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E-Commerce
Die Digitalisierung durchdringt die brasilianische Gesellschaft. Das Land entwickelt sich zur Spielwiese für neue Anwendungen und Geschäftsmodelle.
29.04.2022
Von Johannes Dimas | Rio de Janeiro
Rasantes Wachstum beim E-Commerce
Der Onlinehandel in Brasilien boomt. Im Jahr 2021 stiegen die Umsätze im E-Commerce um gut 27 Prozent, meldet Neotrust. Künftig wird sich das Wachstum aber abschwächen, schätzt das brasilianische Unternehmen zur Datenanalyse. Unter Vorbehalt der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Ungewissheit rechnet Neotrust für 2022 mit einem Wachstum von 9 Prozent.
Der E-Commerce macht seit Beginn der Pandemie regelmäßig über 10 Prozent des monatlichen Umsatzes im Einzelhandel aus. Dabei werden im November aufgrund des Black Friday und der Vorweihnachtszeit jedes Jahr die höchsten Umsätze generiert, wie der Index MCC-ENET zeigt.
E-Commerce und Mobiltelefon sind untrennbar
Nach dem Report State of Mobile 2022 des Marktforschungsunternehmens App Annie verbringen die Menschen in Brasilien und Indonesien mit 5,4 Stunden pro Tag weltweit die meiste Zeit am Mobiltelefon. Die Zeit, in der Shopping-Apps genutzt werden, stieg 2021 um 45 Prozent. Das Mobiltelefon ist laut brasilianischer Zentralbank der mit Abstand meistgenutzte Kanal für Bankgeschäfte.
Auf 98 Prozent der brasilianischen Smartphones ist WhatsApp installiert, schreibt der Marktforscher Opinion Box. Rund 76 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer kommunizieren darüber mit Unternehmen, 52 Prozent kauften Waren und Dienstleistungen. Die Anwendung "WhatsApp Business" ist Marktführer. Auf dem zweiten Platz liegt GetNinjas, eine Plattform für Dienstleistungen aus São Paulo, schreibt App Annie.
Spielraum für FinTech-Innovationen
Die Menschen in Brasilien sind offen für neue Apps, speziell auch im Bereich Finanzen. Die Download-Rate von Finanz-Apps verzeichnete laut App Annie ein Wachstum von 175 Prozent über die letzten vier Jahre.
Außerdem hat Brasilien eine sehr agile Start-up-Szene. Ein Beispiel ist der Krypto-Broker Mercado Bitcoin. Seine Muttergesellschaft 2TM ist laut Valor Investe das achtgrößte unter den rund zwanzig Einhorn-Start-ups in Lateinamerika. Die Marktbewertung liegt aktuell bei über 2,1 Milliarden US$.
Die brasilianische Nubank hatte 2021 die weltweit dritthöchste durchschnittliche Zahl an monatlich aktiven Nutzern (MAU), so App Annie. Die Bank hat ihren Verwaltungssitz in São Paulo und ein Büro zur Software-Entwicklung in Berlin. Sie ist auch in Mexiko aktiv. In beiden lateinamerikanischen Ländern pflegen viele Personen keine feste Bindung zu klassischen Privatkundenbanken.
Unter den bargeldlosen Zahlungsmitteln hat sich PIX rasant etabliert. Das nationale System für kostenlose und bankenübergreifende Sofortzahlungen wurde 2020 von der Zentralbank eingeführt. Der Anteil der über PIX getätigten Zahlungen liegt bereits bei über 12 Prozent, mit steigender Tendenz. Kartenzahlungen bleiben mit 54 Prozent führend.
Die Initiative Open Banking der Zentralbank soll den Wettbewerb zwischen den Finanzinstituten stärken. Angebote der beteiligten Institute sind zentral vergleichbar. Kunden können ihre gesamte Bankhistorie mit den Instituten teilen. Ein solch gläserner Kunde wirft in Brasilien wenig Bedenken auf. Open Banking wird schrittweise ausgeweitet, zum Beispiel auf Versicherungen sowie den Zahlungs- und Devisenverkehr. Auf Antrag bei der Zentralbank können ab September 2022 digitale Zahlungsdienstleister einschließlich FinTechs Devisengeschäfte direkt anbieten.
Marktführer investierten schon vor der Pandemie
Marktführer bei den Onlinemarktplätzen ist Mercado Livre. Das argentinische Unternehmen ist in 18 Ländern präsent und firmiert außerhalb Brasiliens unter MercadoLibre. Es bietet auch Bezahldienste und Logistikleistungen.
Die großen Anbieter wie Mercado Livre, Americanas, Amazon oder Magazine Luiza hatten schon vor der Pandemie ihre Logistik stetig ausgebaut. Ein Großteil der Verkäufe wird über die eigene Logistik ausgeliefert.
Produktgruppe | Anteil |
---|---|
Möbel und Haushaltsgeräte | 28,5 |
Textilien, Kleidung und Schuhwerk | 10,4 |
Sonstige Artikel für den persönlichen Bedarf und Haushalt | 5,5 |
Pharmazeutische, medizinische und orthopädische Produkte, Parfüm und Kosmetika | 7,1 |
Hyper-, Supermärkte und Lebensmittel, Tabakwaren | 3,9 |
Printmedien und Schreibwaren | 1,9 |
Kraft- und Schmierstoffe | 0,0 |
Digitalisierung kann den Markteintritt erleichtern
Deutsche Unternehmen können auf ein großes Angebot an digitalen Dienstleistungen zurückgreifen und sich so auf ihre Kernkompetenz fokussieren. Onlinemarktplätze und Shop-Portale sind mit ihren Zahlungssystemen und Lieferdiensten eine Alternative zum analogen Markteintritt. Der Import von Waren und Dienstleistungen erfordert allerdings Kenntnisse über Einfuhr und Besteuerung.
Brasiliens Konsumenten sind aufgeschlossen gegenüber Neuem, haben eine hohe Fehlertoleranz und wenig Bedenken beim Teilen von Daten. Das kann interessant für das Testen digitaler Lösungen sein (Early Access- und Beta-Apps).
Bei kritischen Vorgängen, insbesondere Bankgeschäften, ist Vorsicht mit reinen Onlinelösungen geboten. Die Prozesse sind genauso fehleranfällig wie in der analogen Welt. Den Hotlines fehlt es oft an Handlungsbefugnis zur Problemlösung.
Anbieter | Seitenzugriffe in Mio. | Anteil (in %) *) |
---|---|---|
Mercado Livre | 240,1 | 30 |
Americanas | 128,8 | 16 |
Amazon Brasil | 92,9 | 11 |
Magazine Luiza | 89,1 | 11 |
Shopee | 69,6 | 9 |
Andere | - | 23 |
Cybercrime: Die Kehrseite der schnellen Digitalisierung
Die Cyberkriminalität in Brasilien ist hoch. Die quantitative Einordnung dazu ist uneinheitlich. Datendiebstähle und Leaks sind verbreitet. Auch staatliche Seiten werden angegriffen. Die Ziele der Hacker liegen nicht nur in Brasilien.
ClearSale ist einer der weltweit größten Dienstleister zur Prävention von Betrug im E-Commerce. Das brasilianische Unternehmen verzeichnete 2021 einen landesweiten Anstieg der Betrugsversuche um 74 Prozent. Das ist in etwa proportional zum wachsenden Auftragsvolumen. Beliebteste Zielobjekte im Handel waren Mobilfunk- und Elektronikgeräte. Im Finanzsektor waren 3,3 Prozent aller Transaktionen betroffen.
Brasiliens Gesetz zum Datenschutz setzt hohe Standards. Das Thema ist in der Breite aber noch nicht angekommen. Regelmäßig müssen sensible Daten unverschlüsselt ausgetauscht werden, um einen Geschäftsvorgang abschließen zu können. Das betrifft selbst Banken und Video-Ident-Anbieter.
Kontaktadressen
Bezeichnung | Anmerkungen |
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Brasilianischer Verband für E-Commerce | |
Messe für digitales Marketing und Onlinehandel |
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