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Rechtsbericht | Chile | Arbeitsschutzrecht

Femizid und Arbeitsrecht in Chile

Die chilenische Regierung erlässt ein neues Arbeitsgesetz als Instrument zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt.

Von Dr. Julio Pereira | Berlin

Am 19. April 2023 verabschiedete der chilenische Nationalkongress das Gesetz 21.565 (Ley 21.565/23), das eine Arbeitsschutzregelung für potenzielle Opfer von Frauenmorden schafft. Das Gesetz wurde vom Präsidenten der Republik Gabriel Boric unterzeichnet und ist seit dem 9. Mai 2023 in Kraft. Es handelt sich um ein Rechtsinstrument, das darauf abzielt, wirksame Maßnahmen des chilenischen Staates zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und zur Milderung ihrer Folgen zu ergreifen.

Nachfolgend sind die wichtigsten Punkte des Gesetzes aufgeführt, die für Arbeitgeber von Interesse sind.

Begriffsbestimmung von „Opfer“

Nach dem neuen chilenischen Gesetz gilt in erster Linie eine Arbeitnehmerin, an der ein versuchter oder vollzogener Frauenmord begangen wurde, als Opfer.

Neben der Frau fallen die folgenden nahestehenden Personen unter den Rechtsbegriff des Opfers: die Kinder des Opfers oder andere Personen, die unter ihrer Obhut stehen; der Vater oder die andere Mutter der Kinder des Opfers; der derzeitige Partner oder die derzeitige Partnerin, mit dem/der das Opfer eine Liebesbeziehung ohne Lebensgemeinschaft unterhält; die Person, die gemäß Artikel 108 der Strafprozessordnung (Ley 19.696/00) als Opfer gilt (einschließlich der Eltern und Geschwister der Arbeitnehmerin).

Weder die Person, die für die an der Arbeitnehmerin begangenen Straftaten verantwortlich ist, noch die Person, die durch ein Gerichtsurteil für Taten im Zusammenhang mit einem Frauenmord verurteilt wurde, gilt als Opfer.

Das Recht der Arbeitnehmerin auf Arbeitsschutz

Das Gesetz sieht mehrere Arbeitsrechte als Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmerinnen vor, die Opfer von Frauenmordversuchen sind. Diese Maßnahmen gelten ab dem Zeitpunkt, an dem die Straftat begangen wurde, bis zu einem Jahr danach. Zu diesem Zweck muss das Opfer dem Arbeitgeber die bei der Polizei oder der zuständigen Behörde (Ministerio Público) erstattete Strafanzeige vorlegen. Infolgedessen haben alle in Chile tätigen Unternehmen nun die folgenden Pflichten:

  1. Kündigungsverbot: Das Unternehmen darf den Arbeitsvertrag einer Arbeitnehmerin, die als Opfer im Sinne des Gesetzes 21.565 gilt, nicht kündigen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist die vorherige gerichtliche Entscheidung in Fällen, die im Arbeitsgesetzbuch (Codigo del Trabajo - CT) vorgesehen sind, z. B.: Ablauf der Vertragsdauer und Beendigung der Tätigkeit oder des Dienstes, der dem Vertrag zugrunde liegt (Art. 159 4 und 5 CT);
  2. Abwesenheitsgenehmigung: Das Unternehmen muss als ausreichende Begründung für die Abwesenheit akzeptieren, wenn die Arbeitnehmerin (oder sonstige Opfer) an einem Verfahren im Zusammenhang mit der polizeilichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren teilnehmen muss;
  3. Vertraulichkeit: Das Unternehmen ist verpflichtet, alle von der Arbeitnehmerin, die Opfer eines Frauenmordversuchs wurde, übermittelten Informationen vertraulich zu behandeln (Art. 154 bis CT).

Abhilfemaßnahmen durch den Staat

Im Falle eines vollendeten Frauenmordes sieht das Gesetz die Ergreifung von Maßnahmen vor, die die Unterstützung der betroffenen Opfer vereinfachen. Sie werden beim Anspruch auf Sozialschutzleistungen bevorzugt behandelt. Unter diesen Leistungen ist das Recht auf eine monatliche Pension für Söhne und Töchter unter 18 Jahren der Opfer von Frauenmorden hervorzuheben. Die Höhe der Pension beträgt $160.000 chilenische Pesos (etwa 184 Euro) und wird jedes Jahr neu festgelegt.

Das Gesetz sieht keinen spezifischen Pflichtbeitrag der Unternehmen für die Zahlung der Pension vor. Die Zahlung erfolgt durch den chilenischen Staat. Der Betrag kann mit jeder anderen Sozialversicherungsrente kumuliert werden und hat nicht den Charakter eines Arbeitsentgelts. Daher ist sie nicht steuerpflichtig.

Anerkennung des Opferstatus

Nach dem Gesetz ist der Nationale Dienst für Frauen und Geschlechtergleichstellung (Servicio Nacional de la Mujer y la Equidad de Género) für die verwaltungstechnische Einstufung des Opferstatus zuständig. Die Einstufung gibt das Recht auf Zugang zu den gesetzlich festgelegten Sozialleistungen. Die Erfüllung der Verpflichtungen der Unternehmen im Zusammenhang mit dem versuchten Frauenmord der Arbeitnehmerin hängt jedoch nicht von dieser Einstufung ab. Erforderlich ist lediglich eine Anzeige bei der Polizei.

Künftige Regelungen

Sowohl die Anerkennung des Opferstatus als auch die Pensionen werden weiterhin Gegenstand von Verordnungen sein, die vom Ministerium für Frauen und Geschlechtergleichstellung (Ministerio de la Mujer y la Equidad de Género) bzw. vom Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit (Ministerio del Trabajo y Previsión Social) erlassen werden. Beide Verordnungen sollen bis Ende 2023 erlassen werden.

Hintergrund

Chile hat in den letzten zehn Jahren mehrere erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt eingeführt. Infolgedessen hat das Land dieses Phänomen reduziert und ist nach Angaben der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (CEPAL) das südamerikanische Land mit der niedrigsten Rate an Frauenmorden geworden.


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