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Special | Kanada | Halbleiter

Entwicklung der Halbleiterindustrie in Kanada

Kanada ist kein Global Player in der Computerchipproduktion. Industrievereinigungen und Regierung wollen nun im Zuge der Pandemie eine eigene Halbleiterindustrie aufbauen.

Von Daniel Lenkeit | Toronto

  • Branchenüberblick: Kanada will eigene Halbleiterbranche aufbauen

    Bisher sind die heimischen Hersteller oft Start-ups oder produzieren Nischenprodukte. Engpässe bei der Versorgung mit Computerchips hemmen die Produktion in einigen Industrien.

    Materialknappheit hemmt die Produktion

    Die kanadische Wirtschaft ist von der pandemiebedingten Halbleiterkrise seit Monaten betroffen. Da das Land mehr als doppelt so viele Halbleiter und Elektronikkomponenten importiert als es exportiert, hat die anhaltende Knappheit bei der Versorgung mit Computerchips erhebliche Auswirkungen auf einige Branchen. Dazu gehören unter anderem Technologieunternehmen.

    Die für Kanada wichtige Automobilindustrie leidet besonders stark unter den Lieferkettenstörungen bei Halbleitern. Schon seit Jahresbeginn sehen sich viele Werke in Nordamerika gezwungen, ihre Produktion herunterzufahren oder zeitweise einzustellen. General Motors kündigte Anfang September 2021 an, dass die anhaltende Beschaffungskrise auch im laufenden Monat zu Produktionsausfällen in den meisten seiner nordamerikanischen Werke führen wird. Dazu gehört das CAMI-Werk in Ingersoll, Ontario.

    Aus den gleichen Gründen wird Ford die Produktion leichter Nutzfahrzeuge reduzieren. Toyota kündigte bereits im August eine Kürzung seiner für September geplanten globalen Produktion um 40 Prozent an. 

    Im Zuge der Pandemie hatten die meisten Kfz- und Kfz-Teile-Produzenten ihre Mikrochipbestellungen deutlich reduziert. Andere Branchen, etwa die Unterhaltungselektronik, fragten dagegen verstärkt Halbleiter nach. Als der Bedarf in der Kfz-Industrie dann wieder stieg, waren die Auftragsbücher der Produzenten bereits gefüllt. Die Auswirkungen sind noch immer spürbar, denn Kapazitäten bei der Halbleiterproduktion können nicht per Knopfdruck erweitert werden. Die Fabriken benötigen Milliarden an Investitionen und deren Bau dauert häufig Jahre.  

    Die Lieferengpässe bremsen die kanadische Kfz-Produktion somit weiterhin aus und die meisten Hersteller erwarten anhaltende Versorgungsprobleme für den Rest des Jahres 2021. Branchenkenner rechnen mittlerweile sogar mit Störungen in der Versorgung bis mindestens Mitte 2022.

    Fokus auf Design und Produktion fachbezogener Halbleiter

    Kanada hat aktuell keine nennenswerte Halbleiterproduktion für den weltweiten Export. Die globalen Player im Halbleitergeschäft sitzen in Taiwan, Südkorea, China und den USA. Es gibt dennoch einige kanadische Unternehmen, die sich auf das Design und die Produktion fachbezogener Halbleiter konzentrieren, wie Teledyne Dalsa, Peraso oder MOSAID Technologies. Darüber hinaus entwickelt sich eine kleine Start-up-Szene in der hiesigen Industrie, zu der Firmen wie Xanadu und Ranovus gehören.

    Aber auch ein großer Player wie TSMC, der weltgrößte Halbleiterfabrikant, unterhält seit 2007 eine Niederlassung in Ottawa, sein "TSMC Design Center" mit mehr als 60 Mitarbeitern für Halbleiterdesign und eingebettete Speicher. TSMC will seine Präsenz in Kanada ausbauen und sucht vor allem in Zeiten des steigenden Bedarfs Nachwuchs an Ingenieuren.

    Die etwa 300 Unternehmen der Branche sitzen fast ausschließlich in Ontario und Quebec. Der Umsatz der kanadischen Halbleiterindustrie stagnierte seit 2016 bei circa 3,4 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr. Die Wertschöpfung (am Bruttoinlandsprodukt) sank 2019 um 15 Prozent und legte im Pandemiejahr 2020 wieder um 15 Prozent zu. Nach Schätzungen von Statistics Canada soll der Umsatz der Halbleiterbranche bis 2024 nur leicht steigen, auf circa 3,8 Milliarden US$. Zum Vergleich: der taiwanische Halbleiterproduzent TSMC gab seinen Jahresumsatz für 2020 mit 48 Milliarden US$ an.

    Forschung und Entwicklung fordern Regierung zum Handeln auf

    Kanada betreibt nennenswerte Forschung und Entwicklung vor allem in der Photonik über sein "Canadian Photonics Fabrication Centre" in Ottawa und das dort integrierte "Advanced Technology Fabrication" Forschungszentrum. Melissa Chee, die Leiterin des Technologie-Hubs ventureLAB in York, Ontario, sieht in der Forschung und Entwicklung für Halbleiter einen Weg, Kanadas Wirtschaft zukunftssicher zu machen.

    Sie bemängelt, dass dies noch zu wenig gefördert werde. Die Regierung zähle künstliche Intelligenz, 5G, Cybersicherheit und Quantentechnologie zu den Zukunftsthemen, vernachlässige aber die lokale Produktion von Halbleitern als Vorleistungsgut für alle diese Bereiche. Die Forschung, Entwicklung und Produktion von Halbleitern müsse hohe Priorität haben, wolle Kanada eine führende Innovationsökonomie werden und vor allem vorbereitet sein für die nächste Pandemie, so Chee.

    Ausgewählte Investitionsprojekte in der Halbleiterindustrie in Kanada
    Akteur/ProjektInvestitionssumme in Mio. US$Anmerkungen
    CANON kauft Halbleiterfirma in British Columbia

    270,6

    Canon 
    TSMC erweitert Designzentrum in Ottawa

    k.A. 

    TSMC 

    Invest Ottawa 

    Tenstorrent Inc. sammelt Millionen in Finanzierungsrunde

    158,7

    Tenstorrent
    Untether AI sammelt Millionen in Finanzierungsrunde 

    99,2

    Untether AI 
    Wechselkurs (August 2021): 1 kan$ = 1,260 US$ Quelle: Recherche von Germany Trade & Invest; BetaKit; Globe and Mail

    Von Daniel Lenkeit | Toronto

  • Strategien und Ziele: Lokale Produktion durch Förderung stärken

    Die großen Volksparteien befürworten lokale Beschaffungsstrukturen. Die Regierung unterstützt verschiedene Initiativen und fördert den Unternehmernachwuchs.  


    Coronakrise führt zu Debatten um die Regionalisierung von Lieferketten

    Seit 2021 verfolgt die Lobbygruppe "Reshoring Canada"  das Ziel, die Globalisierung zurückzudrängen, ausgelagerte Produktion wieder ins Land zu holen und die Lieferketten für Kanadas Industrie lokal aufzubauen.

    Auch die großen Volksparteien Kanadas betonten im letzten Wahlkampf, sich für regionale Beschaffungsstrukturen einsetzen zu wollen. Sie blicken dabei unter anderem auf die Pharmaindustrie, kritische Minerale und ganzheitlich kanadische Lieferketten für die Batterieproduktion.

    Dabei geht es in Politik und Wirtschaft neben der Versorgungssicherung mit medizinischen Gütern und Batteriemineralen auch zunehmend um die Halbleiterindustrie. Die Angebotsknappheit während der Pandemie und die steigenden Logistikkosten könnten einen größeren Einfluss auf die Regionalisierung haben als Handelskriege und wachsender Protektionismus.

    Gründung des "Semiconductor Council Canada" soll langfristig Fachkräfte sichern

    Einige Wirtschaftsakteure sehen jetzt eine Chance für Kanada, in Zukunft eigene Kapazitäten in der Halbleiterindustrie aufzubauen beziehungsweise zu erweitern. Ein neu gegründetes industriegeführtes Gremium will unter anderem das Potenzial der im Land ausgebildeten Nachwuchskräfte nutzen. Diese bildeten eine ideale Voraussetzung für einen größeren Beitrag Kanadas zur globalen Halbleiterindustrie. 

    Das "Semiconductor Council Canada", dem unter anderem der Computerchipentwickler und -hersteller AMD beisitzt, will eine nationale Halbleiterstrategie entwickeln. Die Strategie soll dabei helfen, das Land als einen globalen Entwickler und Hersteller von Halbleitern zu positionieren. Diese sollen in Elektroautos, Medizintechnikprodukten, Unterhaltungselektronik und Precision Farming zum Einsatz kommen.

    Die Branchenkenner erwarten allerdings nicht, dass Kanada in absehbarer Zeit unabhängig von der globalen Halbleiterproduktion wird. Vielmehr müssen die Nischenfindung, Spezialisierung bei der Chipproduktion sowie die künftige Rolle Kanadas im Fokus stehen.

    Das Semiconductor Council wird unter anderem darauf setzen, das technische Personal für diese Industrie zu rekrutieren und im Land zu halten. Weiterhin will das Council eine kritische Masse an lokalen Halbleiterfirmen aktivieren, die bereits geistiges Eigentum in der Branche halten, und diesen bei der Skalierung helfen. Das Council wird also auch im Bereich strategischer Finanzierung unterstützen.

    Politik fördert Forschung und ersten Inkubator für Computer-Hardware und Halbleiterprodukte

    Ein Mitglied des Councils ist Melissa Chee, CEO des Ontario Technologie Hubs "ventureLAB". Von der Region York in der Greater Toronto Area (GTA) aus fördert ventureLAB kanadische Technologieunternehmen mit Beratungsprogrammen zu Investitionen, Arbeitskräften, Technologieentwicklung und Vertrieb.

    Teil von ventureLAB ist Kanadas erster und einziger Inkubator für Hardware und Halbleiter-Lösungen - die "Hardware Catalyst Initiative". Bereits 2019 investierte die kanadische Regierung 4 Millionen US-Dollar (US$) in den Aufbau dieses Inkubators. Seit 2020 ist das Programm aktiv und soll lokale Start-ups in den globalen Halbleitermarkt führen. ventureLABs Hardware Catalyst will Gründern über den Zugang zu fortgeschrittenen Computerressourcen und Produktionskapazitäten vor allem die Hürden kapitalintensiver Investitionen nehmen. Die Initiative erhielt dafür 2021 weitere öffentliche Zuschüsse von knapp 4 Millionen US$.

    Der Inkubator ist so aufgestellt, dass Start-ups aus dem ganzen Land die Plattform "remote" nutzen können. Mit den neuen Fördergeldern wird die Initiative zudem bisher in Kanada nicht vorhandene Spitzenausrüstung kaufen mit Fokus auf 5G-Technologien, autonomem Fahren und KI-Entwicklung. Der Aufbau von Fähigkeiten zur Kommerzialisierung neuer Hardware und Halbleiterprodukten soll so Firmen aus dem Sektor anspornen, ihre Produktion im Land zu belassen.

    Geboren wurde die Hardware Catalyst Initiative aus dem globalen Angebotsmangel für Computerchips und Sensoren und dem steigenden Wunsch nach einer sicheren, lokalen Versorgung. Das Bündnis soll den Technologiesektor stärken.

    Mit Industriepartnern wie TSMC, AMD und Synopsys, die unter anderem Ausrüstung, Designwerkzeuge und technische Beratung anbieten, ist die Fördereinrichtung gut aufgestellt und es lohnt sich, deren noch junge Entwicklung im Blick zu behalten.

    Die  Regierung plant zudem, 70 Millionen US$ über die nächsten fünf Jahre in die Modernisierung des kanadischen Photonik Zentrums (CPFC) zu investieren. Angegliedert an dieses Zentrum in Ottawa ist eine Forschungseinrichtung für Photonik und elektronische Komponenten.

    Die Zukunft der kanadischen Halbleiterindustrie sehen Branchenexperten eher in Spezialprodukten als in der Massenfertigung von Standardprodukten, wo der globale Wettbewerb extrem ausgeprägt ist. Aber in der Photonik, der Mikrosystemtechnik oder bei Quantensensoren könne das Land gezielt investieren und schnell einen Brückenkopf errichten, um sich strategisch im globalen Halbleitermarkt zu etablieren. So könnten Lösungen für Spezialanwendungen in autonomen Fahrzeugen oder in der Medizintechnologie, wie etwa optische Datenkommunikation, Beleuchtung und Displays entstehen.

    Von Daniel Lenkeit | Toronto

  • Rahmenbedingungen

    Halbleiter unterliegen diversen nationalen Bestimmungen zu Exportkontrollen.

    Die GTAI stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht  sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen zur Verfügung. 

    Durch das Information Technology Agreement (ITA) sind IKT-Produkte, Halbleiterprodukte inbegriffen, weitgehend zollfrei. Dem Abkommen sind 82 WTO-Mitglieder beigetreten, die für 97 Prozent des Welthandels mit diesen IKT-Produkten stehen.

    Informationen zu Exportkontrollen finden Sie bei den zuständigen Exportkontrollbehörden der Länder wie der Global Affairs Canada / Export and Import Controls und dem Trade Controls Bureau (TCB) / Global Affairs Canada.

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & Invest

    Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    AHK Kanada

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

    National Research Council Canada - Canadian Photonics Fabrication Centre (CPFC)

    Staatliche Organisation Kanadas für wissenschaftliche und industrielle Forschung

    Halbleiter Council Kanada

    Industriegeführte nationale Vereinigung

    Electronic Products & Technology (EP&T) 

    Fachmagazin 

    IT World Canada 

    Fachmagazin 

    Canadian Manufacturing Technology Show (CMTS) 


    Fachmesse 04.10.-07.10.21, Toronto

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