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Virtuelle Welten sollen reale Geschäfte animieren
Japan will sich das Metaversum zunutze machen. Noch ist Vieles im Fluss und bietet damit in- und ausländischen Unternehmen Entwicklungschancen.
11.11.2022
Von Jürgen Maurer | Tokyo
Japan verfolgt aktiv die Entwicklung von Metaversum-Plattformen und -Anwendungen. Dabei geht es um weit mehr als um Games, in denen mehrere Akteure virtuell spielen. Das Metaversum soll andersartige Shopping-Erlebnisse, Konzertbesuche, Erziehungsangebote und weitere Aktivitäten ermöglichen. Noch lässt sich damit kaum Geld verdienen. Um neue Geschäftsmöglichkeiten auszutesten, engagieren sich jedoch immer mehr Firmen in der virtuellen Welt.
Anwendungen für das Metaversum können so vielfältig sein wie die reale Welt selbst. Dazu zählen etwa Büros, Shopping-Malls und Ausstellungen, wie das japanische Unternehmen Hikky zeigt. Dieses befasst sich seit 2018 intensiv mit der Transformation der realen in die virtuelle Welt. Im Jahr 2022 hat Hikky für Audi in Japan das Testfahren des E-Tron inklusive Kundendienst per Avatar ermöglicht. Das Unternehmen ist auch der Betreiber der weltweit größten virtuellen Messe "Virtual Market".
Der japanische Unterhaltungskonzern Sony sieht den Besuch von Konzerten, Sportveranstaltungen und anderen Events im Metaversum als sehr interessante neue Geschäftschance und wird daher in solche Anwendungen investieren. Dabei ist der Einstieg in die virtuelle Welt auch für kleinere Firmen machbar. Sie können hier ihre Produkte und Dienstleistungen unabhängig vom eigenen Standort bekanntmachen. In- und ausländischen Metaversum-Lösungsanbietern eröffnet sich ein breites Feld für neue Anwendungen.
Metaversum hat Wachstumspotenzial
Noch ist nicht klar definiert, was das Metaversum umfasst. Aber ein verbindender Faktor ist, dass mehrere Personen als digitale Figuren (Avatare) in einem dreidimensionalen virtuellen Raum online und in Echtzeit interagieren können. Eine spezielle Brille ist nicht unbedingt erforderlich. Gegenwärtig stehen vielmehr Apps auf Smartphones und Computern im Vordergrund.
Laut Prognose des Marktforschungsunternehmen Yano Research könnte sich der Markt für Metaversum-Anwendungen in Japan zwischen den Fiskaljahren 2022 und 2026 mehr als verfünffachen. Yano Research sieht das Marktvolumen im Fiskaljahr 2026 bei circa 1 Billion Yen (circa 6,8 Milliarden US-Dollar). Dabei sind die Games-Anwendungen nicht eingerechnet, wohl aber Hardware-Verkäufe wie XR (Extended Reality)-Brillen.
Virtuelle Shops sind bereits Realität
Japans Technologiekonzern und Telekommunikationsanbieter Softbank hat im Juni 2022 im Metaversum seinen ersten virtuellen Shop eröffnet. Um hier Kunden zu bedienen, nutzt Softbank die Metaversum-Plattform Zepeto, die zum südkoreanischen Naver-Konzern gehört. Dienstleistungen, wie sie in einem stationären Laden angeboten wird, sollen ebenso verfügbar sein wie Zubehör, das sich über den Onlineshop kaufen lässt.
Um die Potenziale der virtuellen Welt zu sondieren, machen vor allem Konsumgüterfirmen erste Schritte auf Metaversum-Plattformen. Marketingfirmen wie Hakuhodo und Dentsu haben bereits angefangen, für ihre Werbekunden im Metaversum eine Präsenz aufzubauen. Daraus sollen sich reale Geschäfte auch außerhalb des bislang noch dominierenden Gaming-Bereichs ergeben.
Virtuelle Shopping-Erlebnisse können den Kauf von Produkten und Diensten im realen Leben antreiben. Daher testen Firmen, wie der amerikanische Sportartikelanbieter Nike oder die deutsche Kaufland-Warenhausgruppe, eigene Metaversum-Welten aus. Um die jüngere Generation von ihren Angeboten zu überzeugen, ist es jedoch auch für andere Branchen interessant, Dienste und Erzeugnisse im Metaverse zu präsentieren.
Old Economy sucht junge Kunden
So haben die MUFJ Bank und der Versicherungskonzern Sompo Japan Insurance im November 2022 angekündigt, ihre Finanzdienstleistungen im Metaversum anzubieten. Sompo Japan will sowohl Versicherungen für die reale Welt als auch für das Metaversum verkaufen. MUFJ plant, eine Metaversum-Bankfiliale zu eröffnen. Dabei nutzen sie die von ANA NEO bereitgestellte Metaversum-Plattform GranWhale. ANA NEO ist ein Start-up des Luftfahrtkonzerns ANA Holdings und will selbst personalisierte Reisebuchungen im Metaversum ermöglichen. Hierzu zählen etwa auch virtuelle Besuche von Städten wie Kyoto.
Vor dem Hintergrund der Coronapandemie hat die Entwicklung des Metaversums an Dynamik gewonnen. In einer virtuellen Welt sind Interaktionen auch dann möglich, wenn die reale Welt nicht frei zugänglich ist. So hat der Tokioter Stadtteil Shibuya 2020 zusammen mit mehreren Akteuren ein eigenes Metaversum entwickelt. Sie veranstalteten dort im Oktober 2021 ein Halloween-Festival, an dem mehr als eine Million Personen teilnahmen.
Regierung unterstützt digitale Aktivitäten
Die japanische Regierung verfolgt das Ziel einer digitalisierten Gesellschaft und gibt daher der Idee virtueller Welten einen realen Raum. So diskutieren in Japan gegenwärtig viele Akteure intensiv über das Web 3.0, das Metaversum und die Entwicklung von digitalen dezentralisierten Anwendungen, wie der Blockchain-Technologie, der Non-Fungible Tokens (NFT) und Decentralized Autonomous Organizations (DAO).
Blockchain: Internettechnologie, die Datensätze in einer kontinuierlichen Liste in einzelnen Blöcken kryptografisch erfasst, erweitert, speichert und weitergibt. Es ist damit eine dezentral geführte Kontobuchtechnologie (Distributed-Ledger-Technologie). Non-Fungible Tokens (NFT): Gegenstand, der digital oder physisch in einer Blockchain als Token, sprich Kryptowert, erfasst wird und zugleich eindeutig, unteilbar, unersetzbar und überprüfbar ist. Ein NFT existiert damit nur ein einziges Mal und kann nur als Ganzes erworben werden. Decentralized Autonomous Organizations (DAO): Eine Organisation, die durch ein transparentes Computerprogramm codiert wird. Dieses System wird weder von Aktionären noch der Zentralregierung beeinflusst. Auch DAO funktionieren auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie. |
Um die Funktionsweisen, die Vorteile und Grenzen des Web 3.0 auszuloten, will eine Arbeitsgruppe von Japans Digitalbehörde eine eigene DAO gründen. Japans Regierungspartei LDP hat Anfang Juni 2022 den ersten politischen Kampagnenauftritt im Metaversum abgehalten. Als Avatar war der Minister für Digitales Taro Kono mit dabei. Im September 2022 hat die University of Tokyo die Metaverse School of Engineering eröffnet, deren Eröffnungszeremonie mit Avataren im Metaversum stattfand.
Die Regierung will 2023 einen Gesetzesentwurf einbringen, der die Rahmenbedingungen für ein Trusted Web und die Standardisierung von Aktivitäten setzen soll. Zudem geht es unter anderem um den Datenschutz sowie den Schutz vor Betrug und Identitätsklau im virtuellen Raum. Mit der Entwicklung des Metaversum sind auch Fragen des Marken- und Patentschutzes zu klären, denn virtuelle Waren können wie reale Produkte gehandelt werden. Nike beispielsweise hat für seine virtuellen Sportartikel in den USA, der EU und Japan bereits Markenschutz beantragt.