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Wirtschaftsumfeld | Russland | Außenhandel

Außenhandelsdaten spiegeln Russlands Abkopplung vom Westen wider

Russlands Handelsströme verschieben sich seit Beginn des Ukrainekrieges stark. Die Sanktionen lassen die Einfuhren aus der Europäischen Union massiv einbrechen.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

In Russlands Außenhandel vollziehen sich große Umwälzungen. Im Jahr 2022 stieg der Handelsumsatz zwar auf rund 974 Milliarden US-Dollar (US$), schätzt die Zentralbank. Aber die Importe gingen in der Menge um 16 Prozent und im Wert um 9 Prozent auf 345,8 Milliarden US$ zurück, meldet der Föderale Zolldienst (FTS). Hauptgrund für den Rückgang sind die sinkenden Einfuhren aus der Europäischen Union (EU) und den USA, die nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine strenge Handelsrestriktionen erlassen haben.

Der Anstieg des Handelsumsatzes ist darauf zurückzuführen, dass die russischen Exporte im Jahr 2022 wertmäßig um 14 Prozent auf 628,1 Milliarden US$ zulegten. Die hohen Exporteinnahmen dämpften 2022 noch die finanziellen Folgen der Sanktionspolitik für Russland. Doch das dürfte sich 2023 mit sinkenden Einnahmen aus Rohstoffexporten ändern, denn Russland kann seine Rohstoffe zurzeit nur mit hohen Preisabschlägen am Weltmarkt verkaufen.

Information zur Validität russischer Außenhandelsdaten

Die Intransparenz in der russischen Wirtschaft nimmt zu. Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen gibt der Staat immer weniger Daten preis. Die Datenbasis ist lückenhaft:

  • Der Föderale Zolldienst veröffentlicht seit April 2022 keine Daten mehr zu Import- und Exportstatistiken sowie zur Struktur und Geographie des Außenhandels;
  • Daten zum russischen Außenhandel sind nur noch aus Statistiken russischer Handelspartner erhältlich;
  • Informationen zur Entwicklung der Handelsströme sind vereinzelt aus Interviews, Aussagen oder Präsentationen von Ministern sowie aus Antworten auf Anfragen der russischen Wirtschaftspresse zu entnehmen.

Sanktionen lassen Einfuhren aus Europa massiv einbrechen

Die russischen Importe aus der EU gehen immer mehr zurück, da aufgrund der Sanktionen zahlreiche Waren nicht mehr nach Russland geliefert werden dürfen. Die russischen Exporte in die EU sind zwar in der Menge gesunken, aber hier schlagen die hohen Preise auf Energieträger zu Buche. Deshalb legte Russlands Handelsumsatz mit den Mitgliedsstaaten der EU 2022 trotz der Sanktionen um 11,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 258,6 Milliarden Euro zu, meldet Eurostat.

Der Marktanteil der 60 Staaten, die Sanktionen gegen Russland verhängen, am russischen Außenhandel ging von 58 Prozent im Jahr 2021 auf ein Drittel im Jahr 2022 zurück. Hingegen konnten „freundliche Länder“ ihren Handelsanteil von 42 Prozent auf zwei Drittel steigern, so das russische Wirtschaftsministerium. Im Jahr 2022 hat Russland fast ein Viertel seiner Exporte in Länder umgeleitet, die keine Sanktionen gegen Moskau verhängt haben, geht aus Daten des Ministeriums hervor.

Ukrainekrieg wirft deutsch-russischen Handel um 20 Jahre zurück

Der deutsch-russische Außenhandelsumsatz sank 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 16,5 Prozent auf 49,9 Milliarden Euro, meldet Destatis. Die deutschen Exporte nach Russland fielen um 45,2 Prozent auf nur noch 14,6 Milliarden Euro – das entspricht in etwa dem Niveau von 2003. Russland belegt im Ranking der wichtigsten deutschen Absatzmärkte nur noch Rang 23 (vorher Rang 15). Einzig die Lieferungen in Branchen, die von Sanktionen ausgenommenen wurden, wie pharmazeutische und medizinische Produkte sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsmittel, stiegen im Vorjahresvergleich.

Entwicklung der deutschen Exporte nach Russland im Jahr 2022

Warengruppe

Deutsche Ausfuhr (Mio. Euro)

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %

Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse

3.046,2

19,7

Maschinen, Apparate und Geräte für verschiedene Zwecke

1.376,2

-56,8

Arbeitsmaschinen für besondere Zwecke

1.228,0

-33,7

Straßenfahrzeuge

978,3

-74,8

Elektrische Maschinen, Apparate und Geräte

789,5

-60,0

Mess-, Prüf- und Kontrollinstrumente, -apparate und -geräte

691,9

-45,7

Chemische Erzeugnisse und Waren a.n.g.

518,2

-34,5

Metallwaren a.n.g.

513,7

-36,8

Kunststoffe in Primärform

371,5

-52,0

Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze und Waren daraus

352,4

27,4

Quelle: Destatis 2023

Die deutschen Einfuhren aus Russland sanken 2022 in der Menge um 41,5 Prozent. Infolge der hochgeschnellten Preise für Energieträger stieg ihr Wert jedoch um 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 35,3 Milliarden Euro. Im Ergebnis verzeichnete die Bundesrepublik 2022 mit Russland ein Handelsdefizit von 20,7 Milliarden Euro.

Entwicklung der deutschen Importe aus Russland im Jahr 2022

Warengruppe

Deutsche Einfuhr (Mio. Euro)

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %

Erdöl und Erdölerzeugnisse

17.531,7

37,8

Gas

6.668,9

-32,4

Kohle und Koks

3.370,1

51,5

NE-Metalle

3.524,5

6,2

Gold zu nichtmonetären Zwecken

454,9

58,3

Eisen und Stahl

361,5

-53,7

Metallurgische Erze und Metallabfälle

346,3

-52,0

Düngemittel

275,1

391,6

Anorganische chemische Erzeugnisse

252,2

-8,7

Holz

204,1

-40,0

Quelle: Destatis 2023

„Die Entflechtung vom russischen Markt kommt schnell voran. Es wird auf absehbare Zeit keine normalen Handelsbeziehungen mit Russland mehr geben.“

zieht Michael Harms vom Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft Bilanz.

China baut Vorsprung als wichtigster Handelspartner Russlands aus

Russland richtet seinen Außenhandel geographisch und strategisch neu aus. Im Jahr 2022 steigerte das größte Flächenland den Umsatz mit seinem wichtigsten Handelspartner China im Vergleich zum Vorjahr um 29,3 Prozent auf 190,3 Milliarden US$, meldet die chinesische Zollbehörde General Administration of Customs (GAC). Die chinesischen Einfuhren aus Russland stiegen um 43,4 Prozent auf 114,1 Milliarden US$. Die chinesischen Ausfuhren stiegen um 12,8 Prozent auf 76,2 Milliarden US$. Chinas Anteil am russischen Außenhandel beläuft sich mittlerweile auf ein Drittel – Tendenz steigend. Beide Länder wickeln inzwischen rund die Hälfte ihres Handelsumsatzes in Rubel und Renminbi ab.

Russland liefert rund ein Fünftel seiner gesamten Ausfuhren nach China und bezieht von dort rund 40 Prozent seiner Einfuhren. Doch entwickelt sich der Handel mit dem Reich der Mitte zunehmend einseitig zu Ungunsten Russlands. Exportiert das größte Flächenland vor allem unverarbeitete Rohstoffe, liefert China dringend benötigte Technologien wie Maschinen und Anlagen. Im Jahr 2022 bezog Russland aus China Mikrochips im Wert von 179 Millionen US$ - plus 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Russland lenkt seine Handelsströme um

Russland passt sich an die neuen Gegebenheiten an und strukturiert seine Lieferketten um. Neben China springt vor allem die Türkei als Transit-Drehscheibe zwischen Ost und West ein, analysiert die US-amerikanische NGO Silverado Policy Accelerator. Der Warenaustausch mit der Türkei legte 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 84 Prozent auf 58,8 Milliarden US$ zu. Damit löste das vorderasiatische Land Deutschland als Russlands Handelspartner Nummer 2 ab. Indien kam trotz der steigenden Einfuhren russischer Energieträger und einem Handelsumsatz von 32,3 Milliarden US$ (Januar bis November 2022) noch nicht in die Top-5-Handelspartner.

Die russischen Einfuhren aus Belarus, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Georgien und Armenien stiegen 2022 überdurchschnittlich an, stellt die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in einer Studie fest. Gleichzeitig nahmen die Ausfuhren der EU in diese Länder im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft um 48 Prozent auf 20,3 Milliarden Euro zu. Der EU-Sanktionsbeauftragte David O'Sullivan äußert den Verdacht, dass die genannten Länder als Drehscheibe für sanktionierte westliche Güter in Richtung Russland dienen. Das größte Flächenland versucht über Grauimporte an westliche Technologie zu gelangen. Jedes sechste befragte russische Unternehmen habe es irgendwie geschafft, weiterhin vom Westen sanktionierte Maschinen und Technologien zu importieren, lautet das Ergebnis einer Umfrage des Gaidar-Instituts.

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