Wirtschaftsumfeld | Irland | Außenhandel
Von britischen Lücken und deutschen Chancen
Schon seit 2002 schrumpfen die britischen Marktanteile auf der irischen Insel. Die britischen Lücken schaffen aber auch Chancen für deutsche Exporteure.
23.06.2022
Von Marc Lehnfeld | Dublin
Irland konnte als einziges EU-Land auch in der Coronakrise wachsen. Möglich machte das die starke exportorientierte Industrie im Land. Deshalb gehört die grüne Insel auch in diesem Jahr wieder zu den Spitzenreitern beim europäischen Wirtschaftswachstum. Daraus ergeben sich Absatzchancen für deutsche Exporteure. Hinzu kommt, dass ein Wettbewerber auf dem irischen Markt immer mehr Platz macht: das Vereinigte Königreich. Die irischen Importe von dort leiden stark unter dem Brexit.
Britische Marktanteile schrumpfen
Schon seit 2002 verliert das Vereinigte Königreich Marktanteile auf der irischen Insel. Kamen die Briten Anfang des Jahrtausends noch auf einen Anteil von über einem Drittel der irischen Importe, ist der Anteil mittlerweile auf 18 Prozent abgeschmolzen. An der mangelnden irischen Nachfrage liegt es nicht, denn die irischen Warenimporte sind seit 2000 im Durchschnitt um 2,9 Prozent pro Jahr gestiegen, während sie aus dem Vereinigten Königreich um 0,1 Prozent pro Jahr geschrumpft sind.
Zuletzt hat der Brexit mit seiner neuen Zollgrenze das Königreich als Handelspartner noch weiter zurückgeworfen. Die irischen Importe von der britischen Insel sind 2021 um 22,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr deutlich eingebrochen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört die britische Supermarktkette Marks & Spencer, die wegen der hohen Zollbürokratie ihr Sortiment um 800 Produkte reduzieren muss und in Zukunft stärker lokal beschaffen will.
Gütergruppen | Britischer Anteil 1) | Veränderung gegenüber 2000 in Prozentpunkten | Deutscher Anteil | Veränderung gegenüber 2000 in Prozentpunkten |
---|---|---|---|---|
Gesamt | 18,3 | -15,9 | 8,0 | +2,0 |
Sonstige Chemie 2) | 13,6 | -23,5 | 5,0 | -3,6 |
Flugzeuge 3) | 0,1 | -6,0 | 9,0 | +8,0 |
Verschiedene Fertigwaren 4) | 20,7 | -19,5 | 7,4 | +2,5 |
Pharma 5) | 12,2 | -17,7 | 10,6 | +1,7 |
Lebensmittel 6) | 41,0 | -10,8 | 7,2 | +5,3 |
Elektrische Maschinen 7) | 6,6 | -29,9 | 6,4 | +1,8 |
Industriemaschinen 8) | 17,5 | -13,2 | 10,1 | +2,9 |
Das Rennen um Marktanteile in Irland ist noch nicht vorbei
Auch jenseits der genannten Gründe entwickeln sich die britischen Lieferungen schwach. Die Konsequenz: fallende Marktanteile in allen wichtigen Güterkategorien. Das schafft auch Absatzchancen für deutsche Unternehmen. Bisher hat Deutschland nur in begrenztem Umfang davon profitiert. Die Marktanteile sind zwar in vielen Produktkategorien gewachsen, insgesamt sind aber die irischen Importe aus Deutschland seit 2000 mit 4,3 Prozent pro Jahr langsamer gestiegen als zum Beispiel aus China (+11,3 Prozent jährlich) und Frankreich (+7,1 Prozent jährlich).
Das Rennen um britische Marktanteile ist aber noch nicht beendet, denn die neue Zollgrenze trifft die britischen Exporteure nachhaltig und mehrfach. Die Zollbürokratie verschlechtert zum einen ihre kostenmäßige Wettbewerbsposition und verlangsamt den Lieferverkehr, während andererseits neue Direktverbindungen zwischen Irland und Kontinentaleuropa die Belieferung durch EU-Firmen verbessern. Auch die britische Abweichung bei Regulierungen weg vom CE-Kennzeichen und EU REACH sorgen für Mehrbelastungen bei britischen Exporteuren.
Irland bietet Geschäftschancen in vielen Bereichen
Die Geschäftsmöglichkeiten auf der irischen Insel sind vielfältig. Großprojekte finden sich vor allem im National Development Plan, der bis 2030 staatliche Investitionen in Höhe von rund 165 Milliarden Euro verspricht - ein Rekord im irischen Staatshaushalt. Allein in 2022 fließen rund 14 Milliarden Euro in staatliche Projekte.
Unter den zahlreichen Vorhaben befindet sich das größte staatliche Investitionsprojekt der irischen Geschichte. Das U-Bahn-Projekt "Metrolink" soll für 3 Milliarden Euro in der Dubliner Hauptstadtregion eine Nord-Süd-Verbindung schaffen, die unter anderem den Flughafen mit der Innenstadt verbinden wird. Auf der Projektseite informiert Metrolink regelmäßig über den aktuellen Stand und anstehende Beschaffungen.
Weitere staatliche Großprojekte zielen auf den Wohnungsbau des wachsenden Landes und die energieeffiziente Sanierung im Gebäudebestand ab. Darüber hinaus wird der öffentliche Personennahverkehr, vor allem auf der Schiene, in irischen Städten ausgebaut und die Häfen von Dublin und Rosslare werden erweitert.
Mit "Metrolink" investiert die irische Regierung 3 Milliarden Euro in das größte Projekt seiner Geschichte.
Jenseits staatlicher Investitionen locken auch Aufträge durch ausländische Investoren. Im letzten Jahr lotste die irische Investitionsförderagentur IDA Ireland 249 Firmen ins Land, darunter Produktionsstätten wie die Erweiterungsinvestition vom Halbleiterkonzern Intel in Kildare mit rund 1.600 neuen Arbeitsplätzen. Die Liste der Investoren kann auch deutschen Unternehmen als Vertriebsgrundlage dienen.
Anknüpfungspunkte bietet aber auf Irlands Weg zu einer Energiewirtschaft aus erneuerbaren Quellen mit Projekten von Shell für eine 1,4 GW starke Floating Wind Anlage oder den 200 Millionen Euro teuren Wasserstoff-Elektrolyseur von Mercury Renewables. Mit dem "German-Irish Hydrogen Council" bietet die Deutsch-Irische Industrie- und Handelskammer auch eine bilaterale Networking-Plattform für interessierte Firmen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger/Anmerkungen |
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MetroLink, neue U-Bahn (Dublin Zentrum-Flughafen-Swords) | 3.000 | In Planung; Realisierung voraussichtlich bis 2031 | Planung erstellt Konsortium die Jacobs Engineering Group Inc. und Idom |
Landesweiter Ausbau des Breitbandnetzes | 3.000 | In Planung; teilweise im Bau; Realisierung bis 2044 geplant | |
2.600 | In Planung; Konsultationen laufen | Iarnród Éireann (irische Eisenbahngesellschaft) | |
Offshore-Windpark Codling (Kapazität 1.500 Megawatt) | 2.000 | In Planung; geplanter Baustart: 2026 | Joint Venture: Fred Olsen Seawind und EDF Renewables |
Neues Kinderkrankenhaus in Dublin mit 39 medizinischen Fachabteilungen | 1.400 | Im Bau; geplante Fertigstellung: Mitte 2024 | Bam Ireland |
1.300 | In Planung; Realisierung voraussichtlich 2024 | Ausbau der Wasserversorgung an der Ostküste und deren Hinterland, u.a. Bau einer 170 Kilometer langen Pipeline samt Behandlungsanlagen | |
Celtic Interconnector (rund 600 Kilometer langes Seekabel nach Frankreich) | 1.000 | In Planung; Realisierung bis 2027 | EirGrid und RTE |
North Irish Sea Array Offshore Wind Park (500 Megawatt); an der Küste von North County Dublin, Meath and Louth | 1.000 | In Planung; geplanter Baustart: 2024 | Statkraft Ireland |
Oriel Offshore Wind Park (375 Megawatt); Louth, Nordostirland | 900 bis 1.000 | In Planung | ESB Energy und Parkwind NV |
Autobahn N/M20 von Cork nach Limerick (80 Kilometer) | 1.300 | In Planung | |
Neue Pharmaproduktionsstätte, Raheen Business and Technology Park, Limerick | 400 | In Planung | Eli Lilly (USA) |
Expansion über die grüne Grenze nach Nordirland
Wer den irischen Markt erschließen will, muss auch an der grünen Grenze zu Nordirland keinen Halt machen. Trotz Brexit bleibt der britische Landesteil Teil des europäischen Binnenmarktes und damit frei von einer Zollgrenze. Deutsche Exporteure können Waren also ohne Zollerklärung auch nach Nordirland liefern. Dafür sorgt das Nordirland Protokoll, das im Zuge des britischen EU-Austritts auch schon vor Abschluss des gemeinsamen Freihandelsabkommens geschlossen wurde.
Einerseits kritisiert die britische Regierung die neuen Hürden im Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland. Andererseits bleibt der Handel zwischen Nordirland und der EU von den Einschränkungen unberührt. Entsprechend stark wächst der irisch-nordirische Handel. Der irische Güterexport dorthin ist 2021 um 54 Prozent und der Import um 65 Prozent gestiegen. Durch die räumliche Nähe und die engen Verflechtungen ist davon auszugehen, dass es sich um ein anhaltendes Wachstum handelt.
Dieser Bericht ist auch im "German-Irish Business - Review 2022" der AHK Irland erschienen. |