Special | Brasilien | Beschaffung
Brasilien will mit CO2-armen Metallerzeugnissen punkten
Zwei europäische Metallkonzerne investieren in die Fertigung von Stahlerzeugnissen in Brasilien. Welche Chancen bietet das Land als Beschaffungsmarkt für Deutschland?
26.06.2023
Von Gloria Rose | São Paulo
Für Deutschland ist Brasilien derzeit kein wichtiger Lieferant von Stahl und Metallerzeugnissen. Laut Statistischem Bundesamt rangierte das südamerikanische Land im Jahr 2022 bei den Einfuhren von Eisen und Stahl auf Platz 22 und bei Metallerzeugnissen weit abgeschlagen auf Platz 47. Selbst aus Russland bezog Deutschland im vergangenen Jahr deutlich mehr Waren aus diesen Produktkategorien - aller Sanktionen zum Trotz.
Der Lateinamerikageschäftsführer des deutschen Maschinenbauers Vulkan, Klaus Hepp, sieht in dem "Custo Brasil" den Grund dafür, dass Brasilien bislang nicht als Beschaffungsmarkt für verarbeitete Metallwaren in Frage kommt. Das sind brasilienspezifische Kosten wie hohe Bürokratie und Besteuerung, fehlende Vorhersehbarkeit und eine mangelhafte Transportinfrastruktur, die die Produktivität beeinträchtigen. Viele Hersteller würden deshalb nur für den abgeschotteten Inlandsmarkt produzieren, zumal der hoch volatile Wechselkurs den Außenhandel erschwere.
Warum Brasilien ein interessanter Beschaffungsmarkt werden kann
Und doch lohnt sich ein Blick nach Brasilien. Denn mittel- und langfristig kann das südamerikanische Land eine wichtigere Rolle als Beschaffungsmarkt übernehmen - insbesondere wenn das EU-Mercosur-Abkommen ratifiziert wird. Punkten will Brasilien vor allem mit einer nachhaltigen Produktion von Metallerzeugnissen. Ein Faktor, der im Zuge der globalen Dekarbonisierung an Bedeutung gewinnen dürfte.
Bereits heute weist Brasilien eine sehr saubere Energieversorgung auf: Im Jahr 2022 wurden 92 Prozent des Stroms über erneuerbare Energien erzeugt. Außerdem sind die Bedingungen für eine hochproduktive Forstwirtschaft sowie die effiziente Verwertung von Bioenergie exzellent. Gleichzeitig ist das Land reich an Rohstoffen, die für die Metallindustrie essenziell sind: Brasilien ist nach Australien zweitgrößter Produzent von Eisenerz. Bei Bauxit liegt das Land nach Australien, China und Guinea auf Platz vier. Hinzu kommt: Bei der Wiederverwertung von Aluminiumdosen liefert das Land hervorragende Ergebnisse. Bei Stahl besteht dahingegen noch großes Verbesserungspotenzial.
Vallourec und ArcelorMittal setzen auf Brasilien
Zwei europäische Unternehmen wollen deshalb ihre Produktion nach Brasilien verlagern. Im Mai 2022 verkündete Vallourec, ein französischer Hersteller von Stahlrohren, den Betrieb der Traditionswerke in Düsseldorf und Mühlheim bis Ende 2023 einzustellen. Auch Werke in Frankreich und Schottland werden geschlossen. Stattdessen will der französische Konzern zukünftig in Brasilien produzieren und die dort hergestellten Rohre nach Europa exportieren.
Im Bundesstaat Minas Gerais betreibt er die Eisenerzmine Pau Branco und eigene Forstwälder zur Gewinnung von Holzkohle über ein innovatives, emissionsarmes Verfahren namens Carboval. Um die Produktion zukünftig CO2-neutral zu gestalten, investiert der Konzern auch in Solar- und Windenergie. Neben Vallourec verstärken auch die Stahl- und Aluminiumkonzerne in Brasilien ihre Investitionen in erneuerbare Energien und emissionsarme Produktionsverfahren.
Im Juli 2022 übernahm ArcelorMittal für 2,2 Milliarden US-Dollar den brasilianisch-südkoreanischen Stahlkomplex Companhia Siderúrgica do Pecém (CSP). Das erst 2008 errichtete Stahlwerk im Industriehafen von Pecém im nordöstlichen Bundesstaat Ceará exportiert heute in die USA und nach Mexiko. Die in Luxemburg ansässige Gruppe verstärkt mit der Übernahme nun ihre Präsenz in Nord- und Südamerika. Die Investition ist aber auch eine strategische Entscheidung. Zukünftig kann ArcelorMittal das Werk um eine Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) erweitern und die kostengünstige Wind- und Solarenergie für die Produktion von grünen Stahlerzeugnissen nutzen. Brasiliens Nordosten ist ein relativ nah gelegener Standort für den Export nach Europa.
Die EU und die Mitgliedsländer der Zollgemeinschaft Mercosur, der Brasilien angehört, haben 2019 ein Assoziierungsabkommen geschlossen. Die Ratifizierung steht allerdings noch aus und ist in einigen Ländern umstritten. Auch für den Handel mit Mineralien und Metallerzeugnissen wäre das Abkommen ein großer Vorteil. Das Abkommen würde die vorher teilweise sehr hohen Zölle für alle Metallprodukte auf null setzen. Eine gründliche Ausarbeitung von Verträgen und eine angemessene Risikobewertung durch Spezialisten vor Ort sind unabdingbar. Die deutschen Auslandshandelskammern in São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre vermitteln Geschäftspartner und Dienstleister für die Geschäftspartnerprüfung. In Brasilien sind gute persönliche Beziehungen ausschlaggebend für den Geschäftserfolg. Über wichtige interkulturelle Besonderheiten informiert unsere Publikation Verhandlungspraxis kompakt. |
Brasilien produziert hauptsächlich für regionale Märkte
Brasilien ist der neuntwichtigste Stahlhersteller der Welt. Im Dezember 2022 produzierte das Land mit 2,5 Millionen Tonnen ähnlich große Mengen wie Deutschland, die Türkei und Iran. Fast ein Drittel der Stahlerzeugnisse wird exportiert, allen voran in die USA und in die lateinamerikanischen Länder Argentinien, Mexiko und Kolumbien. Obwohl Brasiliens Anteil an der weltweiten Stahlproduktion bei unter 2 Prozent liegt, ist das Land für den Kontinent als Lieferant von großer Bedeutung, denn mehr als die Hälfte des in Lateinamerika gefertigten Stahls kommt aus Brasilien.
Brasilien verfügt über 31 Stahlwerke, 15 davon integrieren die Roheisen- und Rohstahlherstellung (Primärmetallurgie), die Stahlproduktion (Sekundärmetallurgie) und die Halbzeugfabrikation. Der Großteil konzentriert sich auf die Bundesstaaten Minas Gerais, São Paulo und Rio de Janeiro im Südosten. Die jährliche Produktionskapazität beläuft sich auf 51 Millionen Tonnen Stahl und liegt in der Hand von 12 Konzernen.
Brasilien ist nach China und Australien der drittgrößte Hersteller von Aluminiumoxid (Tonerde), exportiert jedoch den Großteil der Produktion. Nur CBA, Hydro und Alcoa produzieren Reinaluminium. Bei Aluminiumerzeugnissen ist das Land somit weniger bedeutend. In diesem Jahr fährt das Joint Venture des US-Konzerns Alcoa und des australischen Montanunternehmens South32 die seit 2015 stillgelegte Aluminiumhütte Alumar in São Luís im nordöstlichen Staat Maranhão wieder hoch. Durch die Inbetriebnahme kann Brasilien laut Branchenverband ABAL schon 2023 zum weltweit achtgrößten Hersteller von metallischem Aluminium aufsteigen. Im Jahr 2022 belegte das Land Rang 12.
Brasilien ist das fünftgrößte Flächenland der Welt. Seine mangelhafte Verkehrsinfrastruktur erschwert den Warenaustausch im Inland und mit Nachbarstaaten. Der Gütertransport innerhalb des Landes erfolgt vorwiegend über die Straße. Die Infrastruktur ist am besten im Südosten und Süden ausgebaut, wo selbst ländliche Regionen gut angebunden sind. Der Gütertransport ist vergleichsweise teuer. Ein Logistikkonzept muss den spezifischen Bedingungen in Brasilien gerecht werden. Der Logistiksektor bietet dazu integrierte und auf die Branchen zugeschnittene Lösungen an, wodurch sich Kosten und Risiken reduzieren lassen. Unser Beitrag zur Logistik in Brasilien hat weitere Informationen zum Thema. Weitere Informationen zu zollrechtlichen Regeln bieten unser Überblick zur Wareneinfuhr in die EU sowie unsere Publikation Zoll und Einfuhr kompakt - Brasilien. |
Investitionen in DRI-Anlagen nicht in Sicht
Im Zuge der Dekarbonisierung kann die energieintensive Metallindustrie in Brasilien kostengünstig auf Holzkohle und Biogas zurückgreifen. Investitionen in teure Verfahren zur elektrolysegestützten Direktreduktion von Eisenerz (DRI) kündigte die brasilianische Stahlindustrie jedoch bislang nicht an.
Vorhaben | Investitionssumme (in Millionen US$)* | Projektstand | Projektträger |
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Erweiterung des Bauxitabbaus und der Aluminiumproduktion + Vervierfachung des Aluminiumrecyclings | 775 | Ankündigung Mitte 2021; Ausführung bis 2025 | Companhia Brasileira de Alumínio (CBA) |
Errichtung eines Komplexes zur Metallverarbeitung in Açailândia (Maranhão) | 329 | Ankündigung des 10-Jahresplans im Februar 2022 | Aço Verde do Brasil (AVB) (2020: CO2-neutral Zertifizierung durch die Schweizer SGS-Gruppe) |
Verdopplung der Produktionskapazität von Langstahl in Pindamonhangaba (São Paulo) | 300 | Ankündigung im Juni 2022; Inbetriebnahme ab 2025 | Simec (Mexiko) |
CO2-Emissionsminderung im Aluminiumwerk Alunorte (Erdgas, Strom und Biomasse statt Heizöl) sowie im Bauxitabbau im Staat Pará | 270 | Ankündigung Anfang 2022; Inbetriebnahme 2024 | Norsk Hydro (Norwegen) |
Modernisierung des Stahlwerks in Santa Cruz (Rio de Janeiro) | 252 | Abschluss bis 2025 | Ternium |
Wiederinbetriebnahme von Alumar /Joint Venture von Alcoa (USA) und South32 (Australien) in São Luís (Maranhão) + CO2-Emissionsminderung in Alumar und in Poços de Caldas (Minas Gerais) | 252 | Ankündigungen im September 2021 und im Januar 2022 | Alcoa (USA) |
Modernisierung des Walzwerks in Timóteo (Minas Gerais) und Investitionen in Bioenergie (Holzkohle aus schnell wachsenden Forstwäldern) | 114 | Ankündigung im Mai 2022 mit dem Ziel das Angebot von Spezialstählen ab 2024 zu erweitern | Aperam (2021: CO2-neutral Zertifizierung durch die Schweizer SGS-Gruppe) |
Bezeichnung | Anmerkung |
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Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
Ministerium für Bergbau und Energie von Brasilien | |
Verband für Stahlindustrie | |
Verband der Aluminiumindustrie | |
Associação Brasileira de Metalurgia, Materiais e Mineração (ABM) | Verband für Metallurgie, Materialien und Bergbau |
Messe für Metallurgie, Materialien und Bergbau, 1. bis 3. August 2023, Pro Magno, São Paulo | |
Messe für Stahl, 26. bis 17. September 2023, Hotel Unique, São Paulo | |
Messe für Bergbau, 28. bis 31. August 2023, Pará |