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Indiens Kunststoffindustrie könnte höhere Nachfrage bedienen
Die Branche besteht zumeist aus kleinen und mittleren Unternehmen. Exporte spielen bereits eine Rolle, aber es gibt noch ungenutztes Potenzial durch freie Produktionskapazitäten.
05.03.2024
Von Florian Wenke | Mumbai
Indien ist seit Langem bestrebt, den Anteil der industriellen Wertschöpfung am Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen. Die Regierung in Neu Delhi verfolgt daher die Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere die Diversifizierung der Lieferketten sehr genau. Und sie will von Strategien wie "China-Plus-1" profitieren. Primär sollen Produktionsanlagen vor Ort entstehen. Allerdings sollen diese nicht nur den lokalen Markt bedienen, denn Indien möchte sich auch stärker als potenzieller Beschaffungsmarkt positionieren.
Die Branche umfasst zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen
Der Subkontinent verfügt über eine breite industrielle Basis, zu der auch Kunststoffhersteller gehören. Zuletzt veröffentlichte die indische Statistikbehörde Ministry of Statistics and Programme Implementation Anfang 2024 neue jährliche Industriekennzahlen. Diese beziehen sich auf das Finanzjahr 2021/2022 (1. April bis 31. März) und werten statistische Angaben zur indischen Industrie aus.
Der Untersuchung zufolge gab es in Indien 660 Fabriken für synthetischen Kautschuk und Kunststoffe in Primärform. Beschäftigt waren dort fast 65.000 Personen. Für Plastikwaren existierten 12.475 Fabriken mit rund 664.900 Beschäftigten und für Gummiwaren (ohne Reifen) 2.338 Fabriken mit über 155.400 Mitarbeitenden. Als Näherungswerte helfen diese Angaben, die Größe der Kunststoffindustrie einzuschätzen.
Der Branchenverband All India Plastics Manufacturers' Association (AIPMA) geht von rund 50.000 Branchenunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus. Mit einem Anteil von 90 bis 95 Prozent stellen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Mehrzahl. Der indische Plastics Export Promotion Council (Plexconcil) der indischen Regierung schätzt, dass die Firmen über 153.500 Maschinen zur Verarbeitung von Kunststoff verfügen.
Der Automatisierungsgrad nimmt tendenziell mit der Größe der Betriebe zu. Die meisten Unternehmen sind vor allem im Westen Indiens in den Bundesstaaten Gujarat und Maharashtra angesiedelt. Ferner gibt es auch in der Hauptstadtregion um Neu Delhi, in Kanpur (Uttar Pradesh) oder in Chennai (Tamil Nadu) eine nennenswerte Anzahl von Unternehmen. AIPMA schätzt die Zahl auf 20 bis 25 Cluster. Laut Verbandsangaben beschäftigt die Branche rund 5 Millionen Personen und erzielt derzeit einen jährlichen Gesamtumsatz von geschätzt 36 Milliarden US-Dollar (US$). Bis 2027 sollen diese Werte auf 10 Millionen Beschäftigte und 122 Milliarden US$ Umsatz klettern.
Indien liefert wenig Kunststoffe nach Deutschland
AIPMA schätzt, dass rund 3.500 Branchenunternehmen im Export aktiv sind. Auch hier handelt es sich fast ausschließlich um KMU. Die Unternehmen sind mehrheitlich nach internationalen Standards zertifiziert. Laut UN Comtrade hatten die Ausfuhren von Kunststoff in Primärform (SITC 57) im Jahr 2022 einen Wert von rund 3,6 Milliarden US$. Für verarbeitete Waren aus Kunststoff (SITC 58) betrugen die Exporte im selben Jahr 2,3 Milliarden US$. Allerdings ging nur ein kleiner Teil der Lieferungen nach Deutschland.
Der Fachverband Plexconcil fasst die Produktkategorie "Kunststoff" weiter. Für das Fiskaljahr 2022/2023 beziffert er die indischen Kunststoffexporte auf 12 Milliarden US$. Hauptabnehmer waren die USA mit einem Exportwert von 2,3 Milliarden US$, gefolgt von China mit 691 Millionen US$. Mit 465 Millionen US$ lag Deutschland auf Platz 5 der wichtigsten Absatzmärkte für lokale Kunststoffproduzenten.
Für den Zeitraum vom 1. April 2023 bis zum 31. Januar 2024 meldet der Verband Ausfuhren im Wert von circa 9,4 Milliarden US$. Zu den wichtigsten Exporten im Betrachtungszeitraum gehörten Großpackmittel (manchmal auch als flexible Schüttgutbehälter oder Intermediate Bulk Container bezeichnet) in Höhe von 645 Millionen US$, Säcke und Beutel aus Kunststoffen (351 Millionen US$) sowie optische Fasern und Kabel (316 Millionen US$).
Waren (indische HS-Kennung) | Exportwert |
---|---|
Großpackmittel (6305.32.00) | 644,6 |
Sonstige Waren aus Kunststoff (3926.90.99) | 390,0 |
Säcke und Beutel aus anderen Kunststoffen (3923.29.90) | 350,5 |
Optische Fasern und Bündel aus optischen Fasern; Kabel aus optischen Fasern (9001.10.00) | 316,4 |
Polypropylen in Primärform (3902.10.00) | 285,9 |
Polyethylenterephthalat (3907.61.90) | 261,0 |
Schichtstoffe (4823.90.19) | 252,8 |
Andere Tafeln, Platten, Folien, Filme, Bänder und Streifen, ohne Unterlage aus Polyethylenterephthalat (3920.20.20) | 173,6 |
Sonstige Waren aus Polypropylen (3926.90.80) | 173,3 |
Andere Tafeln, Platten, Folien, Filme, Bänder und Streifen, ohne Unterlage aus Polymeren des Propylens (3920.20.20) | 166,3 |
Gegenüber dem Vorjahreszeitraum sind die Exporte vieler Waren teils deutlich zurückgegangen, für optische Fasern und Kabel beispielsweise um 46,2 Prozent. Dies lässt auf freie Kapazitäten bei den Unternehmen schließen. Branchenangaben zufolge liegt die durchschnittliche Kapazitätsauslastung derzeit zwischen 50 bis 60 Prozent. Die meisten Unternehmen arbeiten also in zwei Schichten und haben die Möglichkeit, die Produktion bei steigender Nachfrage zu erhöhen. Insbesondere aus der EU und den USA meldet AIPMA bereits ein vermehrtes Interesse an indischen Kunststoffprodukten.
Herausforderungen bei der Beschaffung in Indien
Bisher gibt es kein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, allerdings wird derzeit verhandelt. Es ist unklar, ob 2024 eine Einigung erfolgt. Dadurch fallen auf viele Kunststoffwaren Zölle bei der Einfuhr nach Deutschland an und machen diese teurer.
Hinzu kommen die Logistikkosten. Zwar baut Indien derzeit seine Verkehrsinfrastruktur deutlich aus, allerdings kann der Transport in Indien zeitintensiv sein und Waren zusätzlich verteuern.
Der indische Transport- und Logistiksektor
- Im Logistics Performance Index von 2023 der Weltbank belegt Indien Rang 38 von 138 Ländern. Im Jahr 2018 war es noch Rang 44.
- Rund zwei Drittel des Frachtvolumens werden über die Straße befördert, auf den Schienengütertransport entfallen 27 Prozent.
- Indien investiert in den Ausbau und die Modernisierung seiner Verkehrsinfrastruktur. Dadurch werden sich die Transportzeiten verkürzen und die Logistikkosten sinken.
- In der Transport- und Logistikbranche dominieren nach wie vor kleine und mittelgroße Unternehmen aus dem informellen Sektor, die häufig nicht internationale Qualitätsstandards erfüllen.
- Der Warenverkehr ist immer stärker digitalisiert und die Betreiber der großen Seehäfen wollen die Umschlagzeiten weiter senken.
GTAI bietet außerdem weitere Informationen zu den Themen Transport & Logistik in Indien und zu zollrechtlichen Regeln unter Wareneinfuhr in die EU.
Zudem bestehen für die indische Kunststoffindustrie laut Branchenexperten speziell bei Vorprodukten Abhängigkeiten. So kann Indien seine Nachfrage nach Polyvinylchlorid und haltbaren Kunststoffen (enduring plastics) derzeit noch nicht vollständig selber decken. Zwar laufen auch hier Anstrengungen zum Ausbau der Herstellungskapazitäten, der Aufbau komplexer petrochemischer Fertigungen benötigt allerdings meist mehrere Jahre.
Darüber hinaus fließen Mittel zur Erweiterung der Produktion momentan eher in die Fertigung von Zwischen- und Endprodukten aus Kunststoff, weil hier die Wertschöpfung höher ist. Investitionen werden dabei vielfach durch Subventionen auf Ebene der Bundesstaaten unterstützt.
Kulturelle Aspekte sollten beim Einkauf in Indien gleichfalls beachtet werden. Es gilt, Beziehungen langfristig aufzubauen und zu pflegen. Der persönliche Kontakt zwischen den Partnern ist wichtig und sollte auf Augenhöhe erfolgen.
Tipps für den Umgang mit indischen Geschäftspartnern
- Langfristige Beziehungen spielen im indischen Geschäftsleben eine wichtige Rolle und sollten beim Aufbau eines Lieferantennetzwerks berücksichtigt werden.
- Eine enge Steuerung der Lieferbeziehungen ist sehr wichtig – bereits bei den Verhandlungen muss intensiv geprüft werden, ob die Produkte in der versprochenen Menge und Qualität über die Vertragslaufzeit geliefert werden können.
- Lieferverträge sollten juristisch wasserdicht sein, um langwierige und teure Gerichtsverfahren möglichst schon im Vorfeld auszuschließen.
- Harte Preisverhandlungen und -nachverhandlungen sind in Indien die Regel – hier sollte man flexibel bleiben, aber sich auch nicht verbiegen.
Weitere Informationen finden Sie in unserer Publikation Verhandlungspraxis kompakt Indien.
Bezeichnung | Anmerkung |
---|---|
AHK Indien (Deutsch-Indische Handelskammer) | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen |
All India Plastics Manufacturers' Association (AIPMA) | Fachverband für Kunststoffe |
Plastics Export Promotion Council (Plexconcil) | Fachverband für Kunststoffe |
Plastindia Foundation | Fachverband für Kunststoffe |
Indian Plastics Federation | Fachverband für Kunststoffe |
Indian Plastics Institute | Fachverband für Kunststoffe |
Plex Connect | Fachmesse (vom 7. bis 9. Juni 2024 in Mumbai) |
Plastvision India | Fachmesse (vom 21. bis 25. Januar 2027 in Mumbai) |
Plastindia | Fachmesse (Februar 2026 in New Delhi) |