Wirtschaftsausblick | Tschechische Republik
Tschechiens Wachstum steht auf wackeligen Beinen
Die Konjunktur in Tschechien kommt 2024 wieder in Fahrt. Dafür sorgt vor allem die stärkere Nachfrage im Inland. Der weitere Aufschwung hängt von den wichtigen Absatzmärkten ab.
15.05.2024
Von Gerit Schulze | Prag
Top-Thema: Verbraucher fassen wieder Vertrauen
Die wichtigste Stütze für Tschechiens Konjunkturaufschwung sind 2024 die Privathaushalte. Das Finanzministerium erwartet laut Prognose von April 2024, dass die Konsumenten dieses Jahr real 2,7 Prozent und nächstes Jahr 3,5 Prozent mehr ausgeben. Für sie hat sich das Umfeld deutlich aufgehellt. Nach zwei Jahren Reallohnverlusten in Folge übersteigen die Lohnzuwächse nun die Teuerungsrate.
Nachdem die Verbraucherpreise 2022 und 2023 in Summe um mehr als ein Viertel explodierten, erwartet die Nationalbank ČNB 2024 eine Inflationsrate von nur noch 2,3 Prozent. Zugleich rechnen die Währungshüter mit nominalen Lohnzuwächsen in Höhe von rund 6 Prozent, weil weiter Personalmangel herrscht. Damit bleibt den Beschäftigten real mehr Geld für Konsumausgaben.
Für gute Stimmung sorgt zudem die Zinspolitik. Seit Dezember 2023 senkte die Zentralbank gleich viermal den Leitzins. Der entscheidende Zwei-Wochen-Reposatz war Anfang Mai 2024 mit 5,25 Prozent so niedrig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Das verbilligt die Verbraucherkredite und Bauzinsen. Laut Bankenverband ČBA stieg die Zahl neuer Hypothekenkredite im 1. Quartal 2024 um über die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr. Immobilienmakler melden höhere Verkaufszahlen.
Der vom Statistikamt monatlich ermittelte Index des Verbrauchervertrauens kletterte im April 2024 auf den höchsten Wert seit Herbst 2021. Die Konsumenten berichten, dass sich ihre finanzielle Situation verbessert und sie wieder größere Anschaffungen planen. Im Einzelhandel liegen die Umsätze real bereits deutlich über dem Vorjahresniveau.
Wirtschaftsentwicklung: Aufschwung ab dem Sommer
Tschechien ist 2023 knapp der Rezession entkommen. Nur im 3. Quartal rutschte die Wirtschaftsleistung ins Minus. Schon in diesem Jahr soll ein neuer Wachstumszyklus beginnen. Im 1. Quartal 2024 stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahresvergleich um 0,4 Prozent. Wie stark sich die Konjunktur entwickelt, hängt maßgeblich von der Nachfrage in Deutschland und anderen großen Auslandsmärkten ab. Frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2024 könnten die tschechischen Unternehmen von dort neue Impulse bekommen.
Hohe Energiepreise bleiben Risiko für Industrie
Zu den Risiken für die Industrie gehören nach Einschätzung der Regierung die weiterhin hohen Energiepreise und instabile Lieferketten. Auch die Inflation ist noch nicht vollends unter Kontrolle.
Im Januar und Februar 2024 stagnierte die Industrieproduktion im Vergleich zu den ersten beiden Monaten 2023. Schwächer entwickelten sich vor allem der Bergbau, Textil- und Möbelhersteller sowie die Metallindustrie. Das wichtige Stahlwerk Liberty Ostrava steckt in Zahlungsschwierigkeiten.
Bedeutende Wirtschaftszweige wie der Fahrzeugbau oder die Lebensmittelproduktion entwickeln sich dagegen überdurchschnittlich gut und profitieren von der verbesserten Verbraucherstimmung.
Geringer Anstieg der Anlageinvestitionen
Impulse durch einen Investitionsboom sind in diesem Jahr nicht zu erwarten. Das Finanzministerium erwartet bei den Bruttoanlageinvestitionen einen Zuwachs von real 2,2 Prozent und damit nur noch halb so viel wie 2023. Für 2025 (2,4 Prozent) und 2026 (2,6 Prozent) sind die prognostizierten Wachstumsraten ebenfalls überschaubar. Wie gering die Investitionsneigung und die Hoffnung auf einen Aufschwung sind, zeigen auch die sinkenden Lagerbestände der Unternehmen.
Der Staat kann nicht einspringen, weil die strenge Haushaltspolitik den öffentlichen Investitionen enge Grenzen setzt. Die Ausgaben des Staates werden 2024 nur 0,3 Prozentpunkte zum Wirtschaftswachstum beitragen.
Staatsverschuldung erreicht Rekordwert
Tschechiens Staatsverschuldung war 2023 erstmals über die Marke von 3 Billionen Kronen (Kč) gestiegen und lag umgerechnet bei knapp 130 Milliarden Euro. Seit Beginn der Coronapandemie hat sich der Schuldenstand damit fast verdoppelt. Für die Bedienung der Außenstände musste das Finanzministerium 2023 den Rekordwert von 2,8 Milliarden Euro aufwenden. Dieses Geld fehlt für Investitionen.
Die Prognosen für den Anstieg des BIP 2024 schwanken zwischen 0,7 Prozent (Internationaler Währungsfonds) und 1,4 Prozent (Finanzministerium und Nationalbank). Positiver sind die Analysten für 2025 gestimmt. Dann sollte Tschechiens Wirtschaft wieder zwischen 2 und 3 Prozent wachsen.
Außenhandel legt Atempause ein
Im Unterschied zum Vorjahr wird der Außenhandel 2024 keinen entscheidenden Beitrag zum BIP-Wachstum leisten. Die Importe ziehen laut Prognosen des Finanzministeriums wieder an, da die Kaufkraft steigt. Zugleich bleibt die Nachfrage nach tschechischen Waren auf den Auslandsmärkten schwach, sodass sich der Handelsüberschuss verringert.
Ab 2025 soll der Außenhandel kräftiger wachsen. Sowohl die Importe als auch die Exporte legen dann laut den Vorhersagen um über 3 Prozent zu. Davon würde Deutschland als wichtigster Handelspartner profitieren.
Deutsche Perspektive: Weniger Investitionen und Personalabbau
Die deutschen Unternehmen in Tschechien sehen den Standort derzeit so negativ wie seit vielen Jahren nicht mehr. Bei der Konjunkturumfrage der Auslandshandelskammer in Prag verwiesen sie auf die niedrige Nachfrage und den Personalmangel als größte aktuelle Geschäftsrisiken. Jedes fünfte Unternehmen erwartet 2024 sinkende Umsätze und will entsprechend die Investitionen kürzen.
Der Außenhandel zwischen Tschechien und Deutschland ist 2023 laut Destatis um knapp 2 Prozent auf 113 Milliarden Euro gesunken. Das lag an den niedrigeren deutschen Exporten in das Nachbarland (-6 Prozent). Die tschechischen Lieferungen nach Deutschland sind um 2 Prozent gestiegen. In den ersten beiden Monaten 2024 setzte sich dieser Trend fort: Deutschlands Importe aus Tschechien stiegen um 6 Prozent; die Lieferungen nach Tschechien sanken um 2 Prozent.
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