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Interview | Brasilien | Dekarbonisierung

"Große Konvergenz zwischen der Regierung und dem Privatsektor"

Staatssekretär Rodrigo Rollemberg spricht über die Entwicklung der Gesetzgebung zur Dekarbonisierung in Brasilien und ihre Auswirkungen auf den Privatsektor.

Von Dr. Julio Pereira | Berlin

Rodrigo Sobral Rollemberg, Staatssekretär, Sekretariat für grüne Wirtschaft, Dekarbonisierung und Bioindustrie (SEV) Rodrigo Sobral Rollemberg, Staatssekretär, Sekretariat für grüne Wirtschaft, Dekarbonisierung und Bioindustrie (SEV) | © Gabriel Lemes/MDIC

Brasilien setzt sich für die Verabschiedung einer Reihe ambitionierter Gesetze ein, die darauf abzielen, Kohlenstoffemissionen zu reduzieren und Nachhaltigkeit zu fördern. An der Spitze dieser Initiativen steht das Ministerium für Entwicklung, Industrie, Handel und Dienstleistungen (MDIC) mit einer Sondereinrichtung: dem Sekretariat für grüne Wirtschaft, Dekarbonisierung und Bioindustrie (SEV). In diesem Interview mit Germany Trade & Invest (GTAI) spricht Staatssekretär Rodrigo Rollemberg über die Änderungen in der brasilianischen Gesetzeslandschaft im Hinblick auf die Dekarbonisierung.

Herr Rollemberg, das SEV ist eine der großen Neuerungen im brasilianischen Rechtssystem. Unter welchen Umständen wurde es gegründet?

Im Zusammenhang mit der Klimakrise, denn diese hat deutlich gemacht, dass wir unser Produktions- und Konsumverhalten ändern müssen. Das lineare Wirtschaftsmodell, bei dem natürliche Ressourcen abgebaut, im Übermaß genutzt und dann weggeworfen werden, ist erschöpft. Wir brauchen andere Produktionsmethoden, die auf erneuerbaren Energien beruhen und die Kohlenstoffemissionen reduzieren können. Daher haben Nachhaltigkeit und grüne Wirtschaft seit dem ersten Tag der Amtszeit von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Priorität.

Was sind die rechtlichen Ziele des SEV?

Das SEV hat zwei Hauptpfeiler: Die Dekarbonisierung der verschiedenen Wirtschaftssektoren und die Bioökonomie, die die Produkte der brasilianischen Artenvielfalt sowie die immense Verfügbarkeit von Biomasse für die Herstellung von Biokraftstoffen umfasst. Wir sind bestrebt, die nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen und die Kohlenstoffemissionen durch saubere Technologien und innovative Praktiken zu reduzieren. Dies ist in den Rechtsinstrumenten vorgesehen.

Am 2. August 2024 hat Brasilien den Rechtsrahmen für kohlenstoffarmen Wasserstoff verabschiedet. Verändert dies das rechtliche Panorama Brasiliens in Bezug auf die Dekarbonisierung?

Ganz bestimmt. Es ist ein sehr wichtiger Schritt in unserer grünen Agenda. Eine Studie von Bloomberg (BNEF) zeigt, dass Brasilien das Potenzial hat, bis 2030 den billigsten grünen Wasserstoff der Welt zu produzieren. Das liegt an unserem enormen Potenzial für die Erzeugung von Photovoltaik und On- und Offshore-Windenergie. Das Gesetz bietet Rechtssicherheit für Geschäfte mit ausländischen Märkten, insbesondere mit Deutschland. Brasilien und Deutschland haben eine lange Tradition in der industriellen Kooperation, die wir gerne verstärken möchten. Neben dem neuen Gesetz gibt es weitere Wettbewerbsvorteile Brasiliens in diesem Bereich. Im vergangenen Jahr stammten 94 Prozent unserer Strommatrix aus erneuerbaren Quellen. Fast 50 Prozent des gesamten Energiemixes sind ebenfalls aus erneuerbaren Energien. Hinzu kommt die geografische Nähe von Brasiliens Nordostküste zum europäischen Markt.

Ein weiteres wichtiges Rechtsinstrument ist der Gesetzentwurf zur Regelung des Kohlenstoffmarktes in Brasilien. Es sieht die Schaffung des brasilianischen Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionen (SBCE) vor. Wie wird der Kohlenstoffmarkt funktionieren?

Er wird wie der europäische Markt funktionieren. Unser Gesetz lehnt sich an das Cap-and-Trade-Modell (EU-ETS) an. Es wird eine Obergrenze für die Menge an CO₂-Emissionen geben, die jedes Unternehmen produzieren darf. Außerdem werden Emissionsquoten festgelegt, die gehandelt werden können. Unternehmen, die mehr als diese Quote ausstoßen, müssen ihre Emissionen ausgleichen. Mit anderen Worten: Diese Unternehmen müssen auf dem regulierten Markt Quoten von Unternehmen kaufen, die weniger emittiert haben. Die jährliche Anzahl der Emissionsquoten wird von einem Verwaltungsorgan festgelegt. Dies wird ein weiterer Impuls für die Unternehmen sein, ihre Produktionsprozesse zu dekarbonisieren.

In Brasilien gibt es bereits einen freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Werden der freiwillige Markt und der regulierte Markt in Zukunft nebeneinander bestehen?

Sie werden nicht nur nebeneinander bestehen, sondern ich würde sagen, dass der eine den anderen stärken wird. Wenn man zulässt, dass ein Teil der Emissionen ausgeglichen wird, entsteht ein positiver Kreislauf, der den Kohlenstoffmarkt stimuliert. Der freiwillige Markt wird einen Teil seiner Emissionsrechte an den regulierten Markt verkaufen können.

Was das Gesetzgebungsverfahren betrifft, so wurde der Gesetzentwurf im Dezember 2023 von der Abgeordnetenkammer verabschiedet. Aber er ist ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2015. Was fehlt noch, damit dieses Gesetz verabschiedet werden kann?

Obwohl der Gesetzesentwurf ursprünglich 2015 vorgelegt wurde, kam er erst Anfang 2023 richtig in Gang. Hierbei hat das SEV eine Schlüsselrolle gespielt. Wir haben dieses Thema gleich zu Regierungsbeginn prioritär behandelt. Zehn Ministerien haben an der Ausarbeitung eines moderneren Textes mitgewirkt. Der Umweltausschuss des Senats hat diesen rasch gebilligt. Mit einigen Änderungen der Abgeordnetenkammer ging der Entwurf zurück an den Senat.

Dies war im Februar 2024, seitdem ist das Gesetzgebungsverfahren ins Stocken geraten...

Im Kongress besteht Einigkeit darüber, dass der Gesetzentwurf bis Ende Oktober dieses Jahres fertig gestellt sein wird. Von da an werden wir an den Regulierungen arbeiten. Die Idee ist, unseren Kohlenstoffmarkt so bald wie möglich einzuführen.

Das heißt, könnte das Kohlenstoffmarktgesetz in Brasilien bis Ende des Jahres verabschiedet werden?

Ich bin fest davon überzeugt.

Zur Frage der Fördergesetze für die Energiewende. Andere lateinamerikanische Länder haben spezifische Gesetze zu diesem Thema. Kolumbien, zum Beispiel. Chile ist gerade dabei, ein Gesetz zu verabschieden. Und Brasilien?

Brasilien auch. Wir glauben, dass alle Rechtsinstrumente unserer grünen Agenda bereits ein solides Energiewendeprogramm darstellen. Dazu gehören die Regulierung von kohlenstoffarmem Wasserstoff, grünem Kraftstoff, Offshore-Windenergie, der Kohlenstoffmarkt, der Bio-Einsatzstoffe und die Regulierung der Kreislaufwirtschaft. Darüber hinaus haben wir einen spezifischen Gesetzentwurf für ein Programm zur Beschleunigung der Energiewende.

Beziehen Sie sich auf das PATEN-Programm?

Ganz genau.

Wie wird das PATEN-Programm funktionieren und wer wird es verwalten?

PATEN ist ein Programm, das Mechanismen zur Förderung großer Investitionen für die Energiewende schafft. Vorgeschlagen wird die Einrichtung eines sogenannten Fundo Verde - einem privaten Garantiefonds, der von der Brasilianischen Entwicklungsbank verwaltet wird. Er soll Projekte zur nachhaltigen Entwicklung finanzieren, insbesondere Infrastrukturprojekte und technologische Innovationen. Die Gelder des Fundo Verde bilden neben anderen Finanzinstrumenten die Finanzierungsstrategie für Großprojekte, die mit der Energiewende zusammenhängen.

Ist der Privatsektor an der Ausarbeitung der neuen Rechtsinstrumente zur Dekarbonisierung beteiligt?

Ja, es gibt eine große Konvergenz zwischen der Regierung, namentlich dem MDIC, und dem produktiven Sektor. Sowohl die Gesetzesentwürfe als auch die kürzlich in Kraft getretenen Gesetze wurden unter aktiver Beteiligung der am Thema Dekarbonisierung interessierten Unternehmen ausgearbeitet. Einer der Pfeiler des SEV ist der Dialog mit dem Privatsektor.

Wie kann ein deutsches Unternehmen an den regulatorischen Fortschritten bei der Dekarbonisierung in Brasilien mitwirken?

Indem es sich direkt an das SEV wendet. Wir sind jederzeit bereit, Ideen entgegenzunehmen, die die Einführung nachhaltiger Praktiken und die Dekarbonisierung der Wirtschaft fördern. Die Klimakrise hat mehr denn je gezeigt, dass Zusammenarbeit unerlässlich ist. Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern, zwischen dem Privatsektor, dem öffentlichen Sektor und der Wissenschaft - dieser Austausch ist die grundlegende Quelle der Gesetzgebung.

Secretaria de Economia Verde, Descarbonização e Bioindústria (SEV)

Telefonnummer: +55 (61) 2027-8055

E-Mail: sev.agenda@mdic.gov.br

Ministério do Desenvolvimento, Indústria, Comércio e Serviços (MDIC)

Adresse: Esplanada dos Ministérios - Ministério do Desenvolvimento, Indústria, Comércio e Serviços, Bloco J - CEP: 70053-900 - Brasília/DF.

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