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Wirtschaftsumfeld | EAWU | Transport

Nord-Süd-Transportkorridor lohnt sich für die EAWU

Gestörte Lieferketten offenbaren den Nutzen von alternativen Transportkorridoren. Davon kann die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) profitieren. 

Von Viktor Ebel | Bonn

Während der Coronapandemie mussten zahlreiche Häfen in Asien dichtmachen. Viele Containerschiffe konnten ihre Fracht nicht rechtzeitig be- oder entladen. Die Folge: Gestörte Lieferketten, die auch hierzulande zu leeren Regalen in Geschäften führten. Zugespitzt hatte sich die Situation am 23. März 2021, als das Frachtschiff Ever Given tagelang den Suezkanal blockierte und dadurch den globalen Handel lahmlegte.

Bis August 2021 stiegen die Preise für Containertransporte auf dem Seeweg um 420 Prozent (Shanghai Containerised Freight Index). Der Schienentransport wurde über Nacht zu einer günstigen Alternative. Neben der von China forcierten Neuen Seidenstraße offenbart auch der Nord-Süd-Korridor großes Potenzial, vor allem aufgrund der zunehmenden Integration in Eurasien. Die Eurasische Entwicklungsbank (EDB) hat eine Studie veröffentlicht, die dieses Potenzial beziffert.

INSTC – der kleine Bruder der Seidenstraße

Das Fundament für den International North-South Transport Corridor (INSTC) wurde im Jahr 2000 gelegt, als Russland, der Iran und Indien ein zwischenstaatliches Abkommen auf der euro-asiatischen internationalen Transportkonferenz unterzeichneten. Es sieht vor, die Metropolen und Häfen Nordosteuropas per Straße, Schiene und Wasserwegen mit den Häfen des Iran im Persischen Golf zu verbinden. Von dort aus besteht eine direkte Seeverbindung zu den Häfen im Nordwesten Indiens.

Der Nord-Süd-Korridor teilt sich in drei Routen auf:

  • durch Russland und Aserbaidschan entlang der Westküste des Kaspischen Meeres, 
  • transkaspische Schiffsverbindung, 
  • Ostroute durch Kasachstan und Turkmenistan in den Iran. 

Geringe Transportzeiten und zunehmend konkurrenzfähige Preise

Der größte Vorteil des INSTC liegt zweifelsohne in der kurzen Transportzeit: Während ein Container von Mumbai nach Sankt Petersburg auf dem Seeweg durch den Suezkanal 30 bis 45 Tage braucht, sind es auf dem Landweg entlang der Westküste des Kaspischen Meeres nur 15 bis 24 Tage. Noch kürzer wäre der Transport über die östliche Route, welchen die Eurasische Entwicklungsbank mit 15 bis 18 Tagen angibt.

Vor Ausbruch der Coronapandemie waren die Kosten für den Transport per Schiene im Schnitt doppelt so teuer wie der Transport per Schiff. Doch die steigende Nachfrage nach verlässlichen End-to-End-Transporten sorgt für ein Umdenken. Die Eurasische Entwicklungsbank schätzt das Container-Frachtvolumen auf der Nord-Süd-Achse bis 2030 auf 325.000 bis 662.000 20-Fuß-Standardcontainer (TEU). Die Annahme stützt sich auf eine Analyse der transportierten Waren auf dieser Strecke.

Prognose der Warenströme entlang des Nord-Süd-Transportkorridors bis 2030 (in 1.000 20-Fuß-Standardcontainern)

Basis-Szenario

Best-Case-Szenario*

Nahrungsmittel

69

164

Metalle

54

113

Holz und Papier

31

68

Maschinen und Ausrüstung

27

60

Mineraldünger

16

34

Textilien und Schule

15

24

*) Unter der Voraussetzung, dass Kosten und Zeitaufwand des Exportverfahrens auf den EU-Durchschnitt gesenkt werden.Quelle: Eurasische Entwicklungsbank

EAWU erschließt neue Handelspartner in Süd- und Vorderasien

Bis 2030 soll 75 Prozent des Handels auf dem Nord-Süd-Transportkorridor zwischen der EAWU und den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres (Iran, Aserbaidschan) sowie Südasien (Indien) abgewickelt werden. Die Zeichen für eine wirtschaftliche Integration in der Region stehen gut: Mit dem Iran hat die EAWU 2018 ein Interim-Freihandelsabkommen (PTA) abgeschlossen. Auch mit Indien wird über ein Freihandelsabkommen (FTA) verhandelt. Bangladesch hat jüngst die Initiative ergriffen und ein FTA mit der EAWU vorgeschlagen.

Aktuelles zum Präferenzhandelsabkommen EAWU - Iran

Am 27. Oktober 2019 trat das Präferenzhandelsabkommen (PTA) zwischen der EAWU und dem Iran in Kraft. Vorerst kommen 862 Warengruppen in den Genuss von niedrigeren Zöllen. Das auf drei Jahre ausgelegte Abkommen läuft am 5. Oktober 2022 aus, weshalb beide Parteien nun technische und fachliche Verhandlungen aufgenommen haben. Ziel ist, das PTA zu einem vollwertigen Freihandelsabkommen (FTA) aufzuwerten.


Wenn dies erreicht wird, steigt die Anzahl der von niedrigeren Zöllen betroffenen Waren um ein Zehnfaches auf mindestens 8000 Positionen an. Das dürfte den Handel zwischen der EAWU und dem Iran massiv ankurbeln. Schon das vergleichsweise begrenzte PTA sorgte dafür, dass das Handelsvolumen zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 um mehr als 84 Prozent stieg. 


Der Erfolg des FTA hängt laut einem Experten des Russian International Affairs Council aber von der Lösung weiterer Probleme ab:

  • Beschränkung von Geldtransfers aufgrund von US-Sanktionen gegen den Iran,
  • unvollständige Schienenverbindung zwischen der EAWU und dem Iran im Kaukasus,
  • Mangel an Kühlcontainern für Transport von landwirtschaftlichen und tierischen Erzeugnissen,
  • geringe Kapazität der iranischen Häfen am Kaspischen Meer,
  • fehlende Kenntnisse über Märkte und Wirtschaftsstruktur.

Aserbaidschan könnte bald den Beobachterstatus bei der EAWU erlangen, nachdem Armenien sein Veto für die Kooperation mit dem Anrainerstaat zurückgezogen hat. Eine weitere Entspannung im Südkaukasus würde das zeitaufwändige Umladen der Container an der aserbaidschanisch-iranischen Grenze überflüssig machen. Noch sind Spediteure aufgrund der fehlenden Bahngleise zwischen Astara und Rasht gezwungen, auf LKW auszuweichen. Doch eine kürzlich erzielte Einigung zwischen den Staatsoberhäuptern Armeniens, Aserbaidschans und Russlands sieht vor, die Transportwege im Südkaukasus zu öffnen. Bald sollen die Züge auf den bestehenden Bahngleisen über Armenien wieder direkt in den Iran rollen.

Regionale Entwicklung entlang der Transportachse

Für die EAWU-Länder ist der Nord-Süd-Korridor auch eine Lebensader durch strukturschwache Regionen wie die russischen Nordkaukasusrepubliken, Westkasachstan und die abgelegene Syunik-Provinz Armeniens. Der Ausbau der Infrastruktur, Handelserleichterungen durch effektives Grenzmanagement und die Eröffnung von Sonderwirtschaftszonen könnten der Entwicklung vor Ort neue Impulse geben.

Armeniens Rolle innerhalb des Nord-Süd-Korridors

Armenien hat das Potenzial, zu einem Transporthub entlang des INSTC zu avancieren. Neben der Reaktivierung der Eisenbahnverbindung ist mit der Nord-Süd-Autobahn ein weiteres großes Infrastrukturprojekt in Planung. Die Trasse verkürzt die Entfernung von der georgischen zur iranischen Grenze. Auch das Nachbarland Georgien baut an Straßen und Tunneln entlang dieser Achse. Damit rücken die Märkte Russlands und des Iran noch näher zusammen. 

Die Länder Zentralasiens haben das Potenzial bereits erkannt und mit dem Bau von grenznahen Logistikzentren begonnen, die langfristig zu einer Verdoppelung der Handelsvolumina beitragen sollen. An der russisch-kasachischen Grenze (Provinz Westkasachstan) soll das Grenzhandelszentrum „Eurasien“ entstehen. Im Jahr 2017 eröffnete die freie Wirtschaftszone „Meghri“ an der armenisch-iranischen Grenze, wo sich bis zu 120 Unternehmen ansiedeln sollen. Die Betreiber erwarten Investitionen von bis zu 400 Millionen US-Dollar in einem Zeitraum von zehn Jahren.

Grüner Verkehrskorridor

Der Schienenverkehr gilt als emissionsarm, der Ausstoß von Treibhausgasen beträgt nur geringfügig mehr als beim Schiffsverkehr. Wenn auch die Belastung durch Feinstaub- und Stickstoffmonoxid berücksichtigt wird, so sind Güterzüge das umweltfreundlichste Transportmittel. Das macht den Nord-Süd-Korridor auch mit Blick auf den Klimaschutz konkurrenzfähig.

Aufwändige Grenzkontrollen sind die größte Hürde

Um den Güterverkehr auf der Nord-Süd-Achse zu entfesseln, sind aber noch einige Hürden zu überwinden. Die größten Baustellen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum sind:

  • Zugehörigkeit der Länder zu verschiedenen wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, 
  • fehlende Entwicklungsstrategie,
  • aufwändige Grenzkontrollen,
  • infrastrukturelle Engpässe.

Die EDB schätzt, dass der Handel zwischen den Ländern des INSTC-Abkommens um 5,9 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 zunehmen könnte, wenn die Kosten des Grenz- und Zollverfahrens auf den EU-Durchschnitt gesenkt werden. Noch stärker wirkt sich eine effiziente Grenzabfertigung aus: Über 50 Prozent mehr Warenströme zwischen der EAWU und Vorder- und Südasien könnten realisiert werden.

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