Branchenbericht Chile Wasserstoff
Die Umsetzung von Chiles Wasserstoffstrategie nimmt Fahrt auf
Kaum ein Land der Welt bietet so hervorragende natürliche Bedingungen zur Produktion von grünem Wasserstoff wie Chile. Erste Projekte starten vielversprechend.
04.04.2023
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Chile war 2020 der erste Staat in Lateinamerika, der sich eine nationale Wasserstoffstrategie auf die Fahnen geschrieben hat. Diese sieht nicht nur vor, mittels Wasserstoff die eigene Energiewende zu schaffen. Überdies will "das Land am Ende der Welt" Exportweltmeister für grünen Wasserstoff beziehungsweise dessen Derivate werden. Jetzt füllt sich die Strategie mit Leben.
Wesentliches Element ist die Schaffung einer lokalen Nachfrage. "Tatsächlich gibt es bisher keinen funktionierenden Markt für grünen Wasserstoff", so Erwin Plett, Sekretär beim chilenischen Wasserstoffverband H2Chile, "weder in Chile noch weltweit." Wo es keine Nachfrage gibt, zögern die Firmen, sich auf die Erzeugung einzulassen. Umgekehrt kann sich ohne Angebot nur schwerlich eine Nachfrage entwickeln.
Um diesem "Ei-Henne-Dilemma" zu entgehen, zielt Chiles Wasserstoffstrategie speziell auch auf Anwendungen von grünem Wasserstoff. Dabei gelten diejenigen am aussichtsreichsten, für die es bereits eine Nachfrage nach Wasserstoff gibt; das heißt, für die beispielsweise grauer Wasserstoff gebraucht wird, der lediglich durch grün erzeugten ersetzt werden muss.
Nachfragepioniere ebnen den Weg für grünen Wasserstoff
Landesweit gibt es in Chile bereits eine Reihe vielversprechender Pilotprojekte:
- Teilweise Substitution von Erdgas durch Wasserstoff: Seit November 2022 speist Gasvalpo mit Sonnenenergie produzierten grünen Wasserstoff in das Erdgasnetz der Stadt Coquimbo ein. Gegenwärtig beträgt der Wasserstoffanteil nur 3,5 Prozent, innerhalb der nächsten zwei Jahre soll er schrittweise auf 20 Prozent steigen. Bis zu diesem Anteil sind noch keine Veränderungen an den Endgeräten (Brenner, Boiler etc.) nötig. Rund 2.200 Haushalte sind an dem Pilotvorhaben H2GN beteiligt. Die Anfangsinvestitionssumme beträgt 1 Million US-Dollar, so Veröffentlichungen des Gaslieferanten, an dem mehrheitlich die japanische Marubeni Corporation beteiligt ist. Die Universität von La Serena begleitet das Pilotvorhaben. Um die nationalen Kohlenstoff-Reduktionsziele zu erreichen, soll diese Mischungsmethode auch auf andere Städte übertragen werden. Nach Aussage von Jorge Matamala Bozzo, Deputy Manager von Gasvalpo, ist das Interesse anderer Kommunen groß.
- Substitution von Importammoniak durch in Chile hergestellten grünen Ammoniak: Gegenwärtig errichtet die Firma ENAEX gemeinsam mit dem Stromerzeuger Engie in Tocopilla ein Werk zur Produktion von grünem Amoniak (HyEx - Ammonia Synthesis). Geplant ist eine Jahresproduktion von 18.000 Tonnen. Der Ammoniak soll exklusiv zur Produktion von Ammoniumnitrat in der ENAEX-Fabrik in Mejillones eingesetzt werden, welches im nächsten Schritt zu Sprengstoff für den Bergbau weiterverarbeitet wird. Den benötigten Wasserstoff wird Engie aus erneuerbaren Energieträgern mit Hilfe von 26-Megawatt-Elektrolyseuren liefern, so Firmenangaben von ENAEX.
- Grüner Wasserstoff in Raffinereien: Noch im Verhandlungsprozess befindet sich das Gemeinschaftsprojekt HyPro Aconcagua von Linde mit der chilenischen Empresa Nacional de Petróleos (ENAP). Mit einer Elektrolysekapazität von 20 Megawatt sollen dort jährlich 3.000 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden, um den in der zu ENAP gehörenden Aconcagua-Ölraffinerie bislang genutzten grauen teilweise zu substituieren. HyPro Aconcagua war mit fünf weiteren Vorhaben 2021 als Sieger aus einer Ausschreibung der staatlichen Entwicklungsagentur CORFO (Corporación de Formento de la Producción de Chile) hervorgegangen.
- Bergbaufahrzeuge, Busse, Lkw: Die weltweiten Versuchsprojekte zu mit Strom, einer Mischung aus Diesel und Wasserstoff oder mit reinem Wasserstoff betriebenen Nutzfahrzeugen werden in Chile sehr genau beobachtet. Zum Teil gibt es auch eigene Pilotvorhaben. Beispielsweise stellten Ingenieure der Technischen Universität Federico Santa María 2022 den ersten mit Wasserstoffzelle betriebenen Pick-up-Truck vor. Gerade die Minenbetreiber stehen in den Startlöchern, solche Fahrzeuge statt mit Diesel betriebener einzusetzen. Der wichtigste Industriezeig Chiles sieht sich in der Pflicht, seine Umweltbilanz zu verbessern. Kleinere Nachfragemengen sind aus der Holzindustrie (Lkw), bei Fernbussen oder aus der Logistikwirtschaft (Gabelstapler und Lkw) zu erwarten. Des Weiteren startete das chilenische Verkehrsministerium 2022 eine Initiative für wasserstoffbetriebene Busse im öffentlichen Nahverkehr in der Metropolregion Santiago.
Siemens Energy und Porsche produzieren eFuels in Patagonien
Auf der Angebotsseite und für den Export tätig ist das Pilotvorhaben Haru Oni in Patagonien. Es nahm im Dezember 2022 als erste Anlage zur Produktion von eFuels und eMethanol aus grünem Wasserstoff und aus der Luft gewonnenem Kohlendioxid den Probebetrieb auf. "Von Haru-Oni geht eine entscheidende Signalwirkung aus", bewertet Humberto Vidal, Professor und Forscher an der Universidad de Magallanes die Eröffnung. Denn aktuell warten alle anderen Projektentwickler - und nach verschiedenen Zählungen befinden sich zwischen 46 und mehr als 60 Wasserstoffprojekte in Chile in verschiedenen Entwicklungsstadien - darauf, "ob Haru Oni funktioniert - und wie". Betrieben wird die Anlage von der Projektgesellschaft HIF, an der unter anderem Siemens Energy und die Porsche AG beteiligt sind.
Tatsächlich hat Chile aufgrund seiner natürlichen Voraussetzungen das Potenzial, langfristig zwischen 160 Millionen und 200 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu liefern. Das geht aus Zahlen der Internationalen Energieagentur und Berechnungen von H2Chile hervor. Selbst wenn bis dahin noch ein weiter Weg ist und die Entwickler über unkalkulierbare, langwierige Genehmigungsverfahren klagen, an Optimismus mangelt es nicht. Schließlich macht Chile mit seiner Energiewende insgesamt große Fortschritte: Im vergangenen Jahr wurde erstmals mehr als die Hälfte des Stroms mit erneuerbaren Energieträgern erzeugt. Der Anteil der fossilen Energieträger an der Stromerzeugung sank um 16,5 Prozent, derjenige der Erneuerbaren schnellte um 29 Prozent nach oben.
In Teilen Chiles bläst der Wind an Land an 70 bis 75 Prozent der Stunden im Jahr deutlich ausdauernder als an vergleichbaren Offshore-Standorten in der EU (50 bis 55 Prozent). Solarmodule liefern an geeigneten Standorten 37 Prozent der Stunden pro Jahr Strom. Zum Vergleich: Im ebenfalls sonnenreichen Spanien liegt der Anteil nur bei 20 bis 25 Prozent. Das Potenzial für erneuerbare Energieträger liegt bei etwa dem 70-Fachen der heutigen installierten Stromleistung. Grüner Wasserstoff ließe sich zu wettbewerbsfähigen 1,3 bis 1,5 US-Dollar pro Kilogramm herstellen. |