Wirtschaftsumfeld | Türkei | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Löhne und Gehälter
Der Mindestlohn in der Türkei wurde wegen der hohen Inflation angehoben. Die meisten Unternehmen haben die Löhne für alle Beschäftigten demnach angepasst.
13.11.2024
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Das Lohnniveau in der Türkei liegt deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Im Vergleich zu südosteuropäischen Ländern wie Bulgarien und Rumänien sind die Lohnkostenvorteile allerdings geringer. Ein wichtiger Faktor sind die hohen Lohnnebenkosten. Sie begünstigen die Verbreitung von Schattenwirtschaft mit illegaler Beschäftigung. Die Einkommen weisen große regionale Unterschiede auf. Auf der anderen Seite zeichnet sich die Türkei durch eine höhere Produktivität aus. Auch deswegen lassen große deutsche Bekleidungsunternehmen wie Hugo Boss und Adidas Konfektionsartikel in der Türkei fertigen.
Mindestlohn ist stark gestiegen
Eine wichtige Vorgabe für die Arbeitskosten in der Türkei ist der gesetzliche Mindestlohn, der nach Artikel 55 der Verfassung zur Sicherung des Existenzminimums vorgeschrieben ist. Traditionell wurde dieser Mindestlohn zu Beginn eines jeden Jahres von einer zuständigen Kommission, bestehend aus Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, festgelegt und galt dann für das gesamte Jahr. Die türkische Regierung hat den Mindestlohn seit Anfang 2022 wegen der ausufernden Inflation bereits fünfmal erhöht. Offiziellen Angaben zufolge fallen rund 40 Prozent der Beschäftigten unter die Mindestlohnregelung.
| Zeitraum der Gültigkeit | Brutto in Euro 1) | Durchschnittlicher Wechselkurs 2) | Brutto in TL | Veränderung auf TL-Basis 3) |
|---|---|---|---|---|
| ab 1.1.24 | 613,6 | 32,60 | 20,002 | 49,1 |
| 1.7. - 31.12.23 | 448,5 | 29,91 | 13.414 | 34,0 |
| 1.1. - 30.6.23 | 469,5 | 21,31 | 10.008 | 54,7 |
| 1.7. - 31.12.22 | 348,9 | 18,55 | 6.471 | 29,3 |
| 1.1. - 30.6.22 | 308,3 | 16,23 | 5.004 | 39,9 |
| 1.1. - 31.12.21 | 341,3 | 10,48 | 3.577 | 21,5 |
| 1.1. - 31.12.20 | 366,3 | 8,04 | 2.943 | 15,1 |
Lohnerhöhungen erwartet
Die Mindestlohnerhöhungen dienten vielen Unternehmen seit dem starken Inflationsanstieg Ende 2021 als wichtige Orientierung für die Lohnsteigerungen aller Beschäftigten. Die Regierung erhöhte den Mindestlohn zuletzt Anfang 2024 und plant eigenen Angaben zufolge erstmals seit 2022 keine zweite Erhöhung im Jahresverlauf. Anders sieht es in den Unternehmen aus. Es wird berichtet, dass viele nach den Lohnerhöhungen im Januar eine weitere Gehaltsanpassung für alle Beschäftigten planen.
Reale Kaufkraft der Haushalte ist gesunken
Trotz mehrfacher Lohnerhöhungen in den letzten Jahren, ist die reale Kaufkraft der Haushalte in der Türkei wegen der horrenden Inflation gesunken. Die Regierung verfolgt seit der Wiederwahl im Juni 2023 eine restriktive Geldpoltik mit dem obersten Ziel, die Inflation zu senken. Erste Erfolge lassen sich vermelden, aber die Inflation ist weiter auf einem hohen Niveau (September 2024: 49 Prozent).
| Branche | Monatslohn |
|---|---|
| Durchschnittslohn | 411 |
| Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei | 256 |
| Verarbeitendes Gewerbe | 377 |
| Strom-, Gas-, Wärme- und Kälteversorgung | 464 |
| Wasserversorgung, Abfallswirtschaft | 401 |
| Baugewerbe | 333 |
| Groß und Einzelhande, Reperatur von Kfz | 338 |
| Transport und Lagerhaltung | 431 |
| Gastgewerbe, Beherbergung und Gastronomie | 320 |
| Informations- und Kommunikationsleistungen | 662 |
| Finanz- und Versicherungswesen | 603 |
Abkehr von Löhnen auf Devisenbasis bei internationalen Firmen
Ausländische Firmen zahlen in der Regel höhere Löhne und bieten ihren Beschäftigten mehr Sonderleistungen als lokale Betriebe. Internationale Unternehmen budgetieren ihre Arbeitskosten oft in Euro oder US-Dollar. Dies führt dazu, dass bei einem Wertverlust der Lira die Arbeitskosten für diese Unternehmen – umgerechnet in Euro oder US-Dollar – sinken. Lohnerhöhungen konnten so zeitweise durch Abwertungen der türkischen Währung kompensiert werden. Seit 2023 haben sich die Löhne jedoch auch auf Euro-Basis deutlich erhöht.
| 2024 (in Euro) 2) | 2024 (in TL) 3) | Veränderung auf TL-Basis 2024/23 4) |
|---|---|---|---|
| Geschäftsführer/-in einem größeren Unternehmen | 14.646 | 501.324 | 85,2 |
| Geschäftsführer/-in einem kleinen bis mittleren Unternehmen | 10.189 | 348.750 | 149,7 |
| Leiter/-in Produktion/Fertigung | 5.436 | 186.081 | 83,8 |
| Vertriebsdirektor/-in | 5.540 | 189.619 | 91,1 |
| Vertriebsleiter/-in | 3.104 | 106.237 | 87,7 |
| Vertriebsmitarbeiter/-in | 1.653 | 56.596 | 98,3 |
| Ingenieur/-in | 2.344 | 80.218 | 114,3 |
| Programmierer/-in | 2.348 | 80.385 | 47,4 |
| Buchhalter/-in | 1.446 | 49.508 | 92,4 |
| Büroangestellte/-r | 893 | 30.560 | 75,6 |
| Sekretär/-in der Geschäftsführung | 2.007 | 68.697 | 83,6 |
| Sekretär/-in | 1.067 | 36.511 | 103,9 |
| Kraftfahrer/-in | 1.033 | 35.358 | 84,5 |
| 2024 in Euro 2) | 2024 in TL 3) | Veränderung auf TL-Basis 2024/23 4) |
|---|---|---|---|
| Vorarbeiter/-in | 1.560 | 53.395 | 109,5 |
| Maschinentechniker/-in | 1.479 | 50.639 | 96,8 |
| Qualifiziertes technisches Personal | 1.253 | 42.902 | 108,3 |
| Facharbeiter/-in | 1.168 | 39.969 | 148,3 |
| Ungelernte Arbeitskraft | 755 | 25.835 | 89,2 |
Löhne in nordwestlichen Industrieregionen sind am höchsten
Die nordöstliche Marmara-Region und der Großraum Istanbul sind mit Abstand die wichtigsten Industriezonen der Türkei. In den westlichen Schwarzmeerprovinzen ist im Gebiet von Zonguldak der türkische Steinkohlebergbau und ein großer Teil der Eisen- und Stahlindustrie angesiedelt. Aufgrund der schweren Arbeitsbedingungen vor Ort werden Zulagen gezahlt, die bei der Ermittlung des Bruttolohns mitberücksichtigt werden.
Die Provinzen Bursa, Kocaeli und Sakarya sind das Zentrum der türkischen Automobilindustrie. Ost- und Südostanatolien sind die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Gebiete der Türkei, weshalb dort die Löhne das niedrigste Niveau aufweisen.
Ausländische Unternehmen zahlen mehr
Die in ausländischen Unternehmen gezahlten Löhne und Gehälter liegen in der Regel über den Entgelten in türkischen Firmen. Die Personalberatungsgesellschaft Poyraz Consulting führte eine Befragung zur Lohnhöhe unter mehr als 5.000 Firmen durch. Die ermittelten und in der Tabelle aufgeführten Zahlen zum Jahresbruttogehalt für einzelne Berufsgruppen im Jahr 2022 betreffen bereits das obere Lohnsegment in der Türkei.
Weitere Lohnbestandteile
Gratifikationen ("ikramiye") und Prämien ("prim") sind in vielen türkischen Betrieben verbreitet. Sonderzahlungen beispielsweise für eine 25-jährige Betriebszugehörigkeit oder zu Neujahr zählen zu dieser Kategorie. Oft werden jährlich zwei bis vier zusätzliche Monatsgehälter vereinbart. Solche Regelungen werden auch im Rahmen von Tarifverträgen festgelegt. In einigen Branchen wie dem Bergbau werden teilweise sogar fünf zusätzliche Monatsgehälter pro Jahr gezahlt. Zuschüsse zu Fahrt- und Essenskosten sind üblich. Einige Firmen bieten ihren Angestellten auch einen Fahrdienst zum Arbeitsplatz.
Die Bedeutung der zusätzlichen Leistungen beziehungsweise Vergünstigungen innerhalb des gesamten Gehaltspakets eines Mitarbeitenden ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So bilden auch die Zusatzleistungen oft den eigentlichen Mittelpunkt von Lohnverhandlungen, während die Anpassungen des Grundgehalts sich in der Regel an der erwarteten Inflation orientieren.
Das türkische Arbeitsgesetz schreibt den Grundsatz der Gleichbehandlung vor, wodurch der Arbeitgeber dazu verpflichtet wird, bei der Vergabe von Gratifikationen alle Beschäftigten gleich zu behandeln. Allerdings gibt es Wege, solche Bestimmungen in der Praxis zu umgehen.
Sozialversicherungsbeiträge
Die Sozialbeiträge der Beschäftigten und Arbeitgeber erreichen zusammen mindestens 36,5 Prozent des Bruttolohns. Die Türkei nimmt hinsichtlich der Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn unter den OECD-Ländern damit einen vorderen Platz ein. Die Obergrenze für die Bemessungsgrundlage für die Sozialabgaben beträgt für das Jahr 2024 monatlich 150.019 TL.
| Rentenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 11,0 |
| Krankenversicherung (Arbeitgeberanteil) | 7,5 |
| Abgabe für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Mutterschaftsschutz (Arbeitgeberanteil) | 1,0 - 6,5 |
| Arbeitslosenversicherung | 2,0 |
