Hersteller von Kfz-Teilen und -Komponenten nutzen verstärkt das Königreich als Near-Shoring-Standort. Dabei geht es neben der Zulieferung vor Ort zunehmend um das Exportgeschäft.
Verschiedene Trümpfe für Nearshoring
Die Entwicklung des Kfz-Sektors, angestoßen durch das Industrieförderprogramm 2014 bis 2020, soll sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Vor allem die französischen Automobilhersteller dürften ihre Investitionspläne verfolgen - weitere Investitionen werden erwartet.
Das Industrieministerium sieht das Königreich auf dem Weg in die Spitzengruppe der globalen Automobilindustrie. Dabei stehen nicht nur die Pkw-Produktionszahlen, sondern auch die Integrationsraten im Fokus. Nationale sowie ausländische Investoren sollen ermutigt werden, gegebenenfalls gemeinsam als Joint Venture, in den vielversprechenden Kfz-Sektor zu investieren. Marokko sei mittlerweile der bedeutendste Automobilexporteur in die EU - vor China, Korea und Japan. Laut dem europäischen Automobilverband ACEA mit Verweis auf Eurostat importierte die EU im Jahr 2021 gemessen am Einfuhrwert einen Anteil von 16,7 Prozent aus China, 15,1 Prozent aus dem Vereinigten Königreich sowie 13,5 Prozent aus Marokko. Die marokkanische Automobilindustrie umfasste 2021 mehr als 250 Unternehmen, die zusammen mehr als 220.000 direkte Arbeitsplätze geschaffen haben.
Die Teile- und Komponentenhersteller kamen zwar zunächst als Zulieferer für exportorientierte Automobilbauer vor Ort ins Land. Allerdings hat die coronabedingte Neustrukturierung der Lieferketten dafür gesorgt, dass Marokko zunehmend auch als Produktionsstandort für Kunden in Drittländern ins Gespräch kommt. Neue Investitionen in den Kfz-Teilesektor zielen bisweilen sogar darauf ab, um die 90 Prozent der Fertigung für den Export vorzusehen.
Der Plan de Relance Industriel 2021-23 zielt darauf ab, die marokkanische Eigenfertigung zu unterstützen. Das Königreich soll sich als Nearshoring-Standort etablieren. Nicht nur der asiatischen Konkurrenz, sondern auch verschiedenen europäischen Standorten könnte der Rang abgelaufen werden.
Lokale Teileproduktion gepuscht
Das Industrieministerium hat zu diesem Zweck in Kooperation mit der Association Marocaine pour l´Industrie et la Construction Automobile (AMICA) sechs Automobilökosysteme identifiziert, um Zulieferfirmen anzuziehen. Dazu zählen beispielsweise Verkabelungssysteme.
Zu den Unternehmen, die in Marokko im Bereich Verkabelung bereits tätig sind, gehören Yazaki, Delphi, Fujikura, Sumitomo, Lear, MTA und Leoni. Die Verkabelung ist eines der wichtigsten Segmente der marokkanischen Automobilindustrie. Der Sektor erwirtschaftete 2019 einen Jahresumsatz von etwa 2,5 Milliarden Euro.
Weitere Ökosysteme sind Metall und Stanzen (Hersteller von Stahlerzeugnissen, Werkzeugen, Rohren und Beschichtungen), Batterien, Fahrzeuginnenraum, Sitze, Antriebsstrang, Motor und Getriebe sowie Karosserie für Lkw und Nutzfahrzeuge. Die Produktpalette der Eigenfertigung hat sich bereits im Laufe der Zeit erweitert. Einfuhren sollen dadurch ersetzt werden. Marokkos Einfuhren direkt aus Deutschland blieben in den vergangenen Jahren bescheiden.
Einfuhr ausgewählter Kfz-Teile nach Marokko (in Millionen US-Dollar, Veränderung und Anteil aus Deutschland in Prozent) | 2020 | 2021 | Veränderung 2021/20 | Anteil aus Deutschland 2021 |
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SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 186,22 | 187,87 | 0,9 | 7,4 |
SITC 784 Karosserien, Stoßstangen etc. | 1.699 | 2.220 | 30,6 | 1,7 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 241,14 | 255,4 | 5,9 | 22,1 |
SITC 713.2 Motoren | 652,7 | 938,4 | 43,8 | 0,2 |
Summe | 2.779 | 3.601 | 29,6 | 3,0 |
Quelle: UN-Comtrade
Zulieferer wollen investieren
Neue Investitionen stehen im Zulieferbereich auf dem Plan. Die japanischen Branchenhersteller Sumitomo und Yazaki haben sich Anfang 2021 für Investitionen von etwas mehr als 100 Millionen US$ in vier neue Fabriken vor Ort entschieden. Im Jahr 2022 kündigte der weltweit größte Kabelbaumhersteller Yakazi Erweiterungsinvestitionen in Höhe von 38 Millionen US$ in Tanger an.
Der Hersteller Sumitomo Electric (SEBN) hat seine Fertigung von der Ukraine nach Rumänien sowie auch nach Marokko verlagert. Auch Stahlschmidt erweitert seine Aktivitäten in Marokko. Das Unternehmen hat 2022 in der Tanger Automotive City ein Werk für Komponenten und mechanische Entriegelungssysteme errichtet. Der Halbleiterhersteller STMicroelectronics kündigte an, eine neue Produktionslinie zu installieren. Der Ausbau soll im bestehenden Werk erfolgen, in Bouskoura.
Zahlreiche deutsche Kfz-Teilehersteller sind in Marokko aktiv und expandieren teilweise. Dazu zählen beispielsweise Leoni, Kromberg & Schubert, Prettl, Kostal, Schlemmer oder Stahlschmidt.
Erstes Automobil-Testzentrum Afrikas geplant
Ein richtungsweisendes Projekt befindet sich 150 Kilometer südlich von Casablanca. Dort soll das erste Automobil-Testzentrum Afrikas entstehen. Das Projekt führt die französische Gruppe UTAC, die sich auf die Validierung der Einhaltung von Normen im Fahrzeugbereich spezialisiert hat, und das deutsche Unternehmen FEV durch. Dabei geht es darum, neue Fahrzeuge zu entwickeln, aber auch Fahrzeuge an regionale Einschränkungen anzupassen.
Feu vert, ein französisches Unternehmen, das sich auf die Wartung und den Verkauf von Autozubehör spezialisiert hat, wird auch in Marokko investieren. Ab Anfang 2023 soll in Marrakesch das erste Autozentrum öffnen. Weitere Projekte sollen folgen.
Von Michael Sauermost
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Casablanca