Branchen | Türkei | Chemische Industrie
Herausforderungen in der Chemieindustrie bleiben bestehen
Die Wachstumsaussichten der Branche bleiben eingetrübt. Die schwache Lira verteuert die Importe von Energie und Rohstoffen. Trotzdem planen Unternehmen neue Investitionen.
01.10.2023
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Seit Juni 2023 hat die Türkische Lira fast ein Drittel ihres Werts gegenüber dem US-Dollar (US$) eingebüßt. Die Entwicklung des Wechselkurses hat einen erheblichen Einfluss auf die nationale Wirtschaft sowie das Wachstum der Chemiebranche. Eine schwache Lira begünstigt einerseits die Exporte, weil sie türkischen Unternehmen Preisvorteile gegenüber der internationalen Konkurrenz verschafft. Eine schwache Lira verteuert andererseits die Importe. Rund 70 Prozent der in der Chemieproduktion eingesetzten Rohstoffe werden importiert, und die Abhängigkeit von Erdöl- und Gasimporten ist hoch. Die Effekte einer starken Abwertung fallen also je nach Sparte unterschiedlich aus.
SITC | Produktgruppe | 2022 | Veränderung 1) | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung 1) |
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51 | Organische chemische Erzeugnisse | 791 | 15,1 | 321 | -29,1 |
52 | Anorganische chemische Erzeugnisse | 2.403 | 69,7 | 1.107 | -4,0 |
53 | Farbmittel, Gerbstoffe, Farben (und Lacke) | 1.335 | 25,8 | 707 | 15,7 |
54 | Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse | 1.709 | 1,8 | 1.049 | 24,3 |
55 | Ätherische Öle, Körperpflege-, Putz- und Reinigungsmittel etc. | 2.334 | 20,9 | 1.280 | 22,6 |
56 | Düngemittel (ausgenommen solche der Gruppe 272) | 682 | 74,9 | 99 | -60,4 |
57 | Kunststoffe in Primärformen | 2.985 | 24,0 | 1.251 | -21,1 |
58 | Kunststoffe in anderen Formen als Primärformen | 3.877 | 9,2 | 1.788 | -10,9 |
59 | Andere chemische Erzeugnisse und Waren | 1.802 | 25,7 | 918 | 3,6 |
Im 1. Halbjahr 2023 gingen die Chemieexporte um 13,5 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode auf 14,6 Milliarden US$ zurück. Adil Pelister, Vorsitzender der Istanbul Chemicals and Products Exporters’ Association (IKMIB), begründet den Rückgang zum einen mit einem Preiseffekt durch die gesunkenen Öl- und Rohstoffpreise. Zum anderen mit Exportrestriktionen bei Kunstdünger und Pharmazeutika. Im Inland dämpft außerdem die hohe Inflation schon länger die Nachfrage. In wichtigen Auslandsmärkten wie der EU und den USA führt eine schwache Konjunktur zu ebenfalls geringem Kaufinteresse.
Unternehmen | Sparte | Umsatz (in Mio. US$) |
---|---|---|
Petkim | Petrochemie | 2.949 |
Aksa Akrilik | Acrylfaser | 1.121 |
BASF Türkiye | Industrie- und Bauchemikalien | 979 |
Altin Ates Kimya | Agrarchemikalien, Düngemittel | 703 |
Betek Boya | Farben und Lacke | 463 |
Akdeniz Chemson | Industriechemikalien | 436 |
Indorama Ventures | PET | 404 |
Akkim Kimya | Industriechemikalien | 356 |
Koruma Klor Alkali | Industriechemikalien | 325 |
Likit Kimya | Industriechemikalien | 319 |
Arkem Kimya Sanayi | Industriechemikalien | 276 |
Kunststoffverband erwartet mehr Produktion und Investitionen
Die durchschnittliche Kapazitätsauslastung in der Kunststoffindustrie betrug in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 rund 75 Prozent. Knapp ein Viertel der produzierten Menge wurde exportiert. Der Branchenverband PAGEV prognostiziert, dass die Produktionsmenge im Jahr 2023 trotz eines leichten Rückgangs in den ersten fünf Monaten um 6 Prozent steigen wird. Die Exporte werden voraussichtlich um 5 Prozent sinken. Die wichtigsten Abnehmerländer von Januar bis Mai 2023 waren mengenmäßig Irak, das Vereinigte Königreich und Israel, wertmäßig Deutschland, das Vereinigte Königreich und Irak.
Messgröße | Januar-Mai 2023 (in tausend Tonnen) | Veränderung 1) | Veränderung Gesamtjahr 2022/23 2) |
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Produktion | 4.632 | -0,6 | 5,9 |
Import | 326 | 10,5 | 10,5 |
Export | 1.053 | -4,3 | -5,0 |
Inlandsnachfrage | 3.905 | 1,3 | 9,7 |
Messgröße | Januar-Mai 2023 (in Mio. US$) | Veränderung 1) | Veränderung Gesamtjahr 2022/23 2) |
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Produktion | 19.434 | 0,3 | 5,5 |
Import | 1.786 | 13,5 | 10,6 |
Export | 3.068 | -6,5 | -6,0 |
Inlandsnachfrage | 18.152 | 2,7 | 8,2 |
PAGEV erwartet, dass die Investitionen der türkischen Kunststoffindustrie in Maschinen und Ausrüstungen 2023 um 11 Prozent auf 1,3 Milliarden US$ steigen werden.
Messgröße | 2022 (Mio. US$) | Januar-Mai 2023 (in Mio. US$) | Veränderung 1) | Veränderung Gesamtjahr 2022/23 2) |
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Produktion | 797 | 345 | 18 | 4 |
Import | 728 | 354 | 30 | 17 |
Export | 307 | 138 | 18 | 8 |
Inlandsnachfrage | 1.218 | 561 | 25 | 11 |
Herausforderungen für Pharmahersteller bleiben bestehen
Steigende Kosten und Lieferkettenprobleme belasten die Pharmaindustrie. Gleichzeitig ist auch dieser Zweig stark auf importierte Rohstoffe angewiesen. Die Fertigung von pharmazeutischen Erzeugnissen stieg 2022 nur mengenmäßig an.
Das staatliche Preissystem stellt nach wie vor eine Hürde für die Verfügbarkeit von importierten Arzneimitteln dar. Aufgrund des starken Wechselkursverfalls der Lira ist der türkische Markt für viele internationale Anbieter unrentabel geworden. Die türkische Regierung hat einen Ausfuhrstopp für Medikamente verhängt, die in der Türkei hergestellt werden und im Inland knapp geworden sind.
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
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Inlandsabsatz | 2,4 | 2,2 | 2,4 | 2,6 |
Produktion | 2,1 | 1,9 | 2,1 | 2,3 |
Importe | 0,3 | 0,3 | 0,3 | 0,2 |
2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
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Inlandsabsatz | 6,4 | 7,2 | 6,8 | 6,9 | 6,6 |
Produktion | 3,1 | 3,7 | 3,5 | 3,6 | 3,6 |
Exporte | 1,3 | 1,4 | 1,8 | 1,9 | 1,9 |
Importe | 5,1 | 5,6 | 5,6 | 7,5 | 3,0 |
Exporte von Farben und Lacken legen zu
Die Auslandsnachfrage nach Farben und Lacken steigt. Laut İKMİB stiegen die Exporte von Januar bis Juli 2023 um 11 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode auf 852 Millionen US$. Im Jahr 2022 waren sie um 26 Prozent auf 1,4 Milliarden US$ gestiegen. Die für die Farbherstellung benötigten petrochemischen Grundstoffe sind teurer geworden. Gemessen am Wert waren Irak, Usbekistan, Iran und Ägypten 2022 die größten Abnehmerländer.
Nachfrage der Kfz-Industrie holt auf
Die Kfz-Industrie ist ein wichtiger Abnehmer der türkischen Chemiebranche. Angetrieben wird die Produktion 2023 von einer hohen Nachfrage aus dem In- und Ausland. Der Verband der Automobilindustrie OSD prognostiziert für das Jahr 2023 ein Plus der Fertigung um 10 Prozent auf 1,5 Millionen Fahrzeuge (2022: +6,6 Prozent). Dementsprechend dürfte auch der Bedarf an Lacken, Beschichtungen, Kunststoffen und Kunstfasern steigen. Lieferengpässe begrenzen jedoch weiter die Fertigung. Zudem sind die Wirtschaftsaussichten in wichtigen Auslandsmärkten wie der EU eingetrübt.
Ausfuhrstopp bei Kunstdünger
Die türkische Düngemittelindustrie ist bei Rohstoffen und Energie in hohem Maße importabhängig. Ein schwacher Lirakurs verteuert deshalb die Produktionskosten. Von den Vorteilen beim Export durch eine schwache Lira kann die Branche nicht profitieren, denn die Regierung hat Ende 2022 die Ausfuhr chemischer Düngemittel untersagt. Der Verbrauch innerhalb der Türkei ging 2022 auf 5,9 Millionen Tonnen zurück (2021: 6,5 Millionen Tonnen; 2020: 7,1 Millionen Tonnen).
Unternehmen | Umsatz (in Mio. US$) | Export (in Mio. US$) | Standort/Provinz |
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Gübre Fabrikalari (Gübretas) | 1.238 | 10 | Istanbul |
Istanbul Gübre | 1.227 | 28 | Kocaeli |
Toros Tarim | 1.165 | 233 | Istanbul |
Gemlik Gübre | 533 | k.A. | Bursa |
Investitionen trotz schwieriger Lage
Die Wechselkursvolatilität erschwert die Preis- und Kostenkalkulationen und eine langfristige Planung. Dazu kommen eine hohe Inflation und instabile Rahmenbedingungen. Hohe Kosten dämpfen die Rentabilität von Vorhaben. Trotzdem haben Unternehmen vor, weiter zu investieren und verkünden neue Vorhaben:
BASF kündigte Ende August 2023 den Bau einer neuen Produktionsanlage für wasserlösliche Dispergiermittel in ihrem Werk in Dilovasi an, wodurch die Produktion noch im 3. Quartal verdoppelt wird.
Abdi Ibrahim beabsichtigt, 37 Millionen US$ in den Ausbau des Produktionskomplexes in Esenyurt zu investieren. Dort soll eine biotechnische pharmazeutische Produktionsanlage entstehen, die unter anderem mRNA-basierte und inaktive Impfstoffe für Drittfirmen produzieren kann.
Hektas Ticaret, ein Hersteller für Veterinärmedizin, plant den Bau einer zweiten Produktionsanlage in Ankara für 48 Millionen US$.
Der Kosmetikhersteller Sinoz kündigte im September an, umgerechnet 3,7 Millionen US$ in den Ausbau der Produktionskapazitäten in Sinop für sein Pflegeöl No. 16 zu investieren.
Okular Kozmetik plant Investitionen in Höhe von umgerechnet 11 Millionen US$ in eine Produktionsstätte in Kocaeli, in der Lufterfrischer, Parfüm, Desinfektionsmittel, Flüssigseife und Oberflächenreiniger hergestellt werden sollen.
Akteur | Projekt | Investitionssumme (in Mio. US$) | Anmerkungen |
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SOCAR | Mercury Petrochemie Komplex in Izmir, Kapazität:1,25 Mio. tpa PTA, 840.000 tpa PX, 340.000 tpa Benzol | 2.000 | Das Projekt befindet sich aufgrund ungünstiger Marktbedingungen in einer Warteschleife. |
Bayegan Sonatrach Ronesans | Polypropylen Produktion in der Ceyhan Industriezone in Adana; 450.000 tpa | 1.300 | Geplante Fertigstellung: Juni 2025 |
Maleik Anhidrit Uretim Dilovasi
| Bau einer Produktionsanlage für Maleinsäureanhydrid (MAN) mit einer Kapazität von 50.000 Tonnen | 120 | Geplante Fertigstellung: Dezember 2025 |
Tüpras Kirikkale | Schwefelrückgewinnungsanlage | 53 | Geplante Fertigstellung: Oktober 2024 |