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Ukrainischer Bausektor profitiert von Wiederaufbaugeldern
Trotz hoher Zuwächse bleibt die Unsicherheit in der ukrainischen Bauwirtschaft groß. Kriegsfolgen, steigende Kosten, Fachkräftemangel und schwache Nachfrage sind die Gründe.
14.03.2025
Von Waldemar Lichter | Warschau
Die ukrainische Bauwirtschaft setzte ihre Aufwärtsentwicklung 2024 fort. Nach einem kräftigen Anstieg von 25 Prozent 2023 belief sich das Plus in den ersten neun Monaten 2024 auf knapp 24 Prozent. Ähnlich wie im Vorjahr trug dazu vor allem der Tiefbau bei. Deutlich an Dynamik gewinnt jedoch inzwischen auch der Nichtwohnungsbau. Das Wachstum im Bausektor wird vor allem durch den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur sowie Investitionen in neue Industrie- und Logistikprojekte angetrieben.
Der Wohnungsbau legte im Vergleich moderater zu: um 11 Prozent. Damit deutet sich eine Trendumkehr an. Erstmals nach zwei Jahren (2022: –60 Prozent, 2023: –2 Prozent) drehte die Bauleistung in dieser Sparte wieder ins Plus. Dazu trugen staatliche Förderprogramme für den Wohnungsbau bei wie eOselya und eVidnovlenja. Marktbeobachter stellen aber auch eine gestiegene private Nachfrage fest, beispielsweise nach Wohnungen und Einfamilienhäusern vor allem in der Westukraine.
2023 | Januar bis September 2024 | |
---|---|---|
Bauindustrie gesamt | 25 | 23,8 |
Wohnungsbau | -2 | 12,2 |
Sonstiger Hochbau | 22,9 | 21,7 |
Tiefbau | 34,9 | 25,4 |
Diese Trends werden sich auch 2025 fortsetzen. Der Fokus der Bauaktivitäten bleibt auf Projekten, die für das Funktionieren der Wirtschaft wichtig sind, wie die Wiederherstellung der Infrastruktur oder der Wiederaufbau und Ausbau von Logistik- und Energiekapazitäten. Für Impulse sorgen Investitionen in neue Industriekapazitäten, vor allem in der Verteidigungsindustrie und in der Baustoffbranche.
Gedrückte Stimmung in der Branche
Die Lage der Bauunternehmen ist dennoch nicht rosig – trotz der starken Zuwächse der letzten beiden Jahre bleibt die Bauproduktion weit unter dem Niveau von vor Beginn der groß angelegten russischen Invasion. Befragungen zeigen zwar zum Jahresbeginn 2025 eine leicht verbesserte Stimmung bezüglich Geschäftslage. Arbeitskräftemangel, finanzielle Einschränkungen und schwache Nachfrage machen den Unternehmen aber schwer zu schaffen. Die Mehrheit von ihnen schätzt das aktuelle Auftragsvolumen als unzureichend ein. Auch der Kostendruck infolge steigender Preise für Energie und Baustoffe nimmt zu.
Entscheidend für die Baukonjunktur wird in den nächsten Jahren sein, ob der Zufluss an internationalen Hilfsgeldern aufrechterhalten werden kann. Ohne diese wären die hohen Produktionszuwächse von 2023 und 2024 nicht möglich gewesen. Die EU und die meisten anderen Verbündeten der Ukraine sagten die Fortsetzung ihrer Unterstützung zwar zu. Fragezeichen gibt es dagegen bei der US-Hilfe. Als erstes negatives Signal wurden Ende Februar 2025 die Ukraine-Programme der US-Entwicklungshilfeorganisation USAID ausgesetzt. Das wird sich teilweise auch auf den ukrainischen Bausektor auswirken.
Private Investoren sorgen für positive Signale
Ein gutes Zeichen ist dagegen, dass auch von privaten Investitionen erste Impulse für die Baukonjunktur ausgehen. Dazu gehören Projekte zum Ausbau und Modernisierung von Logistikanlagen, im Handelssektor sowie im Wohnungsbau, insbesondere in der Westukraine. Investitionen mit Ausstrahlung auf die Bauindustrie nehmen auch bei privaten und staatlichen Industrie- und Energieunternehmen zu, wie etwa bei Metinvest (Bergbau- und Metallindustrie) oder DTEK (Energie, erneuerbare Energie).
Bauvorschriften für ausländische Firmen wurden vereinfacht
Ausländische Unternehmen und Organisationen, die in der Ukraine über eine ständige Niederlassung tätig sind, können künftig bis zum Ende der Geltung des Kriegsrechts das Recht zur Ausübung von Bautätigkeiten erwerben. Die Änderung des Beschlusses Nr. 314 vom 13.3.22 bezieht sich auf den Bau von Anlagen der bisher lizenzpflichtigen Klassen CC2 und CC3. Berechtigte Unternehmen erlangen nunmehr das Recht zur Ausübung der Bautätigkeit durch die unentgeltliche Abgabe einer Erklärung bei der Genehmigungsbehörde. Die Lizenzierung der Bautätigkeit ist für diesen Zeitraum entbehrlich.
Erstaunlich sind die regen Investitionsaktivitäten im Tourismussektor. Ungeachtet des Krieges sind bereits Ende 2024 mehrere ambitionierte Tourismusprojekte in Gang gekommen. Dazu gehört der Bau des Mega-Resorts GORO Mountain Resort in den Westkarpaten durch die ukrainische Okko-Gruppe. Auf 1.200 Hektar sollen innerhalb von 15 Jahren 25 Hotels mit 5.150 Zimmern, Skipisten und eine Gondelbahn errichtet werden. Das Investitionsvolumen wird auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt. Der Bau des ersten Hotels begann im Februar 2025. Größere Tourismusprojekte in der Westukraine (vor allem in der Region Iwano-Frankiwsk) verfolgen ferner die Ribas Hotels Group und die Perfect Group.
Weitere Investitionen werden im Logistiksektor erwartet. So ist erhebliches Wachstum auf dem Markt für Lagerimmobilien feststellbar. Verfolgt würden Pläne für die Errichtung von etwa 500.000 Quadratmetern Lagerflächen, so ein Bericht der Wirtschaftszeitung Delo. Das wäre der größte Neuzugang der vergangenen zehn Jahre. Die meisten neuen Logistikprojekte entstehen in der Westukraine, insbesondere in den Regionen Lwiw und Chmelnyzkyj, sowie in Kyjiw und Umgebung. Trotz des Rekordvolumens werde es weiterhin Mangel an hochwertigen Lagern geben, heißt es.
Zahlreiche Vorhaben in der Baustoffbranche
Einen Boom erlebt die Ukraine derzeit beim Bau neuer Produktionskapazitäten für Baustoffe. Die Investoren erwarten massive Nachfrage nach Baumaterialien, wenn der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, Wohngebäude und Industrieanlagen einsetzt. Mit Kapazitäten vor Ort kann dann bei ukrainischen Abnehmern gepunktet werden – auch wegen der Marktnähe und der Kostenvorteile, so das Kalkül. Die Rekonstruktion des Landes wird einen Bedarf an Baustoffen in Milliardenhöhe auslösen.
Ein Großteil der Investitionen im Baustoffsektor der Ukraine stammt von ausländischen Unternehmen, die sich eine gute Ausgangsposition auf dem Markt sichern wollen. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch ukrainische Investoren mit größeren Projekten dabei sind. Zu erwähnen wären dabei zum Beispiel die EFI-Gruppe des Geschäftsmanns Lisky oder die Kovalska-Gruppe. Trotz erheblicher Verluste infolge des Krieges investiert Kovalska in neue Produktionsanlagen, in denen zudem nach eigenen Angaben umweltfreundliche und innovative Technologien zum Einsatz kommen werden.
Unternehmen | Projekt/Standort | Investitionssumme *) | Kapazität/Details | Fertigstellung |
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Kingspan Group (Irland) | Bau eines Produktionskomplexes für innovative Baumaterialien in Lwiw | 280 | Sechs Produktionszonen, darunter für Isoliermaterialien und Heizlösungen | Erste Phase bis 2026 |
Saint-Gobain (Frankreich) | Bau eines Werks für Gipsmischungen in Iwano-Frankiwsk | 11 | Kapazität: 60.000 Tonnen/Jahr; Herstellung unter der Marke Rigips | Fertiggestellt (2024) |
Kreisel (Deutschland) | Werk für Trockenbaumischungen und dekorative Beschichtungen in der Westukraine | 12 | Finanzierung durch KfW-Bank | Inbetriebnahme läuft |
CRH (Irland) | Übernahme und Modernisierung von Zementwerken in Wolyn und Pivden-Cement | 100 | Modernisierung von Betonwerken in Odessa, Mykolajiw und Kamjanez-Podilskyjj | Laufend |
NovaSklo - EFI Group (Ukraine) | Bau eines Floatglaswerkes in der Region Schytomyr | 240 | Erstes Floatglaswerk in der Ukraine; Glas mit Spezialbeschichtung | Baubeginn 2026 geplant |
City One Development (Ukraine) | Bau zweier Glaswerke in Kyjiw und Westukraine | 100 (je Werk) | Kapazität: je 15 bis 16 Millionen Quadratmeter pro Jahr | Bau begonnen, Verzögerungen |
Knauf (Deutschland) | Zweites Werk für Gipskartonplatten und Baumischungen in Ternopil | 150 | Erste Phase: 30 Millionen Euro | Ende 2025 geplant |
Kovalska-Gruppe (Ukraine) | Porenbetonwerk und andere Anlagen in der Region Lwiw | Insgesamt 100, einschließlich Infrastruktur | Erste Phase: 50 Millionen Euro | Fertigstellung erster Phase im Sommer 2025 geplant |