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Fusionsenergie rückt stärker in den Fokus
Japan kooperiert mit der EU und den USA, um die Entwicklung von Fusionsenergie zu beschleunigen. Dabei spielen private Investitionen und Start-ups eine immer wichtigere Rolle.
22.04.2024
Von Jürgen Maurer | Bonn
Japan will die Atomfusion als Energiequelle in den nächsten zehn Jahren auf ein praxistaugliches Niveau bringen und ist damit nicht allein. Als ein wichtiger Schritt ist im Dezember 2023 in Naka City, in der Präfektur Ibaraki, der Fusionsversuchsreaktor JT-60SA eingeweiht worden. Es ist ein Kooperationsprojekt mit der EU. Bei Design und Herstellung waren auch deutsche Akteure beteiligt. Raum für weitere Kooperationen ist reichlich vorhanden.
Der JT-60SA reiht sich in eine Riege von Demonstrationsreaktoren auf Magnetfusionsbasis in verschiedenen Ländern ein. Sie sollen eine industrielle Umsetzung der Fusionstechnologie vorbereiten. Grundlegend stehen zwei Entwicklungsrichtungen im Fokus von Forschern und Unternehmen: die Magnetfusion und die Laserfusion. Das Ziel beider Ansätze ist das gleiche: Einen Energieproduktionsprozess zum Laufen zu bringen, der den Aktivitäten auf der Sonne entspricht.
Magnet- und Laserfusion kurz erklärt
Bei der Magnetfusion wird versucht, mit extrem hoher Temperatur (über 100 Millionen Grad Celsius) in einer Magnetfeldkammer ein Plasmafeld zu erzeugen. Es soll die Fusion von Atomkernen ermöglichen und dadurch Energie freisetzen. Bei einer Laserfusion kommen leistungsstarke Laser zum Einsatz, um die erforderliche hohe Temperatur und Dichte für die Kernfusion zu erreichen.
Japan stärkt Aktivitäten im Bereich der Fusionsenergie
In Forschungsreaktoren sowohl auf Basis von Laser- als auch von Magnetfusion ist es in den USA und in Europa bereits für sehr kurze Zeit gelungen, eine Fusionsreaktion in Gang zu setzen, bei der mehr Energie erzeugt als aufgebracht wurde. Der neue Reaktor in Japan soll dies übertrumpfen.
Die Entwicklung der Fusionsenergie hat in Japan an Dynamik gewonnen. Ende März 2024 haben 21 Unternehmen den Japan Fusion Energy Council - kurz J-Fusion - gegründet. Ziel ist es, die Technologie und die Standards gemeinsam voranzutreiben. In dem Branchenverband sind Großunternehmen, wie Sumitomo oder IHI, aber auch Start-ups, wie Kyoto Fusioneering und Helical Fusion, vertreten. Die Firmen, von Technologielieferanten über Energieversorger bis zu Handelshäusern und Banken, sind bereit, mehr Kapital in die Fusionsentwicklung zu investieren.
Unterstützt werden sie auch von der japanischen Regierung: Im April 2023 stellte sie ihre "Nationale Strategie für die Industrialisierung der Fusionsenergie" vor. Um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, sollen bei der Kommerzialisierung der öffentliche und private Sektor eng zusammenarbeiten. Die japanische Industrie kann nicht das gesamte Wertschöpfungsökosystem der Fusionsenergie abdecken. Aber sie will wichtige Beiträge bei Hardware- und Technologieentwicklung leisten.
Start-ups wollen durchstarten
Das 2019 gegründete Start-up Kyoto Fusioneering hat sich darauf spezialisiert, Komponenten für Fusionsreaktoren zu entwickeln und zu produzieren. Das Unternehmen erhielt 2022 von der UK Atomic Energy Authority den Auftrag, einen Gyrotron zu liefern. Dies ist ein leistungsfähiger Mikrowellen-Oszillator, der für den Betrieb von Kernfusionsreaktoren benötigt wird.
Mit dem Design und der Umsetzung von Fusionsanlagen beschäftigt sich Helical Fusion. Das Start-up hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2034 eine Pilotanlage in Betrieb zu nehmen, die ihre Technologie verifiziert und eine signifikante Energieausbeute ermöglicht. Um ein stabiles Plasma zu erzeugen, setzt das 2021 gegründete Unternehmen auf die Magnetfusion. Auf laserbasierte Fusionsenergie konzentriert sich hingegen das japanische Start-up EX-Fusion.
Die Start-ups ergänzen die öffentlichen Fusionsprojekte. Einen Gyrotron mit höherer Leistungsfähigkeit haben die National Institutes for Quantum and Radiological Science and Technology und Canon Electron Tubes & Devices entwickelt und Anfang 2023 vorgestellt. Diese Geräte sollen in dem Gemeinschaftsprojekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), der weltweit größten experimentellen Kernfusionsanlage, eingesetzt werden. Dieses Projekt wird von sieben Staaten getragen, darunter die EU, USA, Japan und China. Es befindet sich seit 2007 in Südfrankreich im Bau.
Kooperation mit den USA gesucht
Die vor Jahrzehnten entdeckte Fusionstechnologie ist noch nicht einfach zu beherrschen. Die internationale Zusammenarbeit spielt daher eine wichtige Rolle, um die Entwicklung zu beschleunigen. Daher haben auch Japan und die USA beim Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Kishida in den USA im April 2024 eine "Strategic Partnership to Accelerate Fusion Energy Demonstration and Commercialization" initiiert.
In der Fusionsforschung sind vor allem Unternehmen und Institutionen in den USA, in Großbritannien und in Deutschland aktiv. Insbesondere die USA sind aber auch führend bei der Finanzierung privater Projekte und bei der Zahl der aktiven Fusionsfirmen, wie die Zahlen der Fusion Industry Association zeigen. In der internationalen, in den USA angesiedelten Vereinigung sind aus Japan die Start-ups Kyoto Fusioneering, EX-Fusion und Helical Fusion als Mitgliedsfirmen aktiv. Sie gehören zu den Unternehmen, die international Aufmerksamkeit auf sich ziehen und von ausländischen Investoren Kapital erhalten.
Fusionsenergie weckt hohe Erwartungen
Die Fusionstechnologie soll zur Lösung globaler Probleme beitragen. Unter Einsatz von leicht verfügbarem Ausgangsmaterial, meist Wasserstoffatomen, soll sie die Energieversorgung und -sicherheit erhöhen. Damit ließe sich gleichzeitig die Dekarbonisierung schneller erreichen, zu der sich viele Länder bis 2050 verpflichtet haben. Deutlich geringere Radioaktivität und Abfallmengen und geringes Risiko von Reaktorschmelzen stellen weitere Pluspunkte dar.
Japans Unternehmen wollen die Fusionsforschung über die reine Energieerzeugung auch auf andere Anwendungen ausweiten. Beispielsweise hat EX-Fusion vor, Superlaser auf der Erdoberfläche für den Abschuss von Weltraumschrott einzusetzen. Dazu hat das japanische Start-up im Jahr 2023 mit der australischen EOS Space Systems eine Kooperation beschlossen.
Honda und andere japanische Geldgeber unterstützen das israelische Start-up NT-Tao. Dieses entwickelt Mini-Fusionskraftwerke, die etwa als Ladestationen von Elektrofahrzeugen oder als Energielieferant für Datenzentren dienen könnten. Bis 2029 will NT-Tao eine Demonstrationsanlage in Form eines Stellerators fertigstellen, der in der Größe eines Transportcontainers konzipiert wird.