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Rechtsbericht | Russland | Prozessrecht

Rechtsstreitigkeiten in Russland während des Sanktionsregimes

Erzielen Vertragsparteien keine Einigung über vertragliche Streitigkeiten, so kommt ein Rechtsstreit in Betracht. Nachstehend finden Sie eine Übersicht über relevante Aspekte.

Von Yevgeniya Rozhyna | Bonn

Verfahren vor Wirtschaftsgerichten

Das russische Gerichtsystem umfasst neben den allgemeinen Gerichten auch Wirtschaftsgerichte ("arbitrazhnye sudy"). Wirtschaftsgerichte sind für die Beilegung von Wirtschaftsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen und/oder Einzelunternehmern zuständig. Die höchste Instanz in Zivil- und Handelssachen ist das Oberste Gericht ("Verhovnyj Sud").

In Zivil- und Wirtschaftssachen besteht kein Anwaltszwang. Nichtdestotrotz sollte ein lokaler Rechtsanwalts bei Gerichtsverfahren hinzugezogen werden. Eine Liste deutschsprachiger Rechtsanwälte finden Sie unter "Anwälte im Ausland" auf gtai.de/trade. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die unterlegene Partei.

Wirtschaftsgerichte sind strikt vom Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit zu trennen.

In der Wirtschaftsgerichtsbarkeit können Klagen über ein Internetportal des jeweiligen Gerichtes elektronisch erhoben werden (für den Gerichtsbezirk Moskau: https://msk.arbitr.ru/). Alle Gerichtsentscheidungen in Wirtschaftssachen sind in einer Internetdatenbank anhand des Aktenzeichens und/oder der beteiligten Parteien im Volltext gut recherchierbar. Diese Entscheidungsdatenbank kann auch zur Ermittlung von Risiken durch anhängige Gerichtsverfahren verwendet werden.

Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen

Das russische Zivilprozessrecht ("grazhdanksiy prozessual'nyy kodes") bindet die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen über unternehmerische und sonstige wirtschaftliche Streitigkeiten an eine entsprechende Regelung in einem völkerrechtlichen Vertrag. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Russland besteht kein bilaterales Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen. Es besteht auch kein entsprechendes multilaterales Übereinkommen, an dem beide Länder beteiligt sind. Dies hat zur Folge, dass deutsche Gerichtsentscheidungen in Russland nicht vollstreckbar sind. Aus diesem Grunde ist die Gegenseitigkeit im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht verbürgt, sodass russische Gerichtsentscheidungen in Deutschland spiegelbildlich ebenfalls nicht vollstreckt werden. Ausnahmsweise kann in Deutschland vollstreckt werden, wenn die russische Partei über ein Vermögen in Deutschland verfügt, in das vollstreckt werden kann.

Schiedsgerichtsbarkeit

Im internationalen Wirtschaftsverkehr sind Schiedsverfahren eine beliebte Methode zur Streitbeilegung. So ist zum Beispiel die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen durch das New Yorker Übereinkommen vom 10. Juni 1958, dem über 160 Staaten (einschließlich Deutschland und Russland) beigetreten sind, möglich.

Allerdings hat Russland in den letzten Jahren in der Schiedsverfahrensordnung erhebliche Veränderungen vorgenommen. So auch die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2020, dem so genannten „Sanktionsgesetz 2020“ (Nr. - 171 FZ). Das Gesetz führt eine ausschließliche Zuständigkeit russischer Wirtschaftsgerichte ein, wenn eine der Parteien unter das geltende Sanktionsregime fällt. Das Gesetz fügte Art. 248.1 und Art. 248.2 in die Wirtschaftsprozessordnung (im Folgenden: WPO) neu ein.

Die Vorschriften regeln das Prozedere der Geltendmachung der ausschließlichen Zuständigkeit der russischen Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten.

Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften ist, dass zwischen den Parteien eine Schiedsklausel zu Gunsten eines ausländischen Schiedsgerichtes oder Gerichtes abgeschlossen wurde und die russische Partei aufgrund der geltenden Sanktionen keinen Zugang zum ausländischen Rechtssystem erlangt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn aufgrund von Finanzsanktionen Konten eingefroren werden oder die Zahlung über SWIFT nicht möglich ist, so dass notwendige Verfahrensgebühren nicht beglichen werden können.

Gemäß Art. 248.1 wird der russischen Partei die Möglichkeit eröffnet, die Streitigkeit in jedem Stadium des Verfahrens in die russische Jurisdiktion zu übertragen. In diesem Fall erlangen russische Gerichte die ausschließliche Zuständigkeit.

Die ausschließliche Zuständigkeit kann gemäß Art. 248. 2 WPO:

  • durch das Stellen eines Antrages auf Streitbeilegung bei einem russischen Wirtschaftsgericht am Sitz oder Wohnsitz der russischen Partei oder
  • durch einen Antrag auf Erlass des Verbotes der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens vor einem ausländischen (staatlichen) Gericht oder Schiedsgericht

erreicht werden.

Für die Geltendmachung des Antrages reicht nach der Rechtsprechung ("Uralvagonzavod v. PESA I") des Obersten russischen Gerichtshofs allein die Tatsache aus, dass die russische Seite den Antrag, die Rechtsstreitigkeit im Ausland zu beenden und in die russische Jurisdiktion zu übertragen, stellt. Das ermöglicht der russischen Seite sich auf den Art. 248.1 WPO zu berufen, ohne die Gründe für die Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung aufgrund der Behinderung des Zugangs zur Rechtsverfolgung nachzuweisen.

Für deutsche Unternehmen steigert sich damit das Risiko, dass die vereinbarten Schiedsklauseln und  Gerichtsstandsvereinbarungen ihre Gültigkeit verlieren könnten.

Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen

Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüche wird gemäß Art. 248. 1 Absatz 5 WPO nicht gehindert, wenn

  • sie aufgrund der Klage einer sanktionsbetroffenen Person ergangen sind, oder
  • in einem Verfahren, dem eine solche Partei nicht widersprochen hat
  • und gegen die kein Antrag auf ein Verbot oder Einleitung gem. Art. 248 Abs. 1 WPO gestellt wurde.




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