Die Schwerindustrie ist in Italien ein wichtiger Wirtschaftszweig. Sie muss sich dringend auf die europäischen Emissionsgrenzen vorbereiten.
Gleich nach der Energie- und Rohstoffknappheit ist der zu erwartende Kostenanstieg für Kohlendioxid-(CO2) Emissionen die neue Herausforderung für Italiens Industrie.
Viele energieintensive Branchen
Die Stahl-, Zement-, Chemie-, Papier-, Glas- und Keramikindustrien gehören zu den großen Branchen in Italien, doch diese Sektoren sind schwierig zu dekarbonisieren. Dabei sind sie sind für knapp zwei Drittel des CO2-Ausstoßes der italienischen Industrie und für rund 13 Prozent der gesamten Emissionen des Landes verantwortlich.
Für die Dekarbonisierung des verarbeitenden Gewerbes gibt es in Italien noch keine Gesamtstrategie. Teilstrategien aber finden sich im Nationalen Energie und Umweltplan (2019), im Recovery-Plan (2020) und in der langfristigen Nationalstrategie für die Reduzierung von Treibhausgasen (2021).
Die stärksten Investitionsimpulse könnten von den sinkenden zulässigen Emissionsmengen Europas kommen. Der Industrial Decarbonization Pact, zu dem sich die wichtigsten Branchenverbände zusammengeschlossen haben, erwartet, dass die erhöhten CO2-Kosten bis 2030 alle "hard-to-abate"-Branchen, das sind Branchen, in denen Co2-Emissionen schwer zu vermeiden sind, in ihrer Existenz gefährden werden. Dies gilt für den Fall, dass nicht in entsprechende neue Technologien investiert wird.
Als wichtigste Maßnahmen im Hinblick auf die angestrebte EU-Klimaneutralität bis 2050 gelten der Einsatz von Carbon Capture Storage and Utlilzation (CCSU) - die Speicherung von CO2 im Untergrund - und Green Fuels. Hinzu kommen die Elektrifizierung, Effizienzgewinne und der Einsatz erneuerbarer Energien und alternativer Brennstoffe aus der Kreislaufwirtschaft sowie anderer Brennstoffe mit niedrigem CO2-Gehalt wie Holzkohle.
Chemische Industrie: Recycling und Green Fuels
In der chemischen Industrie sieht der Industrial Decarbonization Pact das größte CO2-Einsparpotenzial beim Einsatz von Biomethan und Wasserstoff, in Kombination mit kogenerativer Stromerzeugung im Rahmen der Produktion. Der direkte Einsatz von grünem Wasserstoff könnte in der Ammoniakproduktion die gasgespeiste Dampfreformierung, das sogenannte Steam Reforming, ersetzen.
Auch in der Gasifizierung und Pyrolyse von bisher nicht-recyclebaren heterogenen Kunststoffen (Plasmix) liegt Potenzial. Ein Vorreiter ist Nextchem (Maire Tecnimont-Konzern), das bei Venedig mit ENI eine Waste-to-Fuels-Anlage erstellt. Elektrifizierung ist in Prozessen wie Steam Reforming, Kalkbrennen und Cracking bislang kosten- und technologiemäßig den Green Fuels noch unterlegen, könnte aber mittelfristig eine Alternative werden.
CCSU könnte als Ausgleich für Produktionsprozesse eine Rolle spielen, die nicht CO2-frei möglich sind, wie zum Beispiel bei der Produktion von Ruß- und Maleinsäurehydrid. Die Chemiefirmen Cabot, Polynt, Versalis und Yara beteiligten sich am CCSU-Projekt von ENI in Ravenna.
Zementindustrie braucht Carbon-Capture-Storage-Infrastruktur
In der Zementindustrie werden sich höhere Kosten für Zertifikate oder Emissionssenkungen laut Fachverband Federbeton schnell auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken, denn in der Branche sind die operativen Margen niedrig und die Konkurrenz aus anderen Mittelmeeranrainerstaaten groß. Etwa die Hälfte des CO2-Einsparpotenzials sieht der Verband beim CCSU. Hinzu komme der Ersatz schwerer fossiler Brennstoffe durch Gas und Wasserstoff sowie durch alternative Brennstoffe wie Biomasse.
Im CCSU-Projekt von Ravenna sieht der Verband eine Chance für die Branche. Gleichzeitig weist er aber auf die hohen zusätzlichen Kosten für Infrastruktur und Transport von CO2 sowie auf die komplexen Genehmigungsprozesse hin. Auch sollte das C02-Grenzausgleichssystem (CBAM) schnell in Kraft treten. Ein Pilotprojet einer Power-to-Gas-Anlage für die Zementindustrie mit CCSU mittels Calcium Looping führt Italgas mit dem Zementhersteller Buzzi Unichem bei Piacenza durch. Beim Calcium Looping wird ein Teil des im Rohzement enthaltenen Branntkalks als CO2-Absorber eingesetzt.
Stahlindustrie: Problemfall Taranto als Chance
Italiens einziges Primärstahlwerk in Taranto ist für 2 Prozent der italienischen CO2-Emissionen verantwortlich. Nach mehreren Eigentümerwechseln soll nun unter staatlicher Regie die Umwandlung in eine gas- und später wasserstoffbetriebene Direct Reduced Iron (DRI)-Anlage erfolgen. Dafür stehen bis zu 2,7 Milliarden Euro öffentliche Gelder bereit. Mit Danieli gibt es in Italien einen Technologieführer für die DRI-Technik.
Auch die meist in der Lombardei angesiedelten Spezialstahlhersteller wollen CO2 sparen, zum Beispiel durch den Einsatz von Wasserstoff oder Biogas bei der Beheizung von Industrieöfen, unter anderem beim Warmwalzen. Der Gasnetzbetreiber Snam mischte 2021 in Kooperation mit der Giva-Gruppe Erdgas erfolgreich 30 Prozent Wasserstoff zur Beheizung eines Industrieofens bei. Das Nationale Forschungsinstitut ENEA arbeitet im Rahmen des Projekts Zecomix daran, gespeicherte CO2-Rückstände der Stahl- und Zementindustrie zur Produktion von Bau- und Straßenbaustoffen wiederzuverwenden.
Geplante grüne Investitionen in der Industrie Projekt | Investitionssumme (Mio. Euro) | Anmerkung |
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Schrittweise Umwandlung des Stahlwerks Taranto (Ilva) in eine grüne Produktion | 8.000 | "Sorgenkind" der italienischen Industrie, zum Teil in den Staatsbesitz übergegangen, soll aber Rolle beim grünen Wandel spielen, Engineeringkonzern Danieli laut Pressemeldungen interessiert an einer Beteiligung beim Umbau zur Direkteisenerzreduzierung (DRI) |
Ravenna CCS | k.A. | Energiekonzern ENI, Kooperation mit Saipem und mehreren Industrieunternehmen der Region; Carbon Capture Storage and Reuse in ausgebeuteten Offshore-Gasvorkommen vor der Adriaküste, soll auch ohne europäische Gelder verwirklicht werden |
1. Prototyp Dekarbonisierung Hard-to-abate | 1.400 | Recovery Plan; noch auszuwählen aus energieintensiven Branchen (Zement, Glas, Papier, Stahl, Metall, Keramik), wahrscheinlich Stahlwerk Taranto |
2. Prototyp Dekarbonisierung Hard-to-abate | 600 | Recovery Plan; noch auszuwählen aus energieintensiven Branchen (Zement, Glas, Papier, Stahl, Metall, Keramik) |
Puglia Hydrogen Valley | 60 | Grüne Wassserstoffproduktionen in Brindisi, Taranto und Cerignola/Foggia |
Nextchem CCS Manfredonia (Apulien) | k.A. | Machbarkeitsstudie einer Waste-to-Energie mit CCS und nachhaltiger Methanolproduktion |
Dalmine Zero Emissioni (grüner Stahl) | k.A. | Stahlhersteller Tenaris in Kooperation mit Snam und Edison; Beimischung von Wasserstoff für die Speisung eines Industrieofens zur Direktreduzierung von Eisenerz (DRI), bei Bergamo (Lombardei) |
Carbon Capture, Storage and Utilization Sonatrach Augusta (Raffinerie) | k.A. | Algerischer Energiekonzern Sonatrach; Machbarkeitsstudie durch Politecnico Turin für Carbon Capture Storage and Utilization in Sizilien |
Keramikwerk Iris Ceramica, Sassuolo | k.A. | Fotovoltaikanlagen, Elektrolyseur, Einsatz von grünem Wasserstoff im Produktionsprozess, Region Emilia-Romagna |
Quelle: National Recovery and Resilience Plan (PNNR) 2021; Pressemeldungen 2021, 2022
Gute Geschäftschancen für deutschen Firmen
Zu den Technologieführern bei energieeffizienter Ausrüstung für die Industrie gehören in Italien Maire Tecnimont und Danieli. In CCSU sind italienische Dienstleister wie Saipem, Giammarco Vetrocoke oder Rosetti Marino kompetent. Bei wasserstofffähigen Pipelines ist das multinationale Unternehmen Tenaris mit Werk in Bergamo führend.
Allerdings ist der Bedarf so groß, dass auch für deutsche Anbieter Chancen bestehen. Geschäftsfelder sind: Ausbau erneuerbarer Energiequellen, Monitoring, Messung, Analyse und Optimierung der Produktion mithilfe von Photonik, Automatisierungstechnik und Künstlicher Intelligenz. Hinzu kommen: Industrielle Wärmepumpen mit niedriger Temperatur, Kombinationen aus Wärmepumpen und Heat Boostern, Wärmekraftkessel, befeuerte Erhitzer, elektrische Boiler, Dampfreformer und -kompressoren, Infrarot-Trockner, Industrie-Mikrowellen, Fusionsinduktionsöfen und Plasmatechnologie.
Von Oliver Döhne
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