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Gesundheitssystem
Frankreichs Gesundheitssystem ist gut aber auch teuer. Die Regierung treibt Reformen voran.
23.01.2023
Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris
Das öffentliche Gesundheitssystem in Frankreich gehört zu den besten, aber nach den USA und Deutschland auch teuersten weltweit. Die Coronakrise hatte nach Jahren moderater Kostenentwicklungen die Gesundheitsausgaben in die Höhe getrieben. Insgesamt wendete das Land 2021 mit 12,4 Prozent einen etwas geringeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Gesundheit auf als Deutschland (12,8 Prozent). Die Ausgaben sind die zweithöchsten in der EU und liegen knapp über dem europaweiten Durchschnitt von etwa 12 Prozent des BIP.
Die Sozialversicherung trägt mit 80 Prozent der Gesamtausgaben in 2021 den Löwenanteil der Kosten. Diese finanziert sich überwiegend über Arbeitsgeber- und Arbeitnehmerbeiträge und zu einem geringen Anteil über staatliche Zuschüsse und Steuern (Tabak, Alkohol). Private Pflichtversicherungen (assurances complémentaires) und freiwillige private Zusatzversicherungen tragen 13 Prozent zur Abdeckung der Kosten bei. Die privaten Pflichtversicherungen, die anteilig vom Arbeitgeber finanziert werden, sind erst seit 2016 verpflichtend und decken etwa 64 Millionen Menschen ab. Für einkommensschwache Familien übernimmt der Staat die Beiträge. Hinzu kommen freiwillige privaten Zusatzversicherungen mit etwa 9 Millionen Versicherten. Private Zuzahlungen erreichen sieben Prozent der Gesamtausgaben im Jahr 2021.
Bei der Prävention besteht noch Handlungsbedarf
Die Zuzahlungen der privaten Haushalte dürften jedoch weiter zurückfallen. Schrittweise ist 2019 bis 2021 die vollständige Kostenübernahme von Basispaketen für Brillen, Hörgeräten und Zahnersatz (100% santé) eingeführt worden. Die Regierung hat darüber hinaus bis Ende November 2021 einen Bericht zur Neuausrichtung der öffentlichen Gesundheitsversorgung in Auftrag gegeben. Untersucht werden soll die Möglichkeit eines vollständig öffentlich finanzierten Systems oder zumindest eine Neuverteilung der Finanzierung zwischen öffentlicher Hand und privaten Pflichtversicherungen.
Das französische Gesundheitssystem schneidet im Vergleich in der Europäischen Union (EU) bei der Qualität der Versorgung relativ gut ab. So erreicht Frankreich nach OECD-Daten in der EU bei der Mortalität durch behandelbare Krankheiten die drittniedrigste Rate je 100.000 Einwohner und liegt in der OECD nur hinter der Schweiz, Norwegen und Japan. Schlechter schneidet das Land bei der Mortalität durch vermeidbare Krankheiten ab - also in der Prävention. Dies liegt vor allem an einem hohen Anteil an Rauchern und einem hohen Alkoholkonsum.
Anzahl der Krankenhausbetten gesunken
Im Jahr 2020 umfasst der öffentliche Sektor 45 Prozent der Einrichtungen, aber 54 Prozent der Betten. An der Spitze stehen aufgrund ihrer Größe und Ausstattung die Universitätskliniken CHU und Regionalkrankenhäuser CRU. Die Gesamtbettenanzahl ist zwischen 2003 und 2021 nach Zahlen des DREES um 17 Prozent zurückgegangen, auch geschuldet besserer ambulanter Behandlungsmöglichkeiten. Zwar stand die Regierung gerade zu Beginn der Coronakrise vor allem aufgrund überfüllter Intensivstationen in der Kritik. Allerdings schaffte sie es, zu Hochzeiten der Pandemie zügig die Bettenzahl hochzufahren.
Sektor | Einrichtungen | Bettenanzahl |
---|---|---|
Öffentlicher Sektor | 1.347 | 43.109 |
darunter Universitäts- und Regionalkliniken | 180 | 11.053 |
Privater gemeinnütziger Sektor | 670 | 14.659 |
Privatsektor | 972 | 21.991 |
Gesamt | 2.989 | 79.759 |
Nach Abflauen der akuten Coronakrise hat sich gezeigt, dass es vor allem an Personal mangelt, um dauerhaft Betten oder auch nur den vorhandenen Bestand an Betten bewirtschaften und abdecken zu können. Die Regierung hat den Numerus Clausus für Gesundheitsberufe aufgehoben, mehr Studienplätze geschaffen und in der Krise im Rahmen des Förderprogramms Ségur de la santé die Löhne angehoben. Diese Reformen dürften allerdings erst in einigen Jahren zu einer besseren Verfügbarkeit von Ärzten und Pflegekräften führen.
Bei der Anzahl der Ärzte je 100.000 Einwohner lag Frankreich 2020 mit 318 praktizierenden Ärzten unter dem Durchschnitt von 22 EU-Ländern von 387 Ärzten. Der Ärztemangel vor allem im ländlichen Raum ist ein wichtiges Thema in Frankreich. Die Regierung versucht mit Subventionen für Gemeinschaftspraxen und mit mehr Telemedizin gegenzusteuern. Zudem müssen angehende Mediziner seit 2023 ein viertes Praxisjahr absolvieren. Bei Pflegekräften steht das Land hingegen besser da. Mit 1.130 Pflegekräften je 100.000 Einwohnern liegt das Land hingegen hinter Irland, Finnland und Deutschland auf dem vierten Rang der EU-Länder. Pflegekräfte sind in Frankreich mit weitergehenden Kompetenzen ausgestattet als ihre deutschen Kollegen und können auch selbständig tätig werden.
Rechnungshof mahnt Einsparungen an
Frankreichs Gesundheitssystem hatte sich in der Pandemie als widerstandsfähig erwiesen. Die Krise hat neben dem Personalmangel aber auch einige weitere Probleme aufgedeckt. Als ein Schwachpunkt gilt die schwache Koordinierung zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Pflegeheimen sowie administrative Hindernisse in den Krankenhäusern. Die im Januar 2023 von Präsident Macron angekündigte Reform des Gesundheitswesens soll in den kommenden zehn Jahren Abhilfe schaffen.
Auch das Instrument des Ausgabenziels für die Krankenversicherung Ondam (objectif national de dépenses d'assurance maladie) soll angepasst werden. Jährlich wird eine Steigerungsrate für das Ondam vorgegeben. 2023 darf sie ohne Covid-Sonderausgaben 3,7 Prozent erreichen. Diese ist wichtig, weil sich daraus aufgrund der "natürlichen" Kostensteigerung von etwa 4 Prozent Sparziele für die Ausgaben für Medikamente und Medizintechnik ableiten. Das Ondam soll zunächst auf fünf Jahre im Voraus definiert werden.
Der französische Rechnungshof (Cour des comptes) sieht die konstanten Budgetsteigerungen kritisch. Zwar plant das Finanzgesetz 2023 mit Kosteneinsparungen bei Medikamenten und bildgebenden Verfahren. Allerdings prognostiziert der Rechnungshof in den kommenden Jahren ein weiter steigendes Defizit bei den Sozialausgaben und verlangt Reformen. Insbesondere bei der städtischen Krankenversorgung sieht er Einsparpotential. So seien die Kosten für Behandlungen in den städtischen Zentren zwischen 2010 und 2021 dreimal so schnell gestiegen wie die Inflation.