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Wirtschaftsumfeld | Japan | Demografischer Wandel

Demografie ist Bewährungsprobe für die japanische Wirtschaft

Japans ergrauende Bevölkerung stellt das Land vor immense Aufgaben: Es droht der Kollaps der Sozialsysteme. Um den Archipel fit für die Zukunft zu machen, braucht es neue Wege.

Von Christiane Süßel | Bonn

Japans Warnlampen sprangen 2022 an: Die Zahl der Geburten unter der einheimischen Bevölkerung fiel im Mai 2022 das erste Mal auf 12-Monats-Basis unter die Marke von 800.000 Neugeborenen. Das Tokioter National Institute of Population and Social Security Research (IPSS) war bislang davon ausgegangen, dass diese Marke erst im Jahr 2030 unterschritten wird. Das Schrumpfen und zeitgleiche Altern der japanischen Gesellschaft bremst das Wachstum aus. Um zu bestehen, müssen sich auch Unternehmen dem demografischen Wandel anpassen.

Premierminister Fumio Kishida leistete im Januar 2023 einen Offenbarungseid: "Die niedrigen Geburtenraten bedrohen Japans Fähigkeit, soziale Einrichtungen aufrechtzuerhalten." Daher hat er die Unterstützung der Kindererziehung "zur wichtigsten politischen Aufgabe" erklärt und die Verdopplung der Ausgaben für Kinder in Aussicht gestellt.

Weniger Geburten, mehr Hochbetagte

Das Problem ist nicht neu, aber gravierend. In Japan wurden bereits 2005 erstmals weniger Menschen geboren als starben. Seither schrumpft die Bevölkerung mit zunehmendem Tempo. Zum Jahresbeginn 2023 lag die Einwohnerzahl des Archipels bei 124,8 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2045 wird die Bevölkerung um 9,7 Prozent und bis 2070 sogar um 13,1 Prozent schrumpfen, so die jüngsten Szenarien des IPSS. Gebremst wird der Bevölkerungsschwund nur von einer steigenden Lebenserwartung und einer positiven Netto-Migration. Immerhin: Die neuste Prognose geht davon aus, dass Japans Bevölkerung nicht schon 2053 sondern erst drei Jahre später unter die 100-Millionen-Einwohner-Marke fallen wird. 2070 wird Japan allerdings nur noch 87 Millionen Einwohner zählen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf den Staat sondern auch auf die Unternehmen.

Japans Geburtenrate gehört zu den niedrigsten weltweit und lag 2021 bei 1,3 Kindern pro Frau. Der anhaltende Geburtenrückgang befeuert die Schrumpfungsdynamik. Dabei sind die Gründe für den Verzicht auf Nachwuchs bekannt: Die Ausbildung der Kinder ist zu teuer, außerdem lassen sich Familie und Beruf nicht vereinbaren.

Parallel zu den rückläufigen Geburten werden die Menschen auf dem Archipel immer älter. Schon jetzt sind knapp 29 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre. Die Lebenserwartung für Frauen lag 2020 bei 87,7 Jahren und für Männer bei 81,6 Jahren. Dabei wächst die Zahl der Hochbetagten: 2021 waren 85.000 Menschen älter als Hundert. 

Society 5.0 und Silver Market

Brisant ist, dass mit zunehmendem Alter die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Japan setzt im Pflegebereich neben dem Einsatz ausländischer Pflegekräfte auf die Digitalisierung. Ziel der 2017 ausgerufenen Society 5.0 ist es, verstärkt digitale Lösungen in der Pflege zu suchen. Neben dem Einsatz von Pflegerobotern sollen Ärzte Patienten von der Ferne aus therapieren.

Dabei bietet die ergraute Gesellschaft auch Geschäftschancen. So ist das Einkommen der Älteren zwar geringer als das der Erwerbsbevölkerung. Zugleich haben die Über-65-Jährigen jedoch die höchsten Sparguthaben. Die Generation der Babyboomer, also die Jahrgänge 1947 bis 1949, setzt sich sukzessive zur Ruhe. Sie gilt als sehr wohlhabend, aktiv und konsumfreudig. Auf sie zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen werden mit dem Label "Silver Market" vermarktet. Medizinprodukte, seniorengerechte Apparate und Services sind rege nachgefragt.

Bürde für den Sozialstaat

Die alternde Gesellschaft ist Sprengstoff für die Sozialsysteme: Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) machten die Rentenzahlungen 2020 einen Anteil von 9,7 Prozent am japanischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus. Damit rangiert Japan über dem OECD-Durchschnitt von 7,9 Prozent. 

Die Zunahme der Älteren verändert nicht zuletzt auch den Arbeitsmarkt. Standen 2021 noch 100 Arbeitenden 53 Rentner im Alter von mehr als 65 Jahren gegenüber, so werden es bis 2075 schon 75 Rentner sein. Eine sinkende Erwerbsbevölkerung bremst das potenzielle Wirtschaftswachstum. Japan kämpft bereits seit Jahren mit geringen BIP-Wachstumszahlen.

Je stärker sich das Wirtschaftswachstum erholt, umso weiter wird die ohnehin niedrige Arbeitslosenquote fallen und den bereits spürbaren Fachkräftemangel weiter anfachen, mahnt das Japan Research Institute. So könnte die Arbeitslosenquote 2024 unter 2 Prozent fallen.

Arbeitsmigration als Notnagel

Um die sinkende Erwerbstätigenzahl abzufedern und die Arbeitseffizienz zu steigern, fördert die Regierung den Einsatz von Maschinen und Robotertechnik. Zugleich soll die Erwerbsquote von Älteren und Frauen wachsen. Weniger populär ist bislang die aktive Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften. Im Jahr 2021 gab es 2,8 Millionen Ausländer auf dem Archipel. Sie finden sich verstärkt in befristeten oder nicht-regulären Jobs wieder und haben kaum eine Bleibeperspektive. Premier Kishida will es künftig ausländischen Arbeitskräften leichter machen, in Japan feste Stellen zu besetzen. Experten sagen, dass sich der Inselstaat darauf einstellen muss, dass Ausländer in nicht ferner Zukunft 10 Prozent der Bevölkerung stellen.

Landkarte einer ergrauten Gesellschaft

Die Alterung der Gesellschaft verändert die Landkarte Japans. Während die Metropolen Tokyo und Osaka immer mehr Menschen anziehen, steigt in entlegeneren Gebieten der Anteil der Über-65-Jährigen überproportional. Die Landflucht gepaart mit den eingebrochenen Geburtenraten hat dazu geführt, dass auf dem Land Millionen von Gebäuden leer stehen. Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und öffentlicher Transport sind in diesen Regionen Mangelware. Dies verstärkt wiederum den Wegzug: ein Teufelskreis.

Dabei stellen die rückläufigen Geburtenraten auch die Hauptstadt vor Probleme: So hat die Präfektur Tokyo ein 1,65 Billionen Yen (12,7 Milliarden US$) schweres Paket geschnürt, dass es attraktiver machen soll, Kinder zu bekommen. Im Fiskaljahr 2023 will die Stadtregierung ein monatliches Kindergeld für Kinder bis zu 18 Jahren zahlen. Auf der Förderliste stehen auch Hilfen für Fruchtbarkeitsbehandlungen.

Interview mit Volker Elis
PD Dr. Volker Elis, Privatdozent, Uni Tübingen, Asien-Orient-Institut, Demografie in Japan Dies ist ein eingebettetes Bild | © Volker Elis

Volker Elis forscht als Privatdozent am Asien-Orient-Institut der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen zur digitalen Transformation und dem Wandel der Arbeit in Japan. Von 2006 bis 2011 arbeitete er am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokyo zu den Herausforderungen des demografischen Wandels im ländlichen Raum. Im Interview blickt er kritisch auf die Auswirkungen der Demografie auf Japans Wirtschaft.


Herr Elis, die Alterung der japanischen Gesellschaft und ihr gleichzeitiges Schrumpfen zeichnete sich bereits seit dem Ende der 1990er Jahre ab. Was bedeutet diese demografische Entwicklung für Japan?

Für die japanische Gesellschaft wie auch für die Politik ist sie durchaus die dringendste innenpolitische Aufgabe. Mit dem Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation, also der Jahrgänge 1947 bis 1949, aus dem Erwerbsleben hatte man schwerwiegende Verwerfungen befürchtet. So macht diese Generation Jobs frei, die oft nicht wiederbesetzt werden können. Die Angst ging um, dass dieser Arbeitskräftemangel zu Unternehmensschließungen führen könnte. Hätten wohlhabende Baby-Boomer zudem ihre Häuser und Aktiendepots in großem Stil verkauft, hätte das die Wirtschaft in eine gefährliche Schieflage gebracht. Beide Entwicklungen sind zum Glück so nicht eingetreten.

Was steht für Japans Volkswirtschaft auf dem Spiel?

Japan begreift sich als wissensintensive Volkswirtschaft. In der Tat lebt das Land von der Innovationskraft seiner Unternehmen. Gerade diese breite Wissensbasis droht mit dem Ausscheiden der Älteren und mit der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung jedoch verloren zu gehen. Abzulesen ist das etwa auch daran, dass immer öfter IT-Dienstleistungen aus dem Ausland eingekauft werden müssen. Noch kann der Archipel allerdings auf hohem Niveau klagen, denn bei Patenten hält das Land weiter eine weltweit starke Marktposition.

Worauf müssen sich deutsche Unternehmen einlassen, wenn sie in Japan Geschäfte machen wollen?

Das größte Problem im Land ist der eklatante Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Eine stärkere Einbindung von Frauen und Älteren ins Erwerbsleben und die Steigerung der Arbeitseffizienz kommen an Grenzen. Generell wird auch Japan daher nicht drumherum kommen, vermehrt auf den Zuzug von ausländischen Arbeitskräften zu setzen. Doch bislang fehlt eine positive öffentliche Diskussion zur Migration. Unterdessen versuchen einige japanische Unternehmen gegen den generellen Trend zur Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse ihre Arbeitskräfte stärker zu binden. Deutsche Unternehmen sollten sich dessen bewusst sein. Sie müssen japanischen Fachkräften attraktive Angebote machen oder selbst ausländische Fachkräfte ins Land bringen.

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