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Corona und Ukrainekrieg würgen Wirtschaftswachstum ab
Chinas Wirtschaft kämpft mit dem größten Coronaausbruch seit 2020 und den Folgen des Kriegs in der Ukraine. Das trifft deutsche Unternehmen unvorbereitet.
06.04.2022
Von Corinne Abele | Shanghai
Seit Monaten kämpft China gegen immer wieder auftretende Covid-19-Ausbrüche. Die in der Folge überall im Land ergriffenen massiven Lockdowns haben das Potenzial, den ohnehin bereits stotternden Wirtschaftsaufschwung aus dem Vorjahr abzuwürgen. Deutsche Unternehmen schlagen Alarm und fordern mehr Unterstützung von der Regierung vor Ort. Noch sind vor allem vorgelagerte Lieferketten unterbrochen oder stark beeinträchtigt, während die Hersteller von Endprodukten mit unterbrochenen Vertriebswegen kämpfen. Gleichzeitig sorgt nicht zuletzt die Haltung Chinas im Ukrainekrieg in deutschen Unternehmenszentralen für eine steigende Skepsis gegenüber dem Land.
Gewinnziele 2022 kaum noch zu erreichen
„Nach einem verlorenen ersten Quartal 2022 machen die Lockdowns es für viele deutsche Unternehmen schwierig, ihre Ziele für 2022 noch zu erreichen“, sagt der Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Peking, Jens Hildebrandt. Bereits jedes zweite deutsche Unternehmen (51 Prozent) sieht Logistik und Vertrieb entweder komplett unterbrochen oder stark beeinträchtigt. Dies ergab eine Blitzumfrage der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) Greater China zwischen dem 18. und 27. März 2022, an der sich 391 Mitgliedsfirmen beteiligten. Auch Produktion (31 Produzent), Beschäftigungsrate (29 Prozent) und Nachfrage (29 Prozent) liegen komplett darnieder oder sind stark mitgenommen.
Doch das Schlimmste könnte noch bevorstehen. Das Wirtschafts- und Finanzzentrum Shanghai ist Anfang April in einen nahezu kompletten, zweiphasigen Lockdown gegangen. Shanghai allein erwirtschaftet knapp 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Chinas. Je länger der Lockdown andauert, desto größer sind die Verwerfungen auch für inländische und ausländische Lieferketten. Natixis SA geht laut Bloomberg bereits von einem um 1,8 Prozentpunkte geringerem Wirtschaftswachstum im 1. Quartal 2022 aus. Einig sind sich die Ökonomen darüber, dass das ursprünglich von der Regierung anvisierte Wirtschaftswachstumsziel von 5,5 Prozent kaum noch zu erreichen sein dürfte.
Deutliche Beeinträchtigungen bei Logistik und Vertrieb
Bislang sind die Engpässe vor allem in den vorgelagerten Wertschöpfungsbereichen angekommen. Rund 40 Prozent der an der AHK-Umfrage beteiligten deutschen Unternehmen in vorgelagerten Wertschöpfungsketten (wozu beispielsweise Chemie oder Stahl zählen) berichteten von vollständigen Unterbrechungen oder erheblichen Beeinträchtigungen, da Rohstoffe und Vorprodukte nicht oder kaum verfügbar waren. Unter komplett unterbrochenen oder stark beeinträchtigten Transportwegen litten 30 Prozent. Bei Herstellern von Endprodukten scheinen diese Engpässe noch nicht vollständig angekommen zu sein. Laut AHK-Umfrage kämpfen sie bislang vor allem mit unterbrochenen Vertriebswegen ihrer Produkte für inländische (35 Prozent der Befragten) wie ausländische Kunden (33 Prozent).
Während sich die Situation nach Corona-Ausbrüchen beispielsweise in Tianjin oder Shenzhen wieder entspannt hat, trifft es deutsche Unternehmen derzeit vor allem in Changchun, Shenyang und Shanghai. Dabei haben die Firmen aus den Lockdown-Erfahrungen des ersten Ausbruchs in Wuhan 2020 gelernt. Inzwischen wissen sie, welche Maßnahmen regierungsseitig zu erwarten sind und reagieren: Closed-Loop-Management - die Schaffung eine Blase - soll garantieren, dass Arbeitnehmer sich nicht infizieren können. Beispielsweise leben seit ungefähr drei Wochen viele Arbeiter auf dem BASF-Werksgelände in Jilin. Sie arbeiten in Schichten, um die Produktion aufrecht zu halten. Müsste diese abgeschaltet werden, käme es zu Disruptionen entlang der nachgelagerten Wertschöpfungsketten. Das weiß auch die Regierung vor Ort und gewährt Unterstützung.
Transparente vorausschauende Kommunikation gewünscht
Notwendig sei vor allem eine vorausschauende und transparente Kommunikation über künftige Maßnahmen, fordern die an der AHK-Blitzumfrage beteiligten Unternehmen. Ebenfalls drängen sie auf die Gewährung von Sondergenehmigungen, sogenannte "grüne Kanäle" für Beschäftigte und Logistik, um Unterbrechungen zu vermeiden. Zwar scheint vieles möglich, wie Recherchen von Germany Trade & Invest ergaben, doch der Genehmigungsaufwand kann gewaltig sein – und angesichts sich im Fluss befindlicher Maßnahmen und Vorschriften im Vorfeld teilweise kaum kalkulierbar.
Krieg in der Ukraine beeinflusst Chinageschäft
Dabei wird die Situation deutscher Unternehmen auch ohne Lockdowns durch den Angriff Russlands auf die Ukraine immer schwieriger. Die derzeitige geopolitische Krisensituation beeinträchtigt bei 46 Prozent der AHK-Umfrage-Teilnehmenden bereits Lieferungen aus und nach Europa zum Teil schwer; hinzu kommen die Auswirkungen rasant steigender Energie- und Materialkosten (57 Prozent).
Gleichzeitig verändert laut 57 Prozent der Befragten die neue geopolitische Situation die Chinastrategie ihrer Unternehmenszentralen in Deutschland. So geht etwa ein Drittel davon aus, dass künftige Geschäfts- und Investitionsabsichten in China zumindest vorübergehend auf Eis gelegt werden könnten; ein Zehntel hält sogar den Rückzug der derzeitigen Geschäftstätigkeit aus China für möglich.
Dennoch bleibt der Lokalisierungszwang angesichts des wachsenden inländischen Wettbewerbs sowie Entkopplungstendenzen stark. So gehen 22 Prozent davon aus, dass weitere Geschäftsfunktionen – unter anderem Forschung und Entwicklung – beschleunigt lokalisiert und weitere Teile der Lieferketten nach China verlagert werden, um als Unternehmen von globalen Lieferketten unabhängiger zu werden. Obwohl das Marktpotenzial des Landes weiterhin groß ist, verliert es im Verhältnis zu anderen Märkten nach Ansicht von 46 Prozent der Umfrageteilnehmer an Attraktivität.
Zu Fragen des Umgangs mit Produktions- und Lieferausfällen infolge der Lockdowns veranstaltet die AHK Greater China am 11. April 2021 das Webinar „Legal and Liability Issues Caused by the recent Lockdown – What to Know and What to Do“.