Markets International 3/24 I Polen I Investitionsklima
Polens Zeitenwende
Nach dem Regierungswechsel in Warschau und der Freigabe milliardenschwerer EU-Programme versprechen sich deutsche Unternehmen neue Absatzchancen in Polen. Doch ein Problem bleibt bestehen.
09.07.2024
Von Christopher Fuß | Warschau
Deutsche Unternehmensverbände haben den Amtsantritt von Polens neuem Premierminister Donald Tusk aus den Reihen der proeuropäischen Partei Bürgerplattform genau verfolgt. „Wir hoffen auf einen Aufschwung in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Der deutsch-polnische Wirtschaftsmotor kann wieder zum Schrittmacher für Europa werden“, wünscht sich Cathrina Claas-Mühlhäuser, Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft.
Markets International Ausgabe 3/24
Markets International 03/24Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 3/2024. Erfahren Sie, welche weitere Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.
Politische Attacken unter der abgewählten PiS-Regierung hätten viele Betriebe aus Deutschland verunsichert, erklärt die Unternehmerin, die auch Hauptgesellschafterin des Landmaschinenherstellers Claas ist. Die Chancen, dass es nach dem Machtwechsel besser laufen wird, stehen nicht schlecht. „Schon jetzt spüren wir ein gesteigertes Interesse deutscher Unternehmen an Polen“, sagt Claas-Mühlhäuser. Auch die Auslandshandelskammer (AHK) Polen beobachtet, dass sich das Geschäftsklima verbessert: Selten kündigten sich bei der Kammer so viele Wirtschaftsdelegationen aus Deutschland an, wie in den Monaten seit der Parlamentswahl – ein Hinweis, dass Firmen ihre Absatzchancen heute besser einschätzen.
Seit Dezember 2023 geht es voran
Laendercheck_Polen_kleinDie positive Stimmung mag auch damit zusammenhängen, dass Polens neue Regierung bereits einige Erfolge vorweisen kann. So überzeugte Premierminister Tusk die Europäische Kommission davon, lang erwartete Fördergelder endlich freizugeben – 76 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt und 59 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Brüssel hatte die Gelder blockiert, nachdem die PiS-Regierung eine vereinbarte Justizreform nicht umsetzte. Ohne die Reform verstößt Polen laut Auffassung der Kommission gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Immerhin brachte das alte Parlament ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Doch Staatspräsident Andrzej Duda verweigerte die Unterschrift und verhinderte so das Inkrafttreten.
Die Freigabe der EU-Gelder ist umstritten, auch die Tusk-Regierung hat die angemahnten Reformen noch nicht eingeführt. Justizminister Adam Bodnar stellte in Brüssel lediglich eine Roadmap darüber vor, wie er den Rechtsstaat reparieren will. Die Präsentation überzeugte die Kommission. Sie vertraut der neuen Regierung, auch weil Polen der europäischen Staatsanwaltschaft beigetreten ist. Außerdem legt die neue Regierung einen deutlich freundlicheren Ton in Brüssel an den Tag. Gleichzeitig bleibt aber offen, wie Tusk die Reformen gegen Staatspräsidenten Duda und gegen das polnische Verfassungsgericht durchsetzen will. Beide stehen der PiS sehr nahe und haben ein Vetorecht.
Unternehmen dürfen sich hingegen auf neue Projekte freuen. „Die EU-Mittel werden Polen dabei helfen, dringend benötigte Investitionen umzusetzen“, ist sich Lars Gutheil, Hauptgeschäftsführer der AHK Polen, sicher. Vor allem die Bahnindustrie gilt als ein Bereich, den Polen über Jahre hinweg hat schleifen lassen. Der Fuhrpark ist veraltet und die Strecken marode. Jetzt winken allein aus dem Wiederaufbaufonds mehr als fünf Milliarden Euro für Schieneninvestitionen.
Runter vom Abstellgleis
Die staatlichen Verkehrsgesellschaften haben Mittel beantragt, um Lokomotiven kaufen zu können. Deutsche Zulieferer wie Siemens Mobility hoffen auf neue Geschäfte. Doch es gibt ein Problem: Der Wiederaufbaufonds ist so konstruiert, dass Polen nur bis August 2026 Zeit hat, um die Gelder auszugeben. „Es bleibt zu hoffen, dass die Frist für den Wiederaufbaufonds verlängert wird. Das gäbe Herstellern die Möglichkeit, hochwertiges Material zu liefern“, sagt Marcin Górecki, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Siemens Mobility.
»Ohne Investitionen leidet Polens Wirtschaft«
Maciej Zieliński, Siemens Polska
Von den Wiederaufbaugeldern hängen nicht nur Bahnprojekte ab, erklärt Maciej Zieliński, Vorstandsvorsitzender von Siemens Polska: „Viele Unternehmen planen mit Geldern aus dem Wiederaufbaufonds, um Investitionen in digitale Lösungen oder in erneuerbare Energien zu finanzieren.“ Fehlen die Gelder, bleiben die Investitionen aus und die Absatzchancen deutscher Technologielieferanten sinken. Auch polnische Unternehmen verlieren in diesem Fall. „Ohne Investitionen wird die Wettbewerbsfähigkeit von Polens Wirtschaft leiden“, sagt Zieliński.
Die Tusk-Regierung darf sich nicht auf ihren jüngsten Erfolgen in Brüssel ausruhen. Stattdessen muss sie für eine Fristverlängerung kämpfen. Die Ministerin für Finanzen und Regionalpolitik, Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz, kündigte bereits Gespräche an. Ihr Argument: Brüssel dürfe die Tusk-Regierung nicht für die Versäumnisse der Vorgänger bestrafen.
"Offshore-Wind und Kernenergie sind politisch unstrittig"
Drei Fragen zum Markt an Christopher Fuß, GTAI Warschau
Welche Branchen entwickeln sich derzeit besonders gut?
Das Thema Automatisierung wurde lange Zeit vernachlässigt, da die Löhne so niedrig waren. In den vergangenen fünf Jahren ist das Durchschnittsgehalt um 50 Prozent gestiegen, deshalb überlegen Manager nun genau, welche Produktionsschritte eine Maschine übernehmen könnte. EU-Fördergelder helfen bei der Finanzierung.
Welche Großprojekte werden gegenwärtig umgesetzt?
In der Ostsee baut Polen Offshore-Windparks. Deutsche Unternehmen sind beteiligt und bewerben sich bei weiteren Firmen als Joint-Venture-Partner. Nahe der Hafenstadt Gdańsk plant ein US-Konsortium das erste Atomkraftwerk. Beide Projekte sind in Polen unstrittig. Der geplante Großflughafen Centralny Port Komunikacyjny soll ein Drehkreuz für den Luft- und Schienenverkehr Polens werden. Kritiker warnen vor hohen Kosten und vor Enteignungen von Anwohnern.
In welche Branchen fließt derzeit Kapital?
Autohersteller in Europa stellen auf emissionsfreie Fahrzeuge um. Dieser Trend zieht Batteriehersteller nach Polen, etwa LG aus Südkorea, Northvolt aus Schweden oder Umicore aus Belgien. Deutsche Zulieferer von Batteriekomponenten müssen beachten, dass eine Kaufentscheidung eventuell in der Firmenzentrale im Heimatland fallen kann.