Special | Frankreich | Dekarbonisierung der Industrie
Klimaschutz-AtlasFrankreichs Schwerindustrie entwirft Klimastrategien
Die Dekarbonisierung der Industrie gewinnt an Schwung. Eine engagierte staatliche Förderung unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung von Klimaprogrammen. (Stand 05.04.2023)
05.04.2023
Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris
Die französische Regierung hat mit der Dekarbonisierungsstrategie "Stratégie nationale bas carbone" der Industrie des Landes strikte Ziele gesteckt. Bis 2030 soll das verarbeitende Gewerbe branchenübergreifend seinen CO2-Ausstoß um 35 Prozent gegenüber 2015 zurückfahren. Bis 2050 sollen die Emissionen um 81 Prozent sinken. Dies erfordert eine Neuaufstellung der französischen Industrie, die nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit steigern soll.
Branche | Einsparziel bis 2030 (in %) * |
---|---|
Chemie | 26 |
Zement | 24 |
Metall | 31 |
Aluminium | 9 |
Um die bis 2030 angepeilten Einsparziele zu erreichen, sind Nettoinvestitionen von 70 Milliarden Euro erforderlich, so der staatliche Think Tank France Stratégie. Der Staat fördert den Umbau der Wirtschaft und unterstützt durch Subventionen. Im Rahmen seines Innovations- und Investitionsplans France 2030 stellt Frankreich 5,6 Milliarden Euro für die Eingrenzung des industriellen CO2-Ausstoßes bereit. Im November 2022 hat Präsident Emmanuel Macron angekündigt, dieses Budget noch einmal um 5 Milliarden Euro aufzustocken. Parallel dazu werden über die nationale Wasserstoffstrategie etwa 9 Milliarden Euro bereitgestellt.
Zudem plant die Regierung ein Gesetz zur Förderung grüner Ansiedlungen. Dieses auch als Gegenentwurf zum amerikanischen Inflation Reduction Act konzipierte Programm soll die Ansiedlung dekarbonisierter Industrien in Frankreich anschieben. Der ab Oktober 2023 schrittweise greifende CO2-Ausgleichsmechanismus an den EU-Außengrenzen soll die lokale Industrie vor einer weniger dekarbonisierten und damit kostengünstigeren außereuropäischen Konkurrenz schützen.
Industrie steht unter Anpassungsdruck
Das verarbeitende Gewerbe Frankreichs steht unter Druck, Klimastrategien für seine Unternehmen zu entwerfen und vor allem auch umzusetzen und zu finanzieren. Nicht nur die französischen Zielvorgaben und strengere europäische Berichtsanforderungen führen dazu, dass Dekarbonisierungsziele in den Führungsetagen zum zentralen Diskussionspunkt werden.
Auch handfeste wirtschaftliche Erwägungen treiben zum Handeln. Steigende Preise im Emissionshandel sowie der zunehmende Fokus von Geldgebern auf die Klimaaktivitäten von Unternehmen als Kriterium zur Kreditvergabe zwingen Firmenleitungen, unternehmensangepasste Dekarbonisierungstrategien zu erstellen. Zudem spüren gerade die großen börsennotierten Unternehmen wachsenden Druck durch ihre Anteilseigner, nachhaltige und ernsthafte Dekarbonisierungspläne vorzulegen.
Chemie, Stahl und Zement im Fokus der Dekarbonisierung
Die Stahlindustrie, der Chemiesektor und der Baustoffsektor (Plastik, Zement, Glas) sind nicht für das Wirtschaftsgefüge Frankreichs, sondern auch für die Dekarbonisierung des Landes von wesentlicher Bedeutung. Die drei Branchen erbringen zusammen knapp 28 Prozent der Wertschöpfung der französischen Industrie, erzeugten 2021 dafür aber 71 Prozent der gesamten industriellen Treibhausgasemissionen.
Recycling, Energieeffizienz und erneuerbare Energien sowie der Ersatz fossiler Brennstoffe durch Alternativen wie Wasserstoff oder Biomasse bilden die Grundlage unternehmerischer Dekarbonisierungsstrategien der Schwerindustrie. Branchen, die aufgrund ihrer Produktionsprozesse Treibhausgasemissionen nicht vollständig eliminieren können (insbesondere die Zementindustrie) engagieren sich bei der Entwicklung von Lösungen zur CO2-Abspaltung. Bislang wird auch die Kompensation als eines der Mittel genutzt, die Produktion rechnerisch klimaneutral aufzustellen. Allerdings gerät dieser Ansatz, auch angesichts nicht immer nachhaltiger Umsetzung der Kompensationsvorhaben, in Frankreich zunehmend in die Kritik.
Schwerindustrie stellt Produktionsprozesse auf den Prüfstand
Die Stahlindustrie ist intensiv dabei, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. ArcelorMittal hat sich zum Ziel gesetzt, seine Treibhausgasemissionen in Frankreich bis 2030 zwischen 35 und 40 Prozent zu senken. Bis 2050 will das Unternehmen weltweit Klimaneutralität erreichen. Hierfür investiert Arcelor allein in Frankreich 1,7 Milliarden Euro, unter anderem in den Aufbau einer Produktion direkt reduzierten Eisens. In Dünkirchen und Fos-sur-Mer rüstet das Unternehmen Hochöfen auf die Wasserstoffnutzung um und errichtet elektrische Hochöfen. Zudem stellt das Unternehmen sämtliche Produktionsstufen und Prozesse auf den Prüfstand. Um die Umstrukturierung voranzutreiben, hat ArcelorMittal den mit 100 Milllionen Euro ausgestatteten Investitionsfonds Xcarb aufgelegt. Der Fonds soll die Entwicklung von Dekarbonisierungstechnologien für die verschiedensten Stufen der Stahlproduktion finanzieren. Insbesondere die Kooperation mit Start-ups steht im Vordergrund.
Andere Branchenunternehmen bleiben nicht untätig. Im Juli 2022 kündigte ein Konsortium rund um EIT InnoEnergy, Engie und Forvia eine Investition in Höhe von 2,2 Milliarden Euro in den Aufbau einer Produktion direkt reduzierten Eisens auf Basis von Wasserstoff an. Auch der Stahlhersteller LME plant eine Investition in Höhe von 125 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren. Seine Dekarbonisierung startet das Unternehmen mit dem Austausch eines seiner zwei Hochöfen. Ein System der Abwärmerückgewinnung soll CO2-Einsparungen in Höhe von 16 Prozent bringen.
Die französische Chemie- und Zementindustrie machen sich ebenfalls auf den Weg in die Klimaneutralität. Solvay plant in Kooperation mit Veolia, seine Natriumkarbonatproduktion in Dombasle auf Ersatzbrennstoffe umzustellen. Die Investition in Höhe von 225 Millionen Euro soll die Treibhausgasemissionen des Werkes um 50 Prozent absenken. Auch die Zementhersteller des Landes engagieren sich. Eqiom wird mit einem von Air Liquide entwickeltem Prozess die bei der Herstellung erzeugten Treibhausgase abspalten und will damit zu einem der ersten klimaneutralen Zementwerke Europas werden. Der Europäische Innovationsfonds steuert 150 Millionen Euro bei.
Projektträger (Standort) | Branche | Projektbeschreibung | Investitionshöhe (in Millionen Euro) | Projektstand |
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Ciments Calcia (Airvault) | Zement, Baustoffe | Neue Produktionslinie; Betrieb basierend auf Ersatzbrennstoffen | 285 | Betriebsbeginn 2024 |
Novacarb (Laneuveville-devant-Nancy) | Chemie | Ersatzbrennstoffkraftwerk | 100 | Betriebsbeginn 2024 |
Lhoist/Air Liquide (Réty) | Kalkindustrie | Errichtung CO2-Abscheidungseinheit | k.A. | Betriebsbeginn 2028 |
Alsachimie/B+T Environnement (Chalampé) | Chemie/Energie | Ersatzbrennstoffkraftwerk | 110 | Betriebsbeginn 2023 |
Air Liquide, Borealis, Esso S.A.F., TotalEnergies, Yara International ASA (Bassin industriel Normand) | Chemie, Petrochemie | Dekarbonisierung der Industrieregion Normandie, Aufbau einer regionalen Infrastruktur für CO2-Abscheidung und -Lagerung | k.A. | Absichtserklärung 2021 |