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Stromerzeuger in Chile vor massiven Finanzproblemen
Kurzfristiges Denken und fehlendes Handeln der Politik gefährden die Erfolge Chiles im Bereich erneuerbarer Energieträger. Auch deutsche Akteure sind betroffen.
07.06.2023
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
- Insolvenzgefahr für viele private Solar- und Windstromerzeuger
- Engpass Netzkapazitäten
- Einspeisepreis für Solarstrom tendiert gegen null
- Keine Überbrückungshilfen vom Energieministerium
- Statt Wettbewerb drohen Oligopole
- Wenig Resilienz gegenüber Importabhängigkeit aus China
- Zukunftstechnologien scheitern meist am Preisdenken
Solar- und Windkraft in Chile boomen: Im Jahr 2022 wurde erstmals mehr Strom aus erneuerbaren als aus fossilen Energieträgern erzeugt. Und der Ausbau geht weiter. Laut Branchenverband ACERA befinden sich landesweit Anlagen mit einer installierten Kapazität von 5.653 Megawatt im Aufbau. Doch der Boom steht zunehmend auf wackeligen Beinen, trotz der hervorragenden natürlichen Bedingungen im Land.
Insolvenzgefahr für viele private Solar- und Windstromerzeuger
Denn laut Jaime Toledo, ACERA-Präsident, könnten viele Erzeuger die nächsten Monate oder Jahre wirtschaftlich nicht überleben. Das gilt vor allem für Independent Power Producers (IPP) im Utility-Segment mit einer installierten Leistung ab 9 Megawatt. Für kleinere Anbieter gelten andere Einspeisebedingungen.
Nachdem bereits 2022 der Windpark Cabo Leones II des Betreibers Ibereólica den Betrieb einstellen musste, meldete im Januar 2023 der von der KfW IPEX-Bank mitfinanzierte Solarpark Maria Elena Solar (Solarpack) Insolvenz an. Zum 31. Mai 2023 gab der Stromerzeuger Copihue Energía bekannt, wegen fehlender Mittel den Bau am Windpark Caman zu stoppen.
Engpass Netzkapazitäten
Entscheidend für die finanzielle Schieflage sind mangelnde Netzkapazitäten und die geltende Preispolitik. Besonders extrem ist die Situation im Norden: Die Hochspannungsleitung, die den Landesteil mit der Metropolregion Santiago verbindet, hat lediglich eine maximale Kapazität von 2.115 Megawatt. Dagegen verfügen allein die Regionen Antofagasta und Atacama über installierte Kapazitäten zur Erzeugung von Solarstrom von 5.637 Megawatt (Stand: April 2023). Die 1.500 Kilometer lange Entlastungsleitung Kimal-Lo-Aguirre wird Antofagasta frühestens 2029 mit Santiago verbinden.
Die Folge sind hohe Abregelungsverluste, laut ACERA 2022 insgesamt 1.471 Gigawattstunden, Tendenz stark steigend. Allein im März 2023 wurde so viel Strom nicht ins Netz eingespeist wie ganz Santiago in zwei Monaten verbraucht, nämlich 2.387 Gigawattstunden.
Einspeisepreis für Solarstrom tendiert gegen null
Hinzu kommt eine scheinbar Marktgesichtspunkten folgende Preisfestsetzung an den Stromeinspeise- und Entnahmeknoten der Hochspannungsnetze. Diese fungieren als Spotmärkte. Dabei wurden 2022 rund 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien oder 7.938 Gigawattstunden zum Nulltarif verrechnet. Dies führte bei den Erzeugern zu Verlusten von 706 Millionen US-Dollar. Im 1. Quartal 2023 wurden 35 Prozent der erneuerbaren Energien zum Nulltarif eingespeist.
Keine Überbrückungshilfen vom Energieministerium
Eine Eingabe von neun unabhängigen Stromerzeugern zu Beginn 2023, darunter auch die deutsche wpd, wenigstens die sogenannten Systemkosten zu vergüten, blieb ergebnislos. Dies wäre mit einer einfachen Änderung der Regulierungen herbeizuführen gewesen. Auch andere Überbrückungsmaßnahmen, bis die erforderlichen Netzkapazitäten geschaffen sind, sind nicht in Sicht.
Wenigstens weist die jüngste Stromausschreibung vom Mai 2023 kleine Verbesserungen auf, etwa in Bezug auf die Systemkosten. IPPs mit Altverträgen nützt dies jedoch nichts. "Gelackmeiert" sehen sich vor allem "alte" Parks, die schon am Netz waren, als es noch nicht so viele Mitbewerber gab, im Vertrauen darauf, ihren Strom über damals noch ausreichende Netzkapazitäten tatsächlich zu kostendeckenden Preisen absetzen zu können. "Man lässt uns am langen Arm verhungern", so Branchenvertreter.
Statt Wettbewerb drohen Oligopole
Vor diesem Hintergrund dürfte mittelfristig von den unabhängigen Betreibern von Solar- und Windparks kaum noch einer in Chile tätig sein. Ihre Parks werden sich die vier großen, politisch gut vernetzten Stromversorger, Colbún aus Chile, Enel aus Italien, Engie aus Frankreich und AES Andes aus den USA, "für kleines Geld" einverleibt haben. Erste Anfragen gab es bereits.
Das gegenwärtige Preissystem ermöglicht ihnen gigantische Gewinne, weil sie den Strom aus Erneuerbaren quasi zum Nulltarif einkaufen und ihn zu festgelegten Preisen an die "regulierten" Stromkunden weitergeben können. Außerdem können sie sich als Erzeuger von konventionellem Strom zu tariflich günstigen Zeiten quer finanzieren.
Internationale Banken, darunter auch die KfW, werden von der Finanzierung weiterer Solar- und Windparks in Chile Abstand nehmen, solange sich die Marktbedingungen nicht grundlegend ändern. Dem guten Ruf Chiles als Land in der Region mit einem verlässlichen Rechtsrahmen kann diese Entwicklung nur schaden. Diplomatenkreise sehen auch ein abschreckendes Signal für Firmen, die in dem Andenstaat grünen Wasserstoff herstellen wollen.
Wenig Resilienz gegenüber Importabhängigkeit aus China
Auch in anderen Bereichen handelt die Politik aus Sicht von Branchenexperten wenig umsichtig. Etwa wenn es darum geht, Chile resilient gegenüber Lieferengpässen zu machen. Chile ist im Photovoltaik-Bereich in einzelnen Segmenten quasi zu 100 Prozent abhängig von Einfuhren. Ein Großteil hiervon stammt aus China.
"Letztlich entscheiden die Unternehmen nach dem Preis, strategische oder andere Risikoüberlegungen fließen in ihre Entscheidungen nicht ein", weiß Pablo Caerols, Geschäftsführer des Systemdienstleisters EnorChile. Dabei wäre "Chile prädestiniert für eine eigene PV-Produktion, am besten direkt das Recycling mitdenkend", fordert Frank Dinter, Leiter von Fraunhofer Chile.
Dabei spricht die chilenische Regierung stets davon, die Wertschöpfungskette nach oben erweitert sehen zu wollen. Vor einer gezielten Industrieförderpolitik - etwa wie die USA mit dem Inflation Reduction Act - scheut sie jedoch zurück.
Zukunftstechnologien scheitern meist am Preisdenken
In der Folge dümpeln auch andere zukunftsträchtige Anwendungen im Wartestadium vor sich hin. So könnten etwa schwimmende Photovoltaikanlagen laut Auskunft von Fraunhofer Chile bis zu 60 Prozent der Verdunstung eines Gewässers verhindern. Bei der großen Wasserknappheit müsste das Interesse groß sein. Stattdessen wartet eine in Paine südlich von Santiago errichtete Pilotanlage seit geraumer Zeit auf den Netzanschluss.
2019 | 2000 | 2021 | 2022 | April 2023 | |
---|---|---|---|---|---|
Solar | 2.694 | 3.484 | 6.165 | 7.924 | 8.599 |
Wind | 2.146 | 2.657 | 3.918 | 4.354 | 4.589 |
Mini-Wasserkraftwerke | 539 | 579 | 642 | 655 | 654 |
Biomasse | 475 | 480 | 494 | 656 | 656 |
Geothermie | 48 | 48 | 73 | 84 | 84 |
Thermosolar | - | 110 | 108 | 108 | 108 |
Gesamt | 5.902 | 7.357*) | 11.400 | 13.781 | 14.691*) |