Die Wachstumsaussichten im Inland sind eingetrübt. Die Chemiebranche ist stark exportorientiert und die Auslandsnachfrage könnte teils steigen.
Im Inland trüben ein schwächeres Wirtschaftswachstum und eine hohe Inflation die Nachfrage nach vielen chemischen Erzeugnissen. Zu den Risiken für das Jahr 2024 zählen die Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise, hohe Inflation, Zinsen und eine weitere Verschlechterung der Konjunktur im Inland und in wichtigen Absatzmärkten wie der EU und den USA.
Einen starken Einfluss auf das Wachstum wird die Entwicklung des Wechselkurses der Türkischen Lira haben. Eine schwache Lira begünstigt die Exporte, verteuert jedoch die Importe. Rund 70 Prozent der in der Chemieproduktion in der Türkei eingesetzten Rohstoffe werden importiert.
31
Mrd. US$
ist der Exportwert der türkischen Chemieindustrie.
Chinesische Konkurrenz setzt türkische Anbieter unter Druck
Ein wachsendes Anliegen für die türkischen Chemiehersteller ist die zunehmende Konkurrenz aus China in der EU. Diese werde durch chinesische Investitionen in wichtige europäische Häfen vorangetrieben, was deren Transportlogistik verbessere.
Ein erheblicher Teil der Chemieproduktion geht in den Export. Eine Angabe zum Exportanteil liegt jedoch nicht vor. Die Ausfuhren türkischer chemischer Erzeugnisse erlebten 2023 einen Rückgang von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr und fielen auf 30,6 Milliarden US-Dollar (US$). Trotz dieser aktuellen Herausforderungen bleibt der Istanbuler Fachverband der Exporteure von Chemie und chemischen Erzeugnissen İKMİB (İstanbul Kimyevi Maddeler ve Mamulleri İhracatçıları Birliği) optimistisch und prognostiziert für das Jahr 2024 eine Erholung der Exporte auf 35 Milliarden US$, mit einem weiteren Anstieg auf 48 Milliarden US$ bis 2028. Trotz des allgemeinen Rückgangs konnten bestimmte Segmente wie die Pharmaindustrie und die Hersteller von Putz- und Reinigungsmitteln ihre Exporte im Jahr 2023 steigern.
Türkische Ausfuhr ausgewählter Chemieerzeugnisse (in Millionen US-Dollar; Veränderung in Prozent)Produktgruppe (SITC) | 2022 | 2023 | Veränderung 2023/2022 |
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Organische chemische Erzeugnisse (51) | 746 | 632 | -15,3 |
Anorganische chemische Erzeugnisse (52) | 2.179 | 1.981 | -9,1 |
Farbmittel, Gerbstoffe, Farben und Lacke (53) | 1.219 | 1.419 | 16,4 |
Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse (54) | 1.555 | 2.005 | 28,9 |
Ätherische Öle, Körperpflege-, Putz- und Reinigungsmittel etc. (55) | 2.107 | 2.699 | 28,1 |
Düngemittel, ausgenommen solche der Gruppe 272 (56) | 605 | 261 | -56,9 |
Kunststoffe in Primärformen (57) | 2.770 | 2.486 | -10,3 |
Kunststoffe in anderen Formen als Primärformen (58) | 3.572 | 3.634 | 1,7 |
Andere chemische Erzeugnisse und Waren (59) | 1.642 | 1.838 | 11,9 |
Quelle: Türkisches Statistikamt TÜIK 2024
Unternehmen werden Dekarbonisierung vorantreiben
Vertreter der Chemieindustrie wie İKMİB betonen die Notwendigkeit, die Produktion klimafreundlicher zu gestalten, um in der EU wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn ab 2026 werden in der EU über die CO2-Grenzabgabe (CBAM) Emissionen von Importen bepreist. Dies betrifft auch entsprechende Lieferungen aus der Türkei. Deswegen arbeiten bereits heute viele Chemiehersteller an Lösungen, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Die Türkei hat noch keine verbindlichen Minderungsziele für emissionsintensive Industriezweige festgelegt und das angekündigte Emissionshandelssystem wurde noch nicht umgesetzt.
Düngemittelhersteller investieren nach Krisenphase wieder
In der türkischen Agrarbranche stieg der Düngemittelabsatz im Jahr 2023 auf 10 Millionen Tonnen, im Vergleich zu 5,9 Millionen Tonnen im Jahr 2022. Gübretas und IGSAS stellten ihre Produktion im Jahr 2022 unter Berufung auf wirtschaftliche Gründe vorübergehend ein. Nun sind Investitionen in den Ausbau der Düngemittelproduktion in der Pipeline.
IGSAS, der einzige Urea-Produzent in der Türkei, plant seine Produktion in Kocaeli von 560.000 auf 1,2 Millionen Tonnen auszubauen und im März 2024 wird voraussichtlich in Samsun eine Fabrik für organische Mineraldünger den Betrieb aufnehmen. In Hatay soll bis Anfang 2025 ein Werk die Produktion von jährlich 250.000 Tonnen Mischdünger fertiggestellt werden. Agrotech hat 70 Prozent der Anteile an Profert erworben und plant nun, in der Türkei intelligente Düngemittel herzustellen.
Die umsatzstärksten Düngemittelunternehmen der Türkei 2022Unternehmen | Umsatz (Mio. US$) *) | Export (Mio. US$) | Standort/Provinz |
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Gübre Fabrikalari (Gübretas) | 1.238 | 10 | Istanbul |
Istanbul Gübre | 1.227 | 28 | Kocaeli |
Toros Tarım | 1.165 | 233 | Istanbul |
Gemlik Gübre | 533 | k.A. | Bursa |
* umgerechnet zum durchschnittlichen Wechselkurs 2022: 1 US-Dollar = 16,579 Türkische Lira.Quelle: Wirtschaftsmagazin „Capital“, Nr. 8/2023
Auslandsnachfrage nach Farben und Lacken steigt
Laut dem Fachverband BOSAD hat die Farben- und Lackproduktion in der Türkei im Jahr 2023 fast die Marke von 1 Million Tonnen erreicht. Aufgrund steigender Preise ging die mengenmäßige Nachfrage im Inland jedoch zurück. Der Markt für Baufarben schrumpfte 2022 um 8 Prozent auf 580.000 Tonnen und der mengenmäßige Rückgang setzte sich 2023 laut BOSAD fort. Gleichzeitig könnte der Umsatz wiederum wertmäßig gestiegen sein.
Die Exportnachfrage nach Farben und Lacken zeigt weiterhin Wachstum, allerdings nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. Laut İKMİB stiegen die Farb- und Lackexporte 2023 um 4 Prozent auf 1,5 Milliarden US$, verglichen mit einer Steigerung von 26 Prozent im Jahr 2022 und 27 Prozent im Jahr 2021. Gemessen am Wert waren Russland, Irak, Usbekistan und der Iran die größten Abnehmerländer. Besonders gefragt waren kunststoffbasierte Spachtelmassen, andere synthetische Farbstoffe und Druckfarben.
Die Produktion von Kunststoffen stieg 2023 um 4 Prozent auf rund 11 Millionen Tonnen. Dabei entfielen auf Verpackungsmaterialien und Baumaterialien aus Kunststoffen jeweils 4,6 Millionen beziehungsweise 2,2 Millionen Tonnen. Im Wohnungsbau wird 2024 eine Flaute erwartet. Laut dem Kunststoffverband PAGEV stiegen die Maschineninvestitionen im letzten Jahr um kräftige 39 Prozent auf 1,7 Milliarden US$.
Kunststofferzeugnisse in der TürkeiMessgröße | 2022 (in Mio. t) | 2023 (in Mio. t) | 2022 (Mrd. US$) | 2023 (Mrd. US$) |
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Produktion | 10,5 | 10,9 | 44,2 | 45,3 |
Import | 7,1 | 7,6 | 3,9 | 4,2 |
Export | 2,7 | 2,6 | 7,8 | 7,4 |
Inlandsnachfrage | 8,5 | 9,1 | 40,2 | 42,1 |
Quelle: Kunststoffverband PAGEV 2024
Mit den zunehmenden Kapazitäten dürfte auch die Nachfrage nach Rohstoffen steigen. PAGEV schätzt, dass 2023 etwa 1 Million Tonnen Kunststoffrohstoffe in der Türkei produziert wurden (aufgeschlüsselt in Prozent wie folgt: LDPE: 31, PET: 23, PVC: 15, PP: 12, PS: 10 und HDPE: 9). Gleichzeitig stiegen die Importe um 4 Prozent auf 8,8 Millionen Tonnen Kunststoffrohstoffe. Über die Hälfte der Importe entfielen auf Polyethylen und Polypropylen.
Türkische Exporte von Kunststofferzeugnissen (in Millionen US-Dollar, Veränderung in Prozent) | 2022 | 2023 *) | Veränderung *) 2023/2022 |
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Kunststoffverpackungen | 3.886 | 1.057 | -13,4 |
Haushalts- und Küchenartikel aus Kunststoff | 659 | 394 | 4,3 |
Kunsstoffrohstoffe | 3.198 | 1.513 | -23,5 |
* Januar bis Juli.Quelle: Verband der Exporteure von Chemikalien und Produkten in Istanbul İKMİB 2024
Gedämpfte Aussichten in der Pharmabranche
Für die Pharmabranche war 2023 ein herausforderndes Jahr. Die Produktionswerte von Arzneien und Biopharmazeutika waren rückläufig, bei Generika bleibt die Produktion hoch. Das türkische Referenzpreissystem beeinträchtigt die Rentabilität des Inlandsmarktes. Die Exportaussichten sind eingetrübt.
Produktion von pharmazeutischen Erzeugnissen 2022 | Menge (in Mio. Packungen) | Veränderung 2022/2021 (in %) | Wert (in Mio. US$) | Veränderung 2022/2021 (in %) |
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Arznei | 2.550 | 8,5 | 6.575 | -5,2 |
Biotechnologie | 33 | -15,4 | 1.206 | -7,2 |
Generika | 1.600 | 14,3 | 2.316 | 4,0 |
Quelle: Pharmaindustrie Verband IEIS 2024
Erschwerte Bedingungen für Investitionen
Die restriktive Geldpolitik der türkischen Zentralbank zur Bekämpfung der horrenden Inflation beeinträchtigt die Finanzierung von Projekten. Die Zinsen sind hoch und der Zugang zu Krediten ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen schwieriger geworden. Eine hohe Wechselkursvolatilität erschwert die Preis- und Kostenkalkulation sowie eine langfristige Planung.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in der TürkeiAkteur/Projekt | Investitionssumme (in Mio. US$) | Projektstand | Anmerkungen |
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Bayegan Gruppe / Polypropylen Produktion in der Provinz Hatay; 450.000 tpa | 1.900 | Geplante Fertigstellung: Dezember 2027 | Das Projekt befindet sich in der Planungsphase und erhält staatliche Förderung |
Santa Farma / Produktion von Artzneimitteln in der Provinz Kocaeli | 100 | Entwicklungsphase | Das Unternehmen plant eine jährliche Produktion von 831 t Tabletten, 384 t Pulver, 140 t Kapselmedikamente und 8,4 t flüssigen Arzneimitteln; Projekt erhält staatliche Förderung |
Evly Pharma Cosmetics Industry / Produktion von Körperpflegeprodukten | 15 | Entwicklungsphase | Das Unternehmen plant eine jährliche Produktion von 12,2 t Körperpflegemitteln |
Bianca Boya Lack Industry / Produktion von Farben und Lacken | 6 | Entwicklungsphase | Das Unternehmen plant den Bau der Fabrik in einer dieser drei Regionen: Gebze, Düzce, Bursa |
Quelle: Meed Projects 2024; Pressemeldungen 2024
Stand: März 2024
Von Katrin Pasvantis
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Istanbul