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Klimaschutz-AtlasInvestitionen: Bis zu 15 Billionen US-Dollar für Klimaneutralität
Der Großteil der Investitionen für den Klimaschutz dürfte in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen. Auch grüner Wasserstoff und der Transportsektor bieten Chancen.
04.09.2023
Von Boris Alex | New Delhi
Um bis 2070 klimaneutral zu sein, muss Indien massiv in Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Energieversorgung, des Transportsektors und der Industrie investieren. Der Council on Energy, Environment and Water beziffert den Investitionsbedarf auf insgesamt 10 Billionen US-Dollar (US$). Gut 80 Prozent davon werden für die Umstellung des Energiesektors auf erneuerbare Energien benötigt. Indien muss die Stromerzeugungs- und Speicherkapazitäten aus Wind, Solar, Wasserkraft, Biomasse und Wasserstoff bis 2070 von 172 Gigawatt (Stand März 2023) auf 7.425 Gigawatt ausbauen. Weitere 30 Milliarden US$ werden jedes Jahr zur Senkung der Emissionen in der Industrie benötigt.
Mehrere hundert Milliarden US-Dollar pro Jahr benötigt
Die Unternehmensberatung McKinsey beziffert den Investitionsbedarf, um die Nettonull bis 2070 zu erreichen, sogar auf 12 Billionen bis 15 Billionen US$. Statt der gut 200 Milliarden US$, die jedes Jahr investiert werden müssten, fließen nach Berechnungen der Berater aber jährlich nur etwa 44 Milliarden US$ in Klimaschutzmaßnahmen. Alleine um die für 2030 anvisierten Klimaschutzziele zu erreichen, werden Investitionen von mindestens 2 Billionen US$ benötigt, so die Berechnungen der indischen Regierung.
Mission | Ziele und Maßnahmen (Auswahl) |
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- 100 Gigawatt netzgebundene Solarkapazität - 2 Gigawatt Off-Grid Solaranwendungen (Leuchten, Pumpen) - Aufbau einer lokalen Produktion von Fotovoltaikausrüstung | |
- Effizienzprogramm für energieintensive Branchen - Handelsplattform für Effizienzzertifikate - Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften zur Energieeffizienz | |
- Wiederaufforstung von 10 Millionen Hektar - Programm zur CO₂-Abscheidung von bis zu 60 Millionen Tonnen | |
- Implementierung von nachhaltigen Bauvorschriften - Energiesparmaßnahmen im Rahmen der "Smart Cities Mission" | |
- Erhöhung der Wassereffizienz um 20 Prozent - Wassereinsparung in Haushalten und Industrie | |
- Steigerung der Produktivität, Nachhaltigkeit und Klimawandelresilienz im Agrarsektor - Optimierung der Wassernutzung in der Landwirtschaft | |
- Erforschung des Klimawandels in der Himalaya-Region - Schutz der Gletscher | |
- Koordination von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen zum Klimaschutz | |
- Aufbau von Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff von 5 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 - Verringerung des CO₂-Ausstoßes um 50 Millionen Tonnen pro Jahr |
Indien hat im Rahmen seines 2008 verabschiedeten "National Action Plan on Climate Change" acht Missionen auf den Weg gebracht. Anfang 2023 kam dann noch die Mission zum Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft hinzu. Unter die Initiativen fallen jeweils eine Reihe von Investitionsprogrammen mit Bezug zum Klimaschutz. Die finanzielle Ausstattung für die Programme wird im Rahmen des Bundeshaushalts für das jeweilige Finanzjahr vom 1. April bis 31. März festgelegt. Die Mittel erhält in der Regel das für die Mission zuständige Ministerium. Darüber hinaus erhalten die einzelnen Bundesstaaten im Rahmen ihrer "State Action Plans on Climate Change" zum Teil gesondert Fördergelder von der Zentralregierung, um lokale Maßnahmen zum Klimaschutz zu implementieren.
Privatsektor investiert in erneuerbare Energien
Die im Rahmen dieser staatlichen Missionen bereitgestellten Haushaltsmittel sind aber nur ein Bruchteil dessen, was benötigt wird, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Ohne ein starkes Engagement des Privatsektors dürfte das Net-Zero-Ziel in weite Ferne rücken. Dieser ist beim Ausbau der erneuerbaren Energien bereits die treibende Kraft. Konzerne wie Tata und Reliance entwickeln Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Reliance will beispielsweise bis 2030 sein Solarportfolio auf 100 Gigawatt ausbauen. Zudem investiert der Konzern in die Produktion von Solarzellen und -modulen. Bis 2024 plant Reliance, 10 Milliarden US$ in diese Geschäftsfelder zu stecken.
Indien will die Rahmenbedingungen für Investitionen in Klimatechnologien verbessern und bezuschusst beispielsweise mit dem Industrieförderprogramm "Production-Linked Incentives" (PLI) die Produktion von Fotovoltaikausrüstung bis 2026 mit insgesamt 2,6 Milliarden US$. Auch bei der Finanzierung der erneuerbaren Energien geht die Regierung neue Wege: Im Februar 2023 begab sie erstmals grüne Anleihen im Wert von 1,9 Milliarden US$. Die Erlöse sollen in Wind- und Solarprojekte fließen.
Eine Herausforderung bleibt die Finanzierung der indischen Klimaschutzpläne. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little beziffert die Finanzierungslücke auf bis zu 3,5 Billionen US$.
Ausbau des Stromnetzes geplant
Mit dem "Green Energy Corridors"-Programm soll das indische Stromübertragungs- und -verteilungsnetz für die steigende Einspeisung von Wind- und Solarstrom ausgebaut und technisch angepasst werden. Im Januar 2022 wurden Fördermittel von 1,6 Milliarden US$ für die zweite Projektphase bewilligt. Bis 2026 sollen fast 11.000 Kilometer an neuen Stromleitungen verlegt und Transformatoren mit einer Leistung von 27.500 Megavoltampere installiert werden. Dadurch können weitere 20 Gigawatt an Stromerzeugungskapazitäten aus alternativen Quellen in das Netz eingespeist werden - ohne, dass es zu Überlastungen kommt.
Milliarden für klimafreundliche Mobilität
Im Transportsektor sollen vor allem die Elektromobilität und der Schienennahverkehr zur CO₂-Reduzierung beitragen. Mit dem Programm "Faster Adoption and Manufacturing of Electric Vehicles in India" (FAME II) wird die Anschaffung von Elektrofahrzeugen gefördert. Für das laufende Finanzjahr 2023/2024 stockte die Regierung die Mittel aus dem Bundeshaushalt um 80 Prozent auf 630 Millionen US$ auf. Neben der Zentralregierung fördern zahlreiche Regionen die Elektromobilität separat. Der Bundesstaat Uttar Pradesh hat im Oktober 2022 neue Subventionsrichtlinien verabschiedet. Neben direkten Zuschüssen werden oft vergünstigte Steuersätze als Subventionen eingesetzt. Tendenziell ist die Förderung für kleine Fahrzeuge wie Krafträder höher als für Pkw.
Die Zentralregierung finanziert zudem den Bau von U-Bahn- und Schnellbahnnetzen (Mass Rapid Transit) in immer mehr indischen Städten. Bis 2026 soll sich das Streckennetz landesweit auf 1.700 Kilometer verdoppeln. Voraussetzung ist oft, dass die Projekte als öffentlich-private Partnerschaft realisiert werden.