Special | EU-China | Konnektivität
China und Europa: Partner oder Gegner bei der Normung?
Noch dominieren Europäer die internationale Normungszusammenarbeit. Doch China entwickelt wegweisende Standards gleich auf vier Zukunftsfeldern.
26.04.2022
Von Marcus Hernig | Bonn
Amerikaner, Ostasiaten und Europäer sind die führenden Mitglieder der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) und der Internationalen Kommission für Elektrotechnik (IEC). Der größte Aufsteiger der letzten Jahre ist jedoch China.
Noch setzen Europäer die meisten Standards
Setzt das Reich der Mitte damit bereits heute die meisten technischen Standards? Die Antwort lautet: Nein. Noch sind es die Europäer. In einer 2021 dem Deutschen Bundestag vorgelegten Studie kommt Sibylle Gabler, verantwortlich für Regierungszusammenarbeit beim Deutschen Institut für Normung (DIN), zu folgendem Detailergebnis:
- In der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) führt das Deutsche Institut für Normung (DIN) 17,36 Prozent aller Sekretariate der ISO, welche die technischen Standards unserer Zeit setzen.
- Richtet man den Blick auf Europa, so sind mit der jeweiligen deutschen, der britischen, der französischen, der schwedischen und der italienischen Organisation für Standardisierung fünf europäische Einrichtungen unter den stärksten zehn technischen Normensetzern weltweit. Sie führen fast die Hälfte (44,27 Prozent) aller Sekretariate bei der ISO.
- Betrachtet man das Engagement der Länder bei der Internationalen Kommission für Elektrotechnik (IEC), dann ist das Ergebnis noch deutlicher: Unter den führenden sieben Staaten der IEC sind vier europäische, die zusammen 94 Sekretariate führen. Deutschland steht mit 37 Sekretariatsvorsitzen deutlich an erster Stelle vor den USA mit 29.
- China liegt bei den Sekretariatsvorsitzen im Rahmen der ISO mit seiner Staatlichen Standardisierungsorganisation SAC auf Rang 6 (8,36 Prozent aller geführten Sekretariate)
- Bei der Internationale Kommission für Elektrotechnik taucht das Reich der Mitte nicht unter den ersten sieben gelisteten Staaten auf.
- Europäer und Amerikaner stehen mit circa 76 Prozent geführter technischer Sekretariate weit an der Spitze vor Asien.
- 17 von 31 (55 Prozent) aller neuer Normungsfelder der ISO wurden von Europäern eingebracht, mit dem Vereinigten Königreich und Frankreich an der Spitze, vier Normungsfelder stammen von der chinesischen SAC.
China-Konkurrenz bei Standards: Drei Gründe sind wichtig
Woher kommt also die Furcht vor Chinas Aufstieg zur dominierenden Macht im Wettbewerb um globale Standards? Ein erster Grund liegt in dem Top-Down-Modell staatlicher Steuerung. In China spielt der Staat als Anreizgeber bei der Normierung eine wichtige Rolle. Normierungsinitiativen werden gezielt mit Stipendien, Forschungsgeldern oder Zuschüssen gefördert. „Chinas Normierung ist makroökonomisch ausgerichtet und steuert die Entwicklung seiner Volkswirtschaft, während europäische Normierer aus Unternehmen die Betriebswirtschaft im Blick haben“, sagt Sibylle Gabler.
Der zweite Grund liegt nicht in der Anzahl der internationalen Normierungsgremien, die China führt, sondern im klaren Fokus der Branchenausrichtung. Wo neue Technologien Nischen eröffnen, besetzen chinesische Expertinnen und Experten schnell Positionen. Im Fokus stehen besonders Branchen des Feldes Digitalisierung.
Der dritte Grund ist das Instrument der Geoökonomie. China will seine eigenen Standards gezielt exportieren. Ein Instrument dafür ist die neue Seidenstraße oder Belt and Road Initiative (BRI).
Digitalisierung: China ist stark in vier Bereichen
Im Bereich Telekommunikation hat China die meisten Mitglieder innerhalb des 3rd Generation Partnership Project (3GPP), einem Konsortium aus sieben nationalen und regionalen Standardisierungsorganisationen. Von GSM bis 5G hat 3GPP die bekannten Mobilfunkstandards entwickelt.
Huawei machte bisher im Rahmen von ISO die meisten Vorschläge zu neuen Standards und erhielt von allen Institutionen die meisten Genehmigungen. Aber Huawei ist nur ein Player unter anderen, auch amerikanische Tech-Firmen sind dort aktiv. Betty Xu, Expertin für europäische Standards in China, teilte GTAI im Interview mit, dass "chinesische Entwicklungen im Bereich 5G bisher nur 30 bis 40 Prozent aller genehmigten Standards ausmachen."
Beim Thema automatisiertes Fahren führt China innerhalb der ISO Sekretariate für Testszenarien. Auch bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) arbeiten chinesische Experten aktiv an der Normierung von Künstlicher Intelligenz (KI) für automatisiertes Fahren und Fahrassistenzsysteme. Noch liegt China allerdings hinter den USA, Großbritannien und Deutschland auf dem vierten Rang.
Im Bereich des Quantencomputings entwickeln Chinas Normierer im Rahmen der Organisation für technische Standards innerhalb der ITU (ITU-T) und beim Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) Industriespezifikationen zum Zukunftseinsatz des Quantencomputings.
Ein vierter Bereich des Schlüsselfelds Digitalisierung ist Industrie 4.0. China ist auf dem Weg, seine Entwicklungen im Technologiefeld "digitale Zwillinge" zu einem ISO-Standard zu entwickeln. Digitale Zwillinge sind virtuelle Doppelgänger eines Objekts aus der realen in der digitalen Welt. Das Feld Industrie 4.0 ist gleichzeitig einer der wichtigsten Bereiche deutsch-chinesischer Technologiekooperation. Hier liegen Zusammenarbeit und Konkurrenz eng beieinander.
Kooperation mit China: Wo findet Zusammenarbeit statt?
Möglichkeiten der Zusammenarbeit bieten sich auf nationaler und auf überstaatlicher Ebene. Auf nationalem Level kooperieren die Standardisierungsorganisationen (SDO) der Einzelstaaten direkt mit Chinas Standardisierungsbehörde SAC. Seit 2011 arbeiten Experten aus Deutschland und China für das Deutsche Institut für Normung (DIN) und die SAC in der Deutsch-Chinesischen Kommission Normung zusammen.
Die Europäische Kommission beschäftigt gemeinsam mit den europäischen Normierungsorganisationen mit Betty Xu eine Expertin für Standardisierung in China, die mit ihrem Team europäische Interessenvertreter über Normen- und Standardentwicklung in China informiert und Europas Standardisierungsarbeit in China vorstellt.
Deutsches Institut für Normung (DIN), u.a. China und die Normung | |
Europäisches Komitee für (elektrotechnische) Normung (CEN-CENELEC) | |
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