Dank Energiewende, Klimawandel und Wohnungsnot wird Kanadas Bausektor in den nächsten Jahren an Fahrt gewinnen. Sowohl die öffentliche Hand als auch der Privatsektor investieren.
Kanadas Bauwirtschaft wird nach nur 0,6 Prozent Wachstum im Jahr 2023 zukünftig wieder stärker zulegen. Grund hierfür sind die zunehmenden Investitionen der Regierung in die Infrastruktur des Landes. Das Beratungsunternehmen MarketLine prognostiziert von 2023 bis 2028 pro Jahr im Durchschnitt einen Zuwachs um 6,2 Prozent. GlobalData ist etwas vorsichtiger und sagt von 2025 bis 2028 ein mittleres jährliches Plus von 2,3 Prozent voraus.
Zahlreiche Batteriefabriken entstehen
Ein Haupttreiber ist die Energiewende. So plant Kanada den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035. Im Zuge seiner umfangreichen Vorkommen an kritischen Mineralien will das nordamerikanische Land eine komplette Batteriewertschöpfungskette errichten. Viele Autokonzerne, darunter die Volkswagen-Tochter PowerCo, ziehen dort Batteriefabriken hoch. Zuletzt kündigte Honda im April 2024 an, 11 Milliarden US-Dollar (US$) in vier neue Produktionsstätten für E-Autos in Kanada zu investieren.
Allerdings halten niedrige Preise für Batterierohstoffe die meisten Unternehmen von Investitionen in die vorgelagerte Mineralienförderung ab. Im November 2023 hat die Bundesregierung den Critical Minerals Infrastructure Fund ins Leben gerufen, mit dem saubere Energien, Elektrifizierungsinitiativen und Verkehrsprojekte zur Anbindung an wichtige Mineralvorkommen in abgelegenen Gebieten über einen Zeitraum von sieben Jahren mit 1,1 Milliarden US$ unterstützt werden.
-2,0
%
betrug der Rückgang der Bauinvestitionen 2023 in Kanada.
Die neuen Batteriewerke in Ontario und Québec brauchen sehr viel Energie. Wasserkraft wird im kanadischen Strommix zwar weiterhin die größte Rolle spielen, das stärkste Wachstumspotenzial bei den Erneuerbaren liegt aber bei Wind und Solar. Regionalversorger in British Columbia und Québec haben für den Ausbau ihrer Stromnetze Anfang 2024 Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe angekündigt. Allein auf Vancouver Island will BC Hydro in den nächsten zehn Jahren Investitionsprojekte im Wert von mehr als 3 Milliarden US$ umsetzen, um das Stromnetz zu modernisieren und Haushalte und Unternehmen mit sauberem Strom zu versorgen.
Der Osten bietet viel Potenzial für Windstrom und grünen Wasserstoff
Ebenso wie Deutschland will Kanada bis 2050 klimaneutral sein. Um diesem Ziel näher zu kommen, muss nicht nur der Verkehr elektrifiziert werden, sondern gleich ganze Industrien und obendrein der Gebäudesektor. Neben der Elektrifizierung spielt aber auch Wasserstoff für Kanadas Klimaschutzziele eine Kernrolle. Besonders im Osten Kanadas besteht ein großes Potenzial für nachhaltige Energie in Verbindung mit grünem Wasserstoff. Der benötigte Strom soll vor allem aus Windkraft kommen. Mehrere Unternehmen treiben dort bereits Projekte voran. Mit weiteren Vorhaben ist zu rechnen, zumal Technologiehersteller bei der Produktion von sauberem Wasserstoff bis zu 40 Prozent ihrer Projektkosten steuerlich geltend machen können.
Auch Unternehmen, die in andere Umwelttechnologien investieren, erhalten Steuergutschriften in Höhe von bis zu 30 Prozent. Beide Steueranreize sind im Juni 2024 in Kraft getreten. Die Zahl der Infrastrukturprojekte für saubere Energie dürfte sich dadurch in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Kanadas Regierung veröffentlicht im Internet Informationen über diese und weitere Steuergutschriften für Investitionen in eine saubere Wirtschaft.
Hohe Investitionen in die Verkehrs- und soziale Infrastruktur
Nicht nur in den Energiebereich, auch in die Verkehrs- und soziale Infrastruktur fließen hohe Summen. Die Provinz Québec plant in den kommenden zehn Jahren Rekordinvestitionen in Höhe von 63 Milliarden US$ in die öffentliche Infrastruktur. Ein großer Teil davon ist für das Gesundheits- und Sozialwesen vorgesehen, darunter die Sanierung und den Neubau von Krankenhäusern. Ein weiterer Schwerpunkt, auch in vielen anderen Provinzen, liegt auf dem Bau von Straßen und Schulen.
Marktvolumen der Bauwirtschaft in Kanada in Milliarden US-Dollar, Veränderung in ProzentKennziffer | 2022 1) | 2023 1) | Veränderung 2023/2022 2) |
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Wert der Bauinvestitionen insgesamt, davon | 188,1 | 177,7 | -2,0 |
Wohnungsbau | 136,6 | 123,4 | -6,3 |
Nichtwohnungsbau | 51,5 | 54,3 | 9,5 |
Wirtschaftsbau | 28,5 | 28,7 | 4,5 |
Industriebau | 9,3 | 11,4 | 27,7 |
Wert der Infrastrukturinvestitionen insgesamt, davon | 83,5 | 87,7 | 9,0 |
öffentlich | 59,6 | 63,2 | 10,0 |
privat | 23,9 | 24,5 | 6,6 |
1 Umrechnung anhand der jeweiligen Durchschnittskurse (2022: 1 US$=1,301 kan$; 2023: 1 US$=1,350 kan$); 2 Veränderungsrate auf Basis des kan$.Quelle: Statistics Canada 2024
Wohnungsbau wieder im Aufwind
Außerdem soll viel Geld in den Wohnungsbau fließen. Allerdings haben hohe Baupreise und Hypothekenzinsen sowie ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Vorjahr 2023 zu einem Rückgang der Investitionen in Einfamilienhäuser geführt. Erst im Sommer hat die Bank of Canada ihren Leitzins in zwei Schritten auf zuletzt 4,5 Prozent gesenkt (Stand Ende Juli 2024).
In dem Jahr wurden 12 Prozent weniger Baugenehmigungen für Wohngebäude erteilt als 2022. Dabei ist die Beschleunigung des Wohnungsbaus ein zentrales Anliegen für die kanadische Regierung. Denn erschwinglicher Wohnraum ist dort immer noch Mangelware. Die schnell wachsende Zahl der Einwanderer übersteigt die Anzahl verfügbarer Wohnungen bei weitem, was Preise und Mieten in die Höhe getrieben hat. Ziel der Regierung ist, bis 2031 fast 3,9 Millionen Wohnungen zu bauen.
Extremwetterereignisse beeinflussen die Bauindustrie zusehends
Der Klimawandel wird zu einem immer ernsteren Problem. Mitte Juli hat ein heftiger Sturm in Toronto zu erheblichen Überschwemmungen und Stromausfällen geführt. Wohnungsbauminister Sean Fraser sagte, dass wichtige Infrastrukturen wie die für den öffentlichen Verkehr so gebaut sein müssen, dass sie Unwettern standhalten.
Darüber hinaus dürften Bemühungen zur Wiederherstellung von Ökosystemen und Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Küsten in den nächsten Jahren großen Einfluss auf die Bauindustrie haben. Das Gleiche gilt für technologische Innovationen wie Building Information Modeling (BIM; durchgängige Digitalisierung aller planungs- und realisierungsrelevanten Bauwerksinformationen als virtuelles Bauwerksmodell), Drohnen, künstliche Intelligenz und nachhaltige Bauverfahren, die sich in der Branche immer mehr durchsetzen.
Ausgewählte Großprojekte der Bauwirtschaft in KanadaInvestitionssumme in Milliarden US-Dollar
Von Heiko Steinacher
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Toronto