Interview | Chile | Beratende Ingenieure
"Der Wasserstoffboom in Chile ist sehr spannend für uns"
Der Andenstaat bietet für beratende Ingenieure ein breites Betätigungsfeld. GTAI sprach mit Tobias Gehrke, Director Business Development Americas bei der Fichtner-Gruppe. (Stand: 20.12.2023)
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Seit 1922 berät das Ingenieurbüro Fichtner Kunden in aller Welt. Das Stuttgarter Familienunternehmen ist in mehr als 60 Ländern mit Niederlassungen, Projektbüros und Beteiligungsgesellschaften vertreten und hat Erfahrung in 170 Staaten.
Tobias Gehrke, Director Business Devolopment Americas, Fichtner-Gruppe, Fichtner-Gruppe, Beratende Ingenieure | © Fichtner-GruppeHerr Gehrke, welche Projekte berät Fichtner in Chile?
In Chile sind wir für eine ganze Reihe von privaten Kunden, hauptsächlich Projektentwickler und Investoren tätig. Die wichtigsten Felder sind erneuerbare Energien, die Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus grünem Wasserstoff und die Meerwasserentsalzung. Dabei arbeiten wir auch mit namhaften Firmen zusammen, deren Projekte bekannt sind und die sich teils in Umsetzung befinden. Vom Erfolg der ersten Projekte geht eine entscheidende Signalwirkung für die vielen Wasserstoffprojekte in Chile aus.
Über das Projekt Haru Oni haben die Presse und GTAI schon vielfach berichtet, nicht zuletzt, weil Porsche und Siemens Energy daran beteiligt sind. Können Sie noch andere Projekte nennen?
Es gibt in Chile eine große Liste von Projekten in verschiedenen Planungsphasen. Informationen hierzu bieten die Wirtschaftsförderagentur Corfo oder die Wasserstoffvereinigung H2 Chile. Aufschlussreich sind auch die Umweltgenehmigungsanträge, die beim Umweltministerium eingereicht werden. Ich kann leider nicht darüber reden, wo wir beratend oder planend tätig sind, da wir mit unseren Auftraggebern Vertraulichkeit vereinbart haben.
Was ich sagen kann: Der Wasserstoffboom in Chile ist sehr spannend für uns, so spannend, dass wir 2023 eine Niederlassung gegründet haben, um unsere Aufträge noch besser bearbeiten zu können. In Chile stellen wir uns jetzt stärker auf, weil hier die Dynamik rund um Wasserstoff- und Ammoniakprojekte am größten ist und wir näher an unseren Kunden sein wollen.
Welche Vorteile hat die Niederlassung in Chile für Sie?
Die Präsenz vor Ort ist ungeheuer wichtig, weil viele Aufträge im Privatsektor über lokale Kontakte, Bekanntheit vor Ort und Empfehlungen laufen. Auch die lokale Wertschöpfung ist ein Wettbewerbsfaktor.
Heißt das, dass Sie vor allem private Auftraggeber haben?
In Chile sind der Infrastruktur- und Energiebereich weitestgehend privatisiert. Deshalb kommt das Gros unserer Kunden aus dem Privatsektor. Doch wir haben auch öffentliche Auftraggeber. Ein weiterer Kunde ist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Institutionen wie Corfo unterstützt.
In welchen Projektphasen werden Sie hinzugezogen?
Das ist sehr unterschiedlich. In letzter Zeit ist neben den Energieerzeugern und Projektentwicklern eine neue Gruppe an Kunden hinzugekommen. Diese haben Zugriff auf große Landflächen etwa in Patagonien und wollen am Boom der Wasserstoffwirtschaft teilhaben. Wir erarbeiten für sie Studien, beispielsweise um festzustellen, wie viel Strom, Wasserstoff oder Ammoniak sich dort mit Windkraft erzeugen lässt, wie hoch die Investitionen sind und ob sich das Projekt rechnet.
Andere Kunden kommen erst auf uns zu, wenn ihre Vorhaben schon weiter fortgeschritten sind. Vor Kurzem haben wir eine pre-FEED-Studie (preliminary front end engineering and design) für einen 200-Megawatt-Elektrolyseur abgeschlossen. Wir können die Kunden von den Anfangsüberlegungen bis zur Inbetriebnahme begleiten.
Warum fragen Ihre Kunden bei Fichtner und nicht bei einer anderen Ingenieurfirma an?
Leider fragen unsere Kunden auch bei anderen Firmen an (lacht), aber eben auch bei uns. Wir haben eine sehr gute Reputation als unabhängiges Ingenieurunternehmen und viele Kunden, die teilweise seit Jahrzehnten mit uns zusammenarbeiten. Technisch sind wir sehr weit und können Lösungen anbieten, die nicht jeder Marktbegleiter hat. So haben wir eine eigene Software für Wasserstoffprojekte entwickelt, den Fichtner H₂‑Optimizer. Damit können wir neue Projekte schnell modellieren. Eine typische Anfrage lautet: Ich möchte eine bestimmte Menge Ammoniak verschiffen. Welche Anlagen brauche ich dafür und wie groß muss die Leistung meines Windparks sein?
Als unabhängiges Ingenieurbüro haben wir den Vorteil, dass wir nicht an eine bestimmte Technik gebunden sind. Dadurch können wir objektiv beraten. Gerade in einem noch nicht ausgereiften Markt wie der Wasserstoffwirtschaft ist das sehr wichtig.
Wie sehen Sie die Chancen deutscher Ingenieurfirmen in Chile und wie können sie hier einsteigen?
Deutsche Unternehmen haben gute Chancen. Chile hat eine hohe Affinität zu Deutschland. Aber man muss wissen: Der Wettbewerbsdruck, speziell aus China, bei Projektfinanzierungen und -implementierung wächst. Deshalb müssen deutsche Ingenieurbüros und Lieferanten ihre Marktnische kennen. Dabei helfen Markterkundungs- und Geschäftsanbahnungsreisen. Weitergebracht hat uns auch das Fichtner-Forum, eine hochkarätig besetzte Konferenz, die wir 2023 in Santiago zum ersten Mal außerhalb Deutschlands durchgeführt haben. Äußerst wichtig ist auch die Kundenpflege. Man muss in Chile dafür sorgen, dass man wahrgenommen wird.
Anders läuft es bei öffentlichen Ausschreibungen. Da nutzen wir verschiedene Plattformen, darunter auch die Datenbank von Germany Trade & Invest (GTAI). Unabdingbar für beide Kundenkreise sind zuverlässige lokale Partner, die sich mit den Regularien vor Ort auskennen. Das gilt gerade für Länder, in denen wir nicht selbst vertreten sind, aber auch sonst braucht man ein lokales Set-up, um preislich wettbewerbsfähig zu sein. Die Kontakte ergeben sich auf Reisen, Konferenzen und Messen.
Was wünschen Sie sich – von der Politik, dem Auswärtigen Amt oder der deutschen Exportförderung?
Die Unterstützung seitens der deutschen Botschaft ist hervorragend. Vor Jahren war es oft noch so, dass Wettbewerber etwa aus Spanien mit ihrem Botschafter bei den Behörden auftraten und wir uns als deutsche Firma alleingelassen fühlten. Das hat sich verändert. Auch die AHK ist ein sehr gut vernetzter und kompetenter Ansprechpartner. Wir sehen es sehr positiv, dass Chile und Lateinamerika stärker in den Fokus rücken. Wichtig wäre ein Doppelbesteuerungsabkommen. Das würde vieles vereinfachen.