol-Verband APLA. Zwei Drittel der exportstarken Keramikfliesenproduktion Brasiliens konzentriert sich auf den Produktionsstandort im Staat São Paulo. Bis 2030 wollen die 20 dort ansässigen Fliesenhersteller die Hälfte ihres Erdgasverbrauchs durch Biomethan decken.

    Brasiliens Stahlindustrie wiederum nutzt zunehmend Holzkohle aus schnell wachsenden Eukalyptusbäumen. Aço Verde do Brasil (AVB) und Aperam mit eigener Aufforstung wurden von der Schweizer SGS-Gruppe als CO2-neutral zertifiziert. Auch der französische Stahlrohrkonzern Vallourec setzt auf Holzkohle aus eigenen Forstwäldern und ein innovatives, emissionsarmes Verfahren namens Carboval. Zudem investieren die Großkonzerne in die Stromerzeugung über erneuerbare Energien und gehen Partnerschaften zum Bau eigener Wind- und Solarparks ein.

    Brasiliens Zementwerke legten im Jahr 2019 eine Roadmap auf, der zufolge sie ihre Emissionen bis 2050 um 35 Prozent mindern wollten. Neben Eukalyptusholz stehen regional unterschiedliche Agrarreststoffe zur Verfügung. Zusätzlich zu den Bioenergieträgern setzen erste Werke auch auf die Verbrennung von Hausmüll. Müllverbrennung wird in Brasilien bislang kaum genutzt. Das allererste Müllheizkraftwerk ging erst im August 2021 ans Netz. Brasiliens Zementindustrie produziert heute bereits relativ emissionsarm. Inzwischen strebt der Sektor die Klimaneutralität bis 2050 an.

    Erste Investitionen in grünen Wasserstoff/Ammoniak

    Aufgrund großer Standortvorteile bei erneuerbaren Energien gehört Brasilien zu den ersten Ländern weltweit, in denen grüner Wasserstoff kostengünstiger als konventioneller Wasserstoff hergestellt werden kann. Obwohl die Regierung noch keine nationale Wasserstoffstrategie festgelegt hat, wird schon das erste Projekt in Industriemaßstab umgesetzt:

    Bereits 2023 will der Düngemittelhersteller Unigel am Standort Camaçari im Staat Bahia grünen Ammoniak produzieren. Auch die Erweiterung der Produktionskapazität von 60.000 Tonnen auf 180.000 Tonnen grünen Ammoniak pro Jahr bis 2025 wurde bereits beschlossen. In einer dritten Phase erfolgt dann bis 2027 der Ausbau auf 600.000 Tonnen grüner Ammoniak pro Jahr. Insgesamt sind Investitionen von 1,5 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Die Elektrolysetechnologie stammt von thyssenkrupp nucera. Auch andere deutsche Zulieferer sind in Brasilien aktiv. 


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Gebäude: Bauisolierung bislang nur sehr begrenzt

    Gebäude verzehren etwa die Hälfte des brasilianischen Stroms. Zertifikate und Kreditlinien fördern die Energieeffizienz. Wichtigster Anreiz sind die steigenden Stromkosten.

    Seit April 2022 stellt das Energieministerium die Plattform SIDAC bereit, die die CO2-Emissionen verschiedener Baustoffe abbildet. Das Informationsportal wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt und wird nach und nach erweitert. Ziel ist es, die Politik darin zu unterstützen, Klimaschutzvorgaben für die Bauwirtschaft festzulegen. Brasiliens Wohnungsgesellschaften bauen sehr konservativ. Neue Techniken und Materialien setzen sich nur zögerlich durch.

    Das Programa Brasileiro de Etiquetagem em Eficiência Energética (PBE Edifica) schreibt für alle öffentlichen Gebäude die Zertifizierung ihrer Energieeffizienz vor. Alle weiteren Bauprojekte können die Auszeichnung Selo Procel Edificações und damit verbunden Finanzierungsangebote erhalten. Für Büro- und Geschäftsgebäude sowie AAA-Logistikhallen gehört die LEED-Zertifizierung des U.S. Green Building Council am brasilianischen Immobilienmarkt bereits zum Standard. In der Regel werden hier jedoch nur die Mindestanforderungen erfüllt.

    Potenzial zur Einsparung von Energie besteht daher auch bei zertifizierten Gebäuden, zumal die Stromtarife weiter steigen. Ein verstärktes Interesse an Technologien der Energieeffizienz haben neben den Betreibern von Geschäftsimmobilien auch die Betreiber von Einkaufszentren.

    Die Behörden verschärfen die Vorgaben für elektrische Geräte sowie für Klima- und Lüftungstechnik, regulieren die Gebäudedämmung jedoch nur marginal. Heiztechnik ist in Brasilien so gut wie kein Thema. Selbst im kälteren Süden besteht bislang wenig Interesse. Smarthome-Technologien stehen noch ganz am Anfang der Marktdurchdringung. 


    Weitere Informationen:

    Branchenanalyse: Wachstum der Bauwirtschaft lässt stark nach


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Landnutzung und -wirtschaft: Nachhaltigkeit und deren Nachweis

    Bis 2030 will Brasilien die illegalen Rodungen stoppen. Dafür wird Bioökonomie gefördert. Agrarkonzerne investieren bereits in die Rückverfolgung.

    Hochkonjunktur für illegale Rodungen

    Die Aufnahmen von Satelliten belegen für die vergangenen fünf Jahre einen kontinuierlichen Anstieg der Rodungen. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 10.753 Quadratkilometer Waldfläche gerodet oder degradiert – mehr als doppelt soviel wie im Jahr 2018. In dem Fünfjahreszeitraum verschwand eine Waldfläche vom Ausmaß der Niederlande. Besonders betroffen sind die Bundesstaaten Pará, Amazonas und Mato Grosso.

    Immerhin zeigt der Regierungswechsel Signalkraft. Das Länderimage Brasiliens verbesserte sich bereits deutlich. Für eine nachhaltige Eindämmung fehlt es nach wie vor an einer Definition der Besitzverhältnisse und langfristigen Strategien. Wichtige Maßnahmen legt die neue Regierung derzeit über den Aktionsplan zur Vorbeugung und Eindämmung der Entwaldung in Amazonien PPCDAm fest. Der Aktionsplan durchläuft von 2023 bis 2027 seine fünfte Phase. In der öffentlichen Anhörung im April 2023 gingen 540 Beiträge ein, die nun ausgewertet werden. Maßnahmen in vier zentralen Bereichen sollen die Entwaldung bis 2030 stoppen: 

    1. Nachhaltige Produktion
    2. Überwachung (Monitoring und Kontrolle)
    3. Grundbesitzrecht und Raumordnung
    4. Normative und wirtschaftliche Förderinstrumente

    Bioökonomieprojekte als Lösung?

    Großprojekte zur Wiederaufforstung und für Bioökonomie können der Entwicklung entgegenwirken. Unter der Regierung von Jair Bolsonaro strukturierte das Programm öffentlich-privater Investitionspartnerschaften (PPI) attraktive Geschäftsmodelle der Bioökonomie. Private Investoren sollten die Verantwortung für den Naturschutz übernehmen und der lokalen Bevölkerung zugleich Verdienstmöglichkeiten bieten. In der PPI-Pipeline finden sich neun Naturwälder zum nachhaltigen Forstmanagement sowie 18 Parks und Naturwälder, die für Ökotourismus genutzt werden können. Die neue Regierung prüft derzeit welche Konzessionierungen weiter vorangetrieben werden. Die Entwicklungsbank BNDES finanziert die Konzessionen und fördert zusammen mit der Forschungsgesellschaft Embrapii Forschung und Pilotprojekte der Bioökonomie.

    Nichtregierungsorganisationen und Fonds wie der Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz und die Black Jaguar Foundation strukturieren Projekte, die Landbesitzer und lokale Arbeitskräfte einbeziehen. Zudem stimulieren sie die Überwachung der immensen Flächen über Geotechnologie. Zur Förderung der Bioökonomie rief die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) 2021 den Amazon Bioeconomy Fund ins Leben. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert Projekte über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

    Agribusiness investiert in Rückverfolgung und Zertifikate

    Landwirte fürchten Handelshemmnisse sowie Boykotte gegen brasilianische Agrarprodukte – selbst wenn sie die relativ strengen Auflagen für den Umweltschutz einhalten. Somit gewinnen Zertifikate für Umweltstandards zunehmend an Stellenwert.

    So setzen der Kosmetikkonzern Natura und die Einzelhandelskette Carrefour in Brasilien bereits seit Jahren Überwachungssoftware ein, um die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten sicherzustellen. Immer mehr Handelsunternehmen und Nahrungsmittelkonzerne wie Louis Dreyfus Company (LDC), Cargill, Minerva und Frigol nutzen Geotechnologie zur Rückverfolgung und Zertifizierung. Marfig, JBS und die chinesische Trading Cofco kündigten ehrgeizige Investitionspläne für den Nachweis von Umweltstandards an. 

    Die Großkonzerne der Forst- und Landwirtschaft setzen auch auf Nachhaltigkeitskriterien, um sich eine möglichst zinsgünstige Finanzierung zu sichern. Insbesondere die börsennotierten Unternehmen wie große Zellstoffkonzerne verfolgen klare ESG-Strategien.

    Förderprogramm Plano ABC feiert Erfolge

    Seit 2011 fördert Brasilien Emissionsminderungen der Agrarwirtschaft über das Programm Agricultura de Baixo Carbono (Plano ABC). Im ersten Jahrzehnt wurden 170 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente eingespart – fast 50 Prozent mehr als ursprünglich vorgesehen. Die Neuauflage des Programms namens ABC+ verschärft die Zielvorgaben für die zweite Dekade von 2021 bis 2030. Es sollen 1,1 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente vermieden werden. Die technische Beratung und die zinsgünstigen Finanzierungen konzentrieren sich stärker auf klimaschonende Prozesse.


    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Fachkräfte für den Klimaschutz: Bildungsangebot wächst

    Bei dem stark steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften bilden die Unternehmen intern weiter.

    Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entstehen in Brasilien bis 2030 mindestens 1,2 Millionen neue Stellen durch eine ökologischere Wirtschaft. Die Schätzung gilt als zurückhaltend. Allein Unternehmen der Solarenergie benötigen voraussichtlich die Hälfte dieses Kontingents, wie eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berechnet.

    Wind- und Solarenergie legen seit Jahren einen starken Wachstumskurs hin. Nur in China, den USA, der EU und Indien entstehen mehr Stellen als in Brasilien, stellt die International Renewable Energy Agency (IRENA) fest. Bei Biokraftstoffen führt Brasilien mit 863.000 Arbeitsplätzen – weit vor den zweitplatzierten USA mit 322.600 Stellen.

    Der brasilianische Arbeitsmarkt weist insgesamt eine hohe Arbeitslosigkeit auf, die verdeckte Arbeitslosigkeit ist immens. Dementsprechend groß ist das Interesse an Anstellungen im Bereich erneuerbarer Energien und an Umschulungen. Oftmals bilden die Arbeitgeber intern aus oder weiter, um ihren Bedarf an Fachkräften zu decken.

    Zunehmend konzentrieren sich die brasilianischen Bildungseinrichtungen auf erneuerbare Energien. Brasilien gewährleistet die technische Ausbildung über den staatlichen Dienst SENAI. Derzeit bieten 63 Einrichtungen in 14 der 26 Bundesstaaten Angebote zu erneuerbaren Energien an. In Kooperation mit der GIZ erweiterten 2021 zehn weitere technische Schulen ihr Bildungsangebot um Berufe der Fotovoltaiktechnik. Zu dem SENAI-Netzwerk gehören auch Forschungseinrichtungen wie Centro de Tecnologias do Gás e Energias Renováveis (CTGAS-ER) und Instituto SENAI de Inovação em Energias Renováveis (ISI-ER) in Natal (Rio Grande do Norte). Neben SENAI bieten auch Hochschulen wie Instituto Federal do Norte de Minas Gerais (IFNMG) Ausbildungen an.

    Anzahl der Auszubildenden

    Ausbildungen als Elektriker:in für 

    2020

    2021 *

    Fotovoltaiksysteme

    1.645

    2.079

    Windkraftanlagen

    1.166

    1.323

    Erneuerbare Energien

    2.924

    17.066

    * nur bis Oktober 2021.Quelle: Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial (SENAI) 2022

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & Invest/Brasilien

    Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    AHK Brasilien

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

    Exportinitiative Energie

    Unterstützung im Exportgeschäft

    Ministério do Meio Ambiente

    Brasiliens Umweltministerium

    Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis (Ibama)

    Brasilianisches Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen

    ICMBio

    Chico Mendes Institute für Erhaltung der biologischen Vielfalt

    Associação Brasileira de Energia Eólica (ABEEólica)

    Verband für Windenergie

    Associação Brasileira de Energia Solar Fotovoltaica (ABSOLAR)

    Verband für Solarenergie

    Associação da Indústria de Cogeração de Energia (COGEN)

    Verband für Kraft-Wärme-Kopplung

    Associação Brasileira do Hidrogênio

    Verband für Wasserstoff

    Observatório do Clima

    Nichtregierungsorganisation für den Klimaschutz

    Instituto Clima e Sociedade (iCS)

    Nichtregierungsorganisation für den Klimaschutz

    Conselho Empresarial Brasileiro para o Desenvolvimento Sustentável (CEBDS)

    Unternehmensverband für nachhaltige Entwicklung

    Brazil Climate Hub

    Informationsportal zum Klimaschutz

    3. Brasilianischer Wasserstoffkongress

    Wasserstoffkongress zum Thema Energiewende, Dekarbonisierung und Reindustrialisierung in Maricá, Bundesstaat Rio de Janeiro, 29. - 31. Mai 2023

  • Angebote der AHK

    AHK Brasilien

    Das Thema der erneuerbaren Energien gewinnt unter unseren Mitgliedern zunehmend an Bedeutung, insbesondere hinsichtlich des Potentials Brasiliens, auf dem Markt für grünen Wasserstoff zum Global Player zu werden.

    Wir haben 2021 das Webinar "ABC do Hidrogênio Verde" (Das kleine Einmaleins des grünen Wasserstoffs) angeboten, auf dem Fachleute mit den 340 Teilnehmern über Chancen und Herausforderungen sprachen, die dieser Energieträger mit sich bringt.

    Außerdem haben wir einen Hackathon organisiert, um im Innovationsökosystem für die Bedeutung und die Dringlichkeit des Themas zu sensibilisieren und die Entwicklung innovativer Lösungen zu fördern. Der Hackathon bestand aus einer Reihe von Veranstaltungen, die gemeinsam mit der Hochschule für Informatik und Betriebswirtschaft im Bundesstaat São Paulo (FIAP) organisiert wurden, und zählte 125 Anmeldungen.

    Deutsch-Brasilianischer Kongress zu grünem Wasserstoff

    Anlässlich des 2. Deutsch-Brasilianischen Kongresses zu grünem Wasserstoff im Dezember 2021 wurden wichtige Initiativen ins Leben gerufen. So hat beispielsweise das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Projekte in der Privatwirtschaft ausgeschrieben, und ein Innovationsprogramm wurde gestartet, um das lokale Innovationsökosystem für grünen Wasserstoff zu fördern. Gefördert wurde die Veranstaltung außerdem vom brasilianischen Ministerium für Bergbau und Energie (MME) und von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – 590 Anmeldungen.

    Industrielles Netzwerk

    Das industrielle LEEN-Netzwerk wurde geschaffen, um die Energieeffizienz über Weiterbildungsprogramme und den Austausch von Know-how zwischen verschiedenen Industriezweigen zu fördern. Im Laufe von zwölf Monaten hat die Initiative technische Begleitung angeboten und die Analyse des Energieverbrauchs, um Energieeffizienzmaßnahmen durchzuführen und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu fördern. Von Juni 2020 bis November 2021 fand die Pilotinitiative statt, zunächst im Bundesstaat São Paulo. Die Ergebnisse waren ermutigend: Die teilnehmenden Unternehmen haben durch Energieeffizienzmaßnahmen insgesamt 38,12 Gigawattstunden pro Jahr eingespart und 31,14 Gigawattstunden pro Jahr aus erneuerbaren Quellen wie Biogas, Biomasse oder Fotovoltaik bezogen.


    Anfang der 2000er Jahre wurde der European Energy Manager (EUREM) von der Industrie- und Handelskammer Nürnberg (IHK Nürnberg) entwickelt, um Anreize zu geben zur Ausbildung von Energiemanagern mit dem analytischen Know-how zur Entscheidungsfindung. In Brasilien wird das Programm gemeinsam mit der Universidade Presbiteriana Mackenzie durchgeführt. Zum Start im August 2021 haben sich 25 Studenten eingeschrieben.

    Kontakt


    Telefon: +55 11 5187 5100

    E-Mail: secgeral@ahkbrasil.com

    Homepage: http://www.ahkbrasilien.com.br

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