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Kanadas Pharmamarkt wächst ungebrochen
Arzneien, die auf altersbedingte Krankheiten abzielen, bieten große Geschäftschancen. Der höhere Kostendruck und mehr chronische Erkrankungen treiben auch den Markt für Generika.
16.08.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Biotechfirmen aus dem deutschen Sprachraum haben in Kanada in den letzten Monaten mehrfach Zulassungen für Biosimilars erhalten, darunter das süddeutsche Unternehmen Formycon und der Schweizer Generikaspezialist Sandoz. Dabei handelt es sich um nachgeahmte Präparate von Biopharmazeutika, also mit Mitteln der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Arzneistoffe. Formycon rechnet im Laufe der nächsten Monate mit der Zulassung eines weiteren Biosimilars, unter anderem auch in Kanada.
Die Chancen für deutsche Branchenunternehmen sind in Kanada weiterhin gut. Da viele Biopharmazeutika ihren Patentschutz verlieren, gilt das auch für Biosimilars. Zwar wächst der Anteil Asiens an der Produktion entsprechender Wirkstoffe, doch haben deutsche Anbieter in dem Segment immer noch eine gute Marktposition.
Gestiegene Importabhängigkeit Kanadas bei Pharmazeutika
Kanada ist im Pharmabereich wesentlich stärker von Importen abhängig als vor 50 Jahren: Bezog das nordamerikanische Land 1973 noch weniger als 20 Prozent seiner Impfstoffe und therapeutischen Arzneimittel aus dem Ausland, waren es 2023 bereits 85 Prozent. Hauptsächlich erhält Kanada Pharmaprodukte (HS-Position 30) aus den USA: Im Jahr 2023 lieferte der südliche Nachbar solche Güter im Wert von 5,16 Milliarden US-Dollar (US$) in den Norden, was 27 Prozent aller kanadischen Importe dieser Warengruppe entsprach. Dahinter folgte – mit größerem Abstand – Deutschland (2,15 Milliarden US$, gut 11 Prozent).
Fast zwei Drittel der deutschen Lieferungen entfallen auf Fertigarzneimittel. Auch Blut, Antiseren, andere Blutfraktionen und immunologische Erzeugnisse kommen in größerem Umfang aus Deutschland. Auch wenn das Land 2023 weniger Pharmaprodukte nach Kanada exportierte als in den beiden Vorjahren, ist das Lieferpotenzial weiterhin groß. So werden in den Bereichen Immunologie, Stoffwechsel und Onkologie immer häufiger Biopharmazeutika eingesetzt. Viele deutsche Firmen entwickeln sowie vermarkten diese – einige Anbieter haben eine eigene innovative Produktpipeline.
Erleichterungen für deutsche Pharmaexporteure durch CETA
Wenn das Freihandelsabkommen CETA vollständig in Kraft tritt, wird für deutsche Pharmaunternehmen vieles einfacher bei ihren Lieferungen nach Kanada. Denn durch die gegenseitige Anerkennung bewährter Herstellungsverfahren und Inspektionen von Arzneimittelfabriken entfallen künftig Doppelkontrollen. Derzeit prüfen die Behörden beider Länder noch, dass Arzneimittel- und Wirkstoffanbieter gleichbleibende Qualitätsstandards gewährleisten. Für die Unternehmen bedeutet das in Zukunft deutlich weniger Verwaltungsaufwand und niedrigere Kosten.
Auch in Kanada selbst weiten europäische Pharmahersteller ihre Aktivitäten aus: So hat Sanofi im Mai 2024 in Toronto, Ontario eine 586 Millionen US$ teure Produktionsanlage für Impfstoffe gegen Keuchhusten, Diphtherie und Tetanus eröffnet. Hohe Millionenbeträge investiert haben auch Novartis (Digital Innovation Hub in Montreal, Quebec) und Roche (globales Betriebszentrum zur Steuerung der gesamten Lieferkette in Mississauga, Ontario). Der US-Biotech-Konzern Moderna zieht in Laval, Quebec, für 180 Millionen US$ eine Fabrik hoch, in der ab Herbst 2025 Impfstoffe auf Basis von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) hergestellt werden.
Markt für Generika wächst weiterhin deutlich
Nachahmerpräparate machten 2023 in Kanada nur rund 22 Prozent der Gesamtausgaben für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus. Jedoch wurden bereits gut drei Viertel der eingelösten Rezepte für sie ausgestellt. Das Marktforschungsunternehmen Imarc Group prognostiziert daher, dass Kanadas Generikamarkt bis 2032 im Schnitt um beachtliche 7,6 Prozent pro Jahr zulegen wird. Der Kostendruck im Gesundheitswesen und die erwartete Zunahme chronischer Krankheiten treiben den Absatz.
Insgesamt wird Kanadas Pharmamarkt bis 2029 jährlich im Schnitt um 4,5 bis 5 Prozent wachsen. Statista Market Insights prognostiziert einen Branchenumsatz von dann fast 26 Milliarden US$. Der Löwenanteil entfällt auf Krebsmedikamente. Das Wachstum wird vor allem durch die alternde Bevölkerung getragen. Der Bedarf beispielsweise an Mitteln gegen chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Arthritis steigt dadurch enorm. Waren im Jahr 2023 etwa 7,6 Millionen der in Kanada lebenden Menschen 65 Jahre und älter, wird diese Zahl zwei Jahrzehnte später voraussichtlich auf 11 Millionen angestiegen sein.
Kanadas Forschung setzt auf KI
In Kanadas Pharmaforschung spielt künstliche Intelligenz (KI) eine wichtige Rolle. So entwickelt das KI-Institut Mila gemeinsam mit dem Start-up InVivo AI aus Montreal neuartige Algorithmen für die Wirkstoffsuche in Low-Data-Umgebungen. Mobio Interactive, ein Unternehmen aus Toronto, hat eine Achtsamkeits-App entwickelt, die vor allem Krebspatienten dabei hilft, durch Meditation Stress abzubauen. Wissenschaftler der Universität Toronto nutzen KI, um die Entwicklung von Arzneimittelformulierungen zu beschleunigen.
Die Analyse riesiger Datenmengen mittels KI bildet auch die Grundlage für eine personalisierte Medizin. Viel Bewegung gibt es daher auch bei neuartigen Zelltherapien. So entwickeln Forschungsinstitute gemeinsam mit Partnern in ganz Kanada eine neue CAR-T-Zell-Therapie zur Behandlung bestimmter Blutkrebsarten. Bei dieser Therapie werden Zellen des Immunsystems, sogenannte T-Zellen, genetisch verändert. Der Markt für personalisierte Medizin wird in Kanada bis 2030 voraussichtlich um 10 bis 12 Prozent pro Jahr wachsen.