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Nigerias Stromsektor bleibt auch nach der Reform schweres Terrain

Ohne Generatoren säße Afrikas größte Volkswirtschaft oft im Dunkeln. Besonders klemmt es bei der Übertragung. Private wollen dort kaum investieren, in Kraftwerke etwas mehr.

Von Ulrich Binkert | Bonn

Der jüngste landesweite Blackout von Mitte September 2023 hat wieder einmal gezeigt, dass Nigerias löchrige Stromwirtschaft dringend Investoren braucht. Die zieren sich aber. Von Kraftwerksprojekten gibt es zwar einige, auch größere. Deren Stand ist aber oft unklar.

Investoren halten sich zurück

Dem gesamten Sektor fehlt Geld, weil nur ein Bruchteil des abgesetzten Stroms überhaupt bezahlt wird. Zudem beklagen Beobachter viel Korruption. Dass sich zwei befragte große europäische Anbieter von Technik und Beratung nur auf geberfinanzierte Projekte bewerben, dürfte kein Zufall sein. Nun hat eine Reform der Regulierung unter dem neu gewählten Präsidenten Bola Tinubu Hoffnungen auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen geweckt. Branchenvertreter bleiben aber skeptisch. 

Offiziell sind in Nigeria gut 13.000 Megawatt Erzeugungskapazität installiert. Tatsächlich nutzbar sind laut der Regulierungsbehörde NERC  aber nur knapp 3.900 Megawatt. Auch wenn ein langjähriger Branchenvertreter eher von 7.000 Megawatt ausgeht - die Zahlen im Sektor sind oft nicht gesichert und widersprechen sich -, der Bedarf ist deutlich höher. Netzstrom gibt es, wenn überhaupt, nur einige Stunden täglich. Die Behörden zählen zur offiziellen, aber nicht nutzbaren Kapazität auch Kraftwerke, die längst stillstehen oder gar ausgeschlachtet wurden. Zudem fehlt laut Beobachtern immer wieder Erdgas. Auf der Verbrennung von Gas, bei dessen Produktion Nigeria 2021 global auf Rang 16 stand, basieren 80 Prozent der Erzeugerkapazität.

Vier von zehn Haushalten betreiben deshalb nach einem Pressebericht von 2022 Generatoren, die insgesamt 44 Prozent des benötigten Stroms lieferten. Die gesamte Kapazität der Generatoren, die mit Benzin oder Diesel laufen, schätzten die Behörden bereits 2016 auf "8 bis 14 Gigawatt". Große Industriebetriebe haben eigene, oft gasbefeuerte Kraftwerke. Die Abschaffung von Treibstoffsubventionen und Freigabe des Wechselkurses sind deshalb für die meisten Nigerianer ein großes Problem, schiebt aber auch den Verkauf von Solarpaneelen an: Der Benzinpreis hat sich zwischen Juni und Mitte September 2023 in Landeswährung verdreifacht.

Übertragungsnetz ist größter Flaschenhals

Der größere Engpassfaktor als die Erzeugung von Strom ist laut Experten aber dessen Übertragung. Das Übertragungsnetz kann laut NERC nur 5.300 Megawatt transportieren, also nur gut ein Drittel der offiziell installierten Erzeugerkapazität. Abhilfe sollen im Wesentlichen zwei geberfinanzierte Projekte der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank schaffen. Ein ebenfalls geberfinanziertes, allerdings nur schleppend vorankommendes Vorhaben zur Verbindung mit Nachbarländern (North Core) soll den Export von Strom ermöglichen, der heute wegen fehlender Übertragungskapazitäten in Nigeria selbst "strandet".

Daneben lieferte Siemens Energy seit 2022 mobile Verteilerstationen und Transformatoren für insgesamt 63 Millionen Euro. Das Gerät ist Teil der "Presidential Power Initiative" (PPI), die Nigeria 2018 mit Unterstützung der deutschen Regierung beschloss. Die PPI soll die Übertragungskapazität massiv erhöhen: in einer ersten Phase auf 7 Gigawatt, später auf 11 und längerfristig sogar auf 25 Gigawatt. Alleine die erste Phase, die relativ konkret geplant ist, soll über 2 Milliarden Euro kosten. Die späteren Abschnitte, deren Kosten sich auf hohe Milliardenbeträge summieren würden, sind noch wenig ausgearbeitet.

Großprojekt mit Siemens läuft schleppend - trotz Finanzierung

Allerdings kommt die PPI bisher kaum voran. Nach ersten Arbeiten Ende 2020 herrscht laut Beteiligten seit über einem halben Jahr wieder Stillstand. Und dies trotz finanzieller Unterstützung aus Deutschland: Nach Pressemeldungen von 2021 ist die deutsche Regierung bereit, über die Exportkreditversicherung Euler Hermes gut 2,6 Milliarden Euro an Krediten abzusichern, die einer anderen Quelle zufolge mit 3 Prozent verzinst sind. Eine offizielle Bestätigung von Euler Hermes ist dazu allerdings nicht zu bekommen. Die Gründe des Stillstands verorten ausländische Beobachter bei internen Konflikten unter den beteiligten staatlichen Stellen Nigerias.

Interesse am Bau von Kraftwerken

Für den Bau von Kraftwerken immerhin gibt es den Angaben zufolge Interesse von Seiten der beiden - relativ finanzstarken - Versorger um Lagos. Außerdem werden alte oder defekte Anlagen erneuert oder erweitert. So brachte die Transcorp Group beim Gaskraftwerk Afam zuletzt 240 Megawatt ans Netz. Der private Stromerzeuger Mainstream restaurierte nach eigenen Angaben 520 Megawatt Leistung von zwei Wasserkraftwerken, hauptsächlich der Anlage Kainji. Die 240 Millionen US-Dollar (US$) dafür habe man per Eigenkapital finanziert.

Daneben investieren Industrie und Gewerbe stetig in ihre eigene, netzunabhängige Stromversorgung. Der finnische Technikanbieter Wärtsilä etwa berichtete im Mai 2023 über laufende und geplante Projekte für BUA Cement, die jeweils 70 Megawatt umfassen. Auch Siemens Energy ist in diesem Geschäft aktiv. Die Anlagen für BUA Cement werden mit Pipeline-Erdgas (PNG) oder verflüssigtem Erdgas (LNG) befeuert. Ein geplantes 10-Megawatt-Projekt von Tolaram, dem Betreiber der Lagos Free Zone, soll mit LNG laufen.

 

Projekte der Stromwirtschaft
Projekt

Kosten (Mio. US$)

Anmerkungen
Übertragung


 


 
NG-Electricity Transmission Project

490

Finanzierung: Weltbank; Mai 2023: 285 Mio. US$ ausgegeben
Nigeria Transmission Expansion Project (1. Phase; NTEP1)

260

Finanzierung: African Development Bank (AfDB, 167 Mio. US$), Africa Growing Together Fund (50 Mio. US$), Regierung Nigeria (43 Mio. US$)
Presidential Power Initiative, Phase I

2.200 (Mio. Euro)

je circa 900 Mio. Euro für Siemens Energy und nigerianische Firmen vorgesehen, zudem 400 Mio. Euro für Freileitungen
North Core/Dorsale Nord Regional Power Interconnector Project

640

Verbindung nach Niger, Benin und Burkina Faso; die bisher durchgeführten (noch wenigen) Arbeiten beschränken sich auf diese 3 Länder; Finanzierung: Weltbank (465 Mio. US$), AfDB (120 Mio. US$), Agence Française de Développement (34 Mio. US$), EU (16 Mio. US$)
Erzeugung


 


 
Gwagwalada Independent Power Plant (Erdgas), 1.350 Megawatt

1.700

Bau der 1. von 3 Phasen begann im August 2023 (350 Megawatt); Bau: China Mechanical Engineering, GE Vernova, Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC); Gas aus der Ajaokuta-Kaduna-Kano (AKK)-Pipeline 
2 Gaskraftwerke in Kano und Kaduna, insgesamt rund 2.200 Megawatt

k.A.

NNPC; Projektstand unklar; Gas aus der AKK-Pipeline
Wasserkraftwerk Zungeru (700 Megawatt)

1.300

Mai 2023: "fertiggestellt"; Bau: China National Electric Engineering, Sinohydro; Finanzierung: China Exim Bank (75 Prozent); Betreiber: Mainstream Energy Solutions (MES)
Wasserkraftwerk Kainji: 220 Megawatt aus 2 zusätzlichen Turbinen (bisher 760 Megawatt Kapazität)

89

ab Juni 2022: Installation der 1. Turbine; MES; Bau: China Huadong Engineering

Gaskraftwerk Kingline Ondo (1.100 Megawatt)


 

1.200

offenbar im Bau; Themis Energy und weitere
Gaskraftwerk Malatex (1.000 Megawatt)

1.200

Vertrag vom März 2022; rund 60 Mio. US$ geflossen; China International, Gezhouba
Gaskraftwerk (500 Megawatt) in Sapele

750

April 2023: Finanzierung soll Ende 2023 stehen; Proton Energy
Lokoja Solar Plant (100 Megawatt)

140

Alten Energías Renovables; Finanzierung (noch nicht abgeschlossen): IFC, FMO und andere

Wasserkraftwerk Makurdi (1.650 Megawatt)

 

3.000

Januar 2023: Consultant gesucht; Machbarkeitsstudie liegt vor; Beteiligung von Sinohydro, Power China und GE
Wasserkraftwerk Mambilla (3.050 Megawatt)

5.800

gestoppt; Projekt mit langer Historie und viel Rechtsstreit; Sunrise Power and Transmission, Beteiligung unter anderem von China Eximbank und Gezhouba
Gaskraftwerk Okija (1.350 Megawatt)

1.700

Februar 2023: Projekt gestoppt; 3 Phasen; Century Power Generation
Quelle: Branchenunternehmen; Geber; Presse; Meed Projects

Stromabnahmeverträge schrecken ab

Investoren in die Erzeugung stören sich laut Branchenexperten aber an der Regulierung. Der staatliche Stromhändler NBET versuche in seinen Stromabnahmeverträgen um eine harte Take-or-Pay-Regelung herumzukommen, wie sie beim Gaskraftwerk Azura gelte. Dort erhalte der Kraftwerksbetreiber sein Geld auch dann, wenn er den Strom unverschuldet nicht liefern könne, etwa wegen des mangelhaften Übertragungsnetzes. Weil ansonsten aber solche Regelungen fehlten, fänden sich keine oder nur noch sehr teure Kraftwerks-Finanzierungen. Azura, von mehreren Banken finanziert und Siemens als Generalunternehmen errichtet, funktioniert dem Vernehmen nach gut.

Neue Regulierung: Die Fakten

Hoffnungen auf mehr Wettbewerb und Investitionen im Stromsektor hat der neue Electricity Act geweckt, den die Behörden nach Amtsantritt von Präsident Tinubu im Juni 2023 verkündeten. Bisher obliegt die Stromübertragung einem staatlichen Monopolisten, die Erzeugung privaten Firmen und die Verteilung insgesamt elf ebenfalls privaten Versorgern. Diese "Discos" (distribution companies) haben üblicherweise in einem oder mehreren der 36 Bundesstaaten Nigerias das Monopol.

Der Electricity Act ermöglicht es künftig etwa nach Darstellung der UNCTAD den Bundesstaaten sowie Firmen und Einzelpersonen, in allen drei Feldern tätig zu werden. Sie dürfen dann Strom erzeugen, übertragen und verteilen. Dabei schließe das Gesetz den zwischenstaatlichen und grenzüberschreitenden Stromtransport aus.

Neue Regulierung: Die Kritik

Kritiker sehen beim Electricity Act die Gefahr eines Flickenteppichs, der insbesondere die Übertragung behindern würde. Sie monieren auch, dass sich der Zentralstaat durch die Reform aus der Verantwortung stehle und ärmere Gebiete weiter abgehängt würden. Von den meist durchweg illiquiden Discos hätten nur wenige genügend Mittel für Investitionen: namentlich die beiden um die Wirtschaftsmetropole Lagos, die mit der Hauptstadt Abuja und womöglich jene mit dem Staat Kaduna.

Branchenvertreter hoffen zudem, dass die neue Regierung wie einmal angekündigt ein Ministerium für Energie einrichtet. Dem Sektor mangle es an politischer Koordinierung. Die geplante Regionalisierung verstärke das Problem und fördere zudem kleinteilige, relativ teure Lösungen.

Vertriebs- und Kooperationspartner

Auswahl
FirmaTätigkeitsbereichKontaktdatenAnsprechpartner

Geogrid Energy

Stromnetze, Minigrids

dayo.sobitan@geogridenergy.com

+234-905 303 3156

Adedayo Shobitan, Geschäftsführer

Acob Lighting Tech

Erneuerbare, Minigrids

o.alexander@acoblighting.com

+234-803 290 2825

Alexander C. Obiechina, Geschäftsführer

Dunatos Technology Consulting

Erneuerbare, Automatisierung, Kommunikation

opeyemi.ajiboye@dunatostech.com

+234-703 407 3502

Opeyemi Ajiboye, Geschäftsführer

Sosai Renewable Energies

Minigrids, Solar Home Systems

habiba@sosairen.org

+234-803 311 0130

Habiba Ali, Geschäftsführer

Quelle: Recherchen von GTAI

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