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Special | Chile | Seidenstraße

China ist in Chile spürbar präsent

China ist seit 2007 wichtigster Ex- und seit 2015 größter Importpartner Chiles. Aber das Verhältnis ist nicht ungetrübt. Nicht alle Investitionspläne sind Selbstläufer. (Stand: 24.10.2024)

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Für Chile ist China der mit Abstand größte Absatzmarkt weltweit. In den vergangenen Jahrzehnten stieg der Anteil der Exporte nach China schrittweise auf zuletzt fast 39 Prozent. Ein großer Teil davon entfällt auf Kupfer. Auch bei Lithium ist die Volksrepublik der wichtigste Abnehmer. Beide Rohstoffe sind essenziell für die Energiewende.

Exportschlager Kupfer, Lithium und Wein

Gefragt sind außerdem Wein, Lachs und Kirschen. Im 1. Halbjahr 2024 gingen 45 Prozent der landwirtschaftlichen Exporte (mit Fisch- und Forstwirtschaft) nach China; bei Industriegütern lag der Anteil bei 14 Prozent.

Importe nicht mehr ganz so hoch

Auch der Anteil Chinas an den chilenischen Importen bewegt sich nach oben. Lag er 2002 noch bei 7 Prozent, so beträgt er mittlerweile mehr als 20 Prozent. Allerdings war die Einfuhr zuletzt rückläufig. Das liegt vor allem an dem Hoch der China-Importe während der Corona-Pandemie, als viele westliche Hersteller Lieferprobleme hatten. Firmen aus der Volksrepublik hingegen, wie der Autobauer Chery, verfügten über volle Lager. Ein weiterer Nutznießer war Lenovo. Der Homeoffice-Boom bescherte dem Computerhersteller Rekordverkäufe.

Die Chilenen schätzen an den chinesischen Produkten vor allem die wettbewerbsfähigen Preise. Im Einzelhandel ist die Dominanz geradezu überwältigend. Laut chilenischer Zentralbank stammten 2023 rund 35 Prozent der importierten Konsumgüter aus China. Besonders hoch sind die Anteile bei Kleidung (67 Prozent), Elektroartikeln wie Handys von Huawei oder Xiaomi (58 Prozent) und Schuhen (52 Prozent), ermittelte die Cámara Nacional de Comercio.

"Es ist in der Tat beeindruckend, dass sich selbst in den letzten Winkeln Chiles chinesische Billigsupermärkte finden. Aber es sind eben nicht mehr nur billige Textilien und andere Konsumgüter, die aus China bezogen werden, sondern inzwischen auch Autos, Lastwagen bis hin zu Maschinen und Anlagen. Das ist ein Trendwechsel. Schon jetzt nimmt der Druck auch in den wenigen Segmenten zu, in denen Deutschland in Chile stark ist – speziell im Automobilbau oder bei Bergbaumaschinen." 

Cornelia Sonnenberg Geschäftsführerin der AHK Chile

Chinesische Investitionen offiziell stark unterschätzt

Abgesehen vom Handel engagieren sich chinesische Firmen strategisch gezielt im Bergbau, speziell Lithium, sowie im Wasser- und Stromsektor. Sie investieren auch in die Land-, Aqua- und Forstwirtschaft sowie den Weinbau.

Wieviel China tatsächlich investiert hat, ist schwer abzuschätzen. Nach den offensichtlich viel zu niedrigen Daten der chilenischen Zentralbank lag das Investitionsvolumen 2022 bei 700 Millionen US-Dollar (US$); das wären lediglich 0,3 Prozent des Gesamtbestands an Direktinvestitionen im Land.

Dabei hatte allein Tianqi Lithium für seinen 24-Prozentanteil an der chilenischen Sociedad Química y Minera (SQM) 2018 rund 4 Milliarden US$ gezahlt. Auch die Übernahme der Lachsfabrik Australis kostete rund 1 Milliarde US$. Grund ist: Vielfach fließen die Gelder nicht direkt, sondern schwer nachvollziehbar über andere Länder.

Chiles neue nationale Lithiumstrategie bremst chinesische Investoren aus – aber nicht nur diese

Besonders herausragend ist Chinas Beteiligung an SQM, einer der beiden Firmen, die in Chile bislang Lithium fördern. Allerdings blieben Chinas Bemühungen, tiefer im Lithiumsegment Fuß zu fassen, bisher erfolglos.

Im März 2022 stoppte die damals neue Regierung unter Präsident Garbiel Boric das Vergabeverfahren einer Ausschreibung zum Lithiumabbau, aus der der chinesische Elektroautobauer BYD siegreich hervorgegangen war. Die Politik wollte den Rahmen für die Lithiumgewinnung neu abstecken. Über die 2024 gestarteten Ausschreibungen des Bergbauministeriums für den Lithiumabbau gemeinsam mit der chilenischen Staatsfirma Enami ist noch nicht entschieden. Bekannt ist nur, dass sich auch Firmen aus China beworben haben.

Abgesehen davon hat BYD im Mai 2024 sein 2023 initiiertes Vorhaben aufgrund des "schwierigen rechtlich-bürokratischen Umfelds" auf Eis gelegt. BYD wollte eine Fabrik für Lithiumkathoden errichten. Was aus den Vorzugsquoten wird, die BYD zum günstigeren Bezug von Lithiumkarbonat bei SQM gewonnen hatte – unter der Voraussetzung, in Chile einen wertschöpfenden Verarbeitungsschritt zu schaffen – ist ungewiss.

Grundsätzlich hat die Boric-Regierung beschlossen, sich im Rahmen der neuen nationalen Lithiumstrategie stärker im Lithiumgeschäft zu engagieren. Dies bedeutet beispielsweise für SQM, dass ihr Anteil an ihrer Lithiumförderung im Salar de Atacama bis 2060 zugunsten des staatlichen Kupferkonzerns CODELCO von gegenwärtig 100 auf 40 Prozent schrumpft. Da es zu dieser Vereinbarung keine öffentliche Ausschreibung gab und Tianqi Lithium seine Interessen gefährdet sah, zog der Konzern vor Gericht, scheiterte aber vor dem Berufungsgericht in Santiago im August 2024 zum zweiten Mal.

China im Energiebereich mit problematischer Stellung

"China kauft alles, angefangen bei Erzeugerkapazitäten bis hin zum Netz. Jetzt steht der Anteil des kanadischen Pensionsfonds CPP an Transelec zu Verkauf und man kann sich an seinen fünf Fingern abzählen, wer hier zum Zuge kommen will. Die starke chinesische Stellung im knappen Stromübertragungsbereich schwächt unsere Stellung als unabhängige Stromanbieter."  

Lutz Kindermann Geschäftsführer des Projektentwicklers von Wind- und Solarparks wpd

Schlagzeilen machten der Einstieg von China State Grid beim Netzbetreiber Chilquinta in Valparaíso für 2,2 Milliarden US$ im März 2020 und ein Jahr später der Kauf des Netzbetreibers CGE aus Santiago für rund 3 Milliarden US$. CGE versorgt rund 57 Prozent der chilenischen Endverbraucher mit Strom.

Kritisch sehen Juristen deshalb den Zuschlag für den Bau der auf 1,5 Milliarden US$ projektierten, 1.500 Kilometer langen Hochspannungs-Gleichstromleitung Kimal-Lo Aguirre an das Yallique-Konsortium im Jahr 2021. Denn an Yallique ist auch China Southern Power Grid International beteiligt. Nach chilenischem Recht sind Stromerzeugung, -übertragung und -versorgung strikt zu trennen. Sowohl China State Grid als auch China Southern Power Grid gehören aber dem chinesischen Staat.

Rückschlag im Gesundheitssektor

Auch nach dem zukunftsträchtigen Gesundheitsmarkt strecken Chinas Firmen ihre Fühler aus. Dabei war die in Quilicura geplante 100-Millionen-US$-Fabrik von Sinovac lange ein Vorzeigeprojekt. Von hier aus wollte der durch seinen Corona-Impfstoff bekanntgewordene Hersteller den lateinamerikanischen Markt beliefern. Umso größer war die Enttäuschung, als Sinovac im Oktober 2023 den Bau stoppte. Speziell auch weil die Entscheidung unmittelbar nach dem Besuch von Präsident Boric in der Volksrepublik einschließlich Gesprächen mit seinem Amtskollegen Xi bekanntgegeben wurde.

Nach Plan läuft es dagegen mit dem Bau des neuen Krankenhauses in Coquimbo (rund 270 Millionen US$). Die Ausschreibung hatte 2022 China Railway Construction (CRCC) gewonnen. Seit Januar 2024 laufen die Bauarbeiten, bis 2028 sollen sie fertig sein.

Darüber hinaus konnte der Baukonzern die Ausschreibung der Konzessionen für ein Institut für Neurochirurgie und die Krankenhäuser in Rengo und Pichilemu für sich entscheiden. Ebenfalls im Krankenhauswesen aktiv ist die China Communications Construction Company (CCCC) mit klinischen Zentren von Cauquenes, Constitución und Paral.

Chinas Baufirmen etablieren sich gegen spanische Konkurrenz

"Die Chinesen nehmen im Infrastrukturbereich schon seit 2006 an Ausschreibungen teil, gewonnen haben aber lange Zeit immer die Spanier. Es war ein jahrzehntelanger Lernprozess, bis sie zum Zuge kamen – speziell auch über die Zusammenarbeit mit chilenischen Unternehmen." 

Andreas Pierotic Anwalt bei Bofill Mir, zitiert in der Zeitung La Tercera (31.3.2024)

Insbesondere für den Ausbau von Eisenbahn und Häfen (speziell von San Antonio nach dem Vorbild des Megahafens Chancay/Peru) dürften künftig für chinesische Firmen Wachstumschancen bestehen.

Digitale Seidenstraße auf US-Druck gesperrt

Dagegen musste Huawei seine Pläne begraben, Chile mit Asien über ein Unterwasser-Glasfaserkabel zu verbinden. Die Entscheidung der Regierung unter dem damaligen Präsidenten Sebastián Piñera erfolgte auf Druck der USA. Das Kabel sollte von einem Rechenzentrum mit Huaweis erster öffentlicher Speicher-Cloud in Lateinamerika gesteuert werden, welche 2019 eingeweiht worden war. Chile entschied damals, stattdessen ein ähnliches Projekt mit Google durchzuführen.

Dessen ungeachtet spielt Huawei im Land eine wichtige Rolle und ist einer der Hauptanbieter von 4G- und 5G-Netzen für Movistar, Entel und WOM. Der IT-Konzern betreibt zwei Rechenzentren im Land, der Bau eines dritten ist angekündigt.

Lachszucht mit Problemen

Auch im Bereich Aquakultur läuft nicht alles glatt. Bei der Schlichtungsstelle liegt der Fall Australis. Joyvio, der Agrobusiness-Arm der chinesischen Legend Holdings, zu der auch Lenovo gehört, hatte den Lachserzeuger Australis 2019 für fast 1 Milliarde US$ übernommen. Dessen chilenische Vorbesitzer sollen mit zu hohen Lachsbeständen massiv gegen die Umweltauflagen verstoßen haben. Joyvio wirft ihnen Betrug vor. Jetzt müssen die Gerichte entscheiden.

Wie sieht Chile China?

Anders als noch vor fünf Jahren, als Politik und viele Menschen in Chile dem chinesischen Engagement prinzipiell positiv gegenüberstanden, hat sich die Situation inzwischen etwas verändert. Allerdings wird Kritik am größten Handelspartner oft nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Eine Ausnahme bildet der Fall Huachipato. Der seit Jahren hohe Verluste schreibende Stahlhersteller erwirkte 2024 bei der chilenischen Regierung die Einführung von Antidumping-Zöllen gegen Brancheneinfuhren aus China. China bestreitet die Vorwürfe. Das Unternehmen retten konnten die Zölle nicht. 

Aus der chilenischen Investitionslandschaft ist China heute nicht mehr wegzudenken. Angesichts des unzureichend konkreten Interesses zum Beispiel aus Europa bleibt China der pragmatische Investor, der "auch Geld in die Hand nimmt". Unterstützt werden Chinas Firmen dabei durch die Präsenz von Staatsbanken wie der China Construction Bank oder der Bank of China. Umgekehrt ist Chile Mitglied in der von China initiierten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB). Allerdings wünschen sich nicht wenige aus dem Unternehmenssektor inzwischen ein Screening für chinesische Investoren. 

Generell dürfte der Bevölkerungsmehrheit China aber gleichgültig sein – zum Beispiel sind sich nicht wenige Käufer bewusst, dass es sich bei Lenovo um eine chinesische Firma handelt. 

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