Wirtschaftsumfeld | Türkei | Wirtschaftsstruktur
Türkische Wirtschaftsstruktur stützt sich auf starke Industrie
Breit aufgestellte Industrie, Nähe zur EU, großes Marktpotenzial – die Türkei bietet ausländischen Unternehmen Chancen für Absatz und Beschaffung.
16.04.2025
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Während sich viele Staaten in Südosteuropa und im Nahen Osten stärker auf einzelne Sektoren oder Rohstoffe stützen, punktet die Türkei mit einer diversifizierten Industrie. Im Wettbewerb etwa mit Ägypten oder einigen Balkanländern überzeugt sie besonders durch ihre Produktionskapazitäten, die Nähe zur EU und gut ausgebauter Infrastruktur. In den vergangenen Jahren hat sich die Wirtschaftsstruktur zunehmend in Richtung verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen verschoben, während der Beitrag der Landwirtschaft tendenziell abnimmt. Der Anteil der Schattenwirtschaft liegt mit über 30 Prozent deutlich über dem Niveau europäischer Länder.
Die Türkei ist eng in internationale Lieferketten eingebunden, mit hohen Exporten, aber auch einem starken Importbedarf an Rohstoffen und Vorprodukten. Diese Abhängigkeit macht den Standort anfällig für externe Schocks. Um die Importabhängigkeit im Energiesektor zu verringern, wird verstärkt in erneuerbare Energien investiert – ein Trend, der auch durch Klimaschutzvorgaben an Bedeutung gewinnt.
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Breite Industrie und gute Lage machen den Standort attraktiv
Die Türkei ist für deutsche Unternehmen ein wichtiger Absatz- und Beschaffungsmarkt und bietet vielfältige Geschäftschancen – insbesondere in den Bereichen Kfz-Zulieferungen, Chemie und Maschinenbau. Deutschland und die Türkei wollen im Rahmen einer Energiepartnerschaft ihre Kooperation bei erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff ausbauen.
“Trotz oder jenseits der negativen Schlagzeilen bietet die Türkei deutschen Unternehmen in vielen Branchen enormes Potenzial. Der Warenstempel ‚made in Germany‘ wird geschätzt und gern gesehen“,
sagt Burkhardt Hellemann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer. Als Beschaffungsstandort überzeugt die Türkei mit wettbewerbsfähiger Produktion, verlässlichen Lieferketten und gut ausgebauter Logistikinfrastruktur. Viele deutsche Unternehmen sehen sie als attraktive Ergänzung oder Alternative zu asiatischen Märkten. Die Zollunion mit der EU erleichtert den gegenseitigen Handel und fördert die Integration in europäische Lieferketten.
Hohes Potenzial in zahlreichen Branchen vorhanden
Zu den traditionsreichsten Branchen zählt die Textil- und Bekleidungswirtschaft. Sie umfasst die gesamte Wertschöpfungskette – von der Verarbeitung heimischer Baumwolle über die Garn- und Stoffproduktion bis hin zu Heimtextilien und Konfektionsware. Viele Unternehmen fertigen im Auftrag internationaler Modemarken.
Auch die Kfz- und Zulieferindustrie zählt zu den wichtigsten Industriezweigen des Landes. Fahrzeuge werden unter anderem von Ford Otosan, Toyota, Hyundai, Oyak Renault und Tofaş produziert. Ein breites Netzwerk an Zulieferern ergänzt die Produktion. Die chemische Industrie ist vor allem in den Bereichen Petrochemie, Kunststoffe und Düngemittel stark aufgestellt und beliefert zahlreiche Industriezweige im In- und Ausland.
Die türkische Industrie ist breit aufgestellt: Im Maschinenbau reicht das Angebot von Land- bis Textilmaschinen. Die Branche ist exportstark, besonders nach Europa, Asien und Nordafrika. In der Elektrotechnik zählt die Türkei zu den führenden Produzenten von Haushalts- und Unterhaltungselektronik. Auch die Lebensmittelindustrie ist bedeutend – mit Exporten von Mehl, Pasta, Trockenfrüchten und Olivenöl. Der Tourismus ist die wichtigste Dienstleistungsbranche und spielt eine zentrale Rolle für Devisen, Beschäftigung und andere Wirtschaftszweige.
Sektoren (NACE Rev.2) | Anteil am BIP 2024 | Anteil an den Beschäftigten 2024 |
---|---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (A) | 5,6 | 14,8 |
Industrie (einschließlich Bergbau und Energie; B, C, D, E); darunter, | 20,0 | 20,7 |
verarbeitendes Gewerbe (C) | 17,1 | 19,2 |
Baugewerbe (F) | 5,9 | 6,6 |
Dienstleistungen (G, H, I) | 26,0 | 25,4 |
Information und Kommunikation (J) | 2,6 | 1,1 |
Finanz- und Versicherungswesen (K) | 3,4 | 1,1 |
Immobilienwirtschaft (L) | 5,1 | 1,1 |
Die wirtschaftlichen Schwerpunkte verteilen sich regional je nach Branche – einzelne Städte und Provinzen haben sich in bestimmten Industriezweigen als bedeutende Standorte etabliert:
- Kfz- und -Zulieferindustrie: Bursa, Kocaeli, Sakarya, Istanbul
- Textil- und Konfektionsindustrie: Izmır, Bursa, Denizli, Kahramanmaraş, Gaziantep, Adana
- Lebensmittelindustrie: Izmır, Istanbul, Bursa, Gaziantep, Konya
- Chemische Industrie: Kocaeli (Gebze), Istanbul, Izmır, Adana, Mersin, Ceyhan (aufstrebend)
- Elektrotechnik/Elektronik: Istanbul, Manisa, Eskişehir, Ankara
- Maschinenbau: Bursa, Istanbul, Ankara, Kocaeli, Izmır, Konya, Gaziantep
- Tourismus: Antalya, Istanbul, Muğla (Bodrum, Marmaris, Fethiye), Aydın (Kuşadası), Izmır (Çeşme, Selçuk)
Zwischen industriestarken Zentren und strukturschwachen Regionen
Die ökonomische Entwicklung in der Türkei ist regional stark unterschiedlich ausgeprägt – mit einem klaren Gefälle zwischen dem industrialisierten Westen und dem strukturschwächeren Osten. Das wirtschaftliche Herz der Türkei schlägt in der nordwestlichen Marmara-Region – mit der Metropole Istanbul als zentralem Standort für Industrie, Handel und Dienstleistungen. Die nahe gelegenen Provinzen Bursa und Kocaeli sind wichtige Industriezentren.
Ankara spielt vor allem als Verwaltungszentrum eine bedeutende Rolle. Dort sind viele Unternehmen angesiedelt, die eng mit dem Staat verbunden sind – etwa in der Energiebranche. An der Ägäisküste gilt die Provinz Izmir als führend in der Nahrungsmittelverarbeitung und Textilindustrie. Zudem betreibt Petkim im Hafen von Aliağa den größten petrochemischen Komplex des Landes – ein wichtiger Standortfaktor für die Chemiebranche.
In zentralanatolischen Städten wie Gaziantep, Konya und Kayseri hat sich eine mittelständisch geprägte Industrie etabliert, die teils erfolgreich im Export tätig ist. Deutlich schwächer entwickelt ist hingegen der Osten des Landes: In den ärmsten Provinzen Südostanatoliens liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei nur rund einem Drittel des Istanbuler Niveaus. Im Südwesten hingegen sorgt die Tourismusbranche – insbesondere in den Provinzen Antalya und Muğla – für ein vergleichsweise hohes durchschnittliches Einkommen.
Gebiet | Anteil am BIP (in %) | BIP pro Kopf (in US$) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|---|
Istanbul | 30,4 | 21.741 | 15,7 |
Ankara | 9,6 | 18.655 | 5,8 |
Izmır | 6,1 | 15.369 | 4,5 |
Kocaeli | 4,1 | 21.985 | 2,1 |
Bursa | 3,9 | 13.917 | 3,2 |
Antalya | 3,5 | 14.828 | 2,7 |
Konya | 2,1 | 10.313 | 2,3 |
Adana | 2,1 | 10.284 | 2,3 |
Mersin | 2,1 | 12.025 | 1,8 |
Gaziantep | 1,9 | 9.880 | 2,1 |