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Wirtschaftsumfeld | Ukraine | Arbeitsmarkt

In der Ukraine wächst die Zahl der offenen Stellen

Der ukrainische Arbeitsmarkt erholt sich allmählich vom Schock des Krieges. Die Unternehmen stellen wieder Personal ein und die Löhne steigen in einigen Branchen deutlich.

Von Gerit Schulze | Berlin

Die Reallöhne in der Ukraine sind im ersten Kriegsjahr 2022 um etwa ein Fünftel gesunken. Das zeigen neue Zahlen des ukrainischen Statistikamtes. Demnach stiegen die durchschnittlichen Löhne im Land zwar nominal um 6 Prozent. Dem stand jedoch eine Inflationsrate von 26,6 Prozent gegenüber.

Für 2023 erwartet die ukrainische Nationalbank NBU laut Inflationsbericht von Januar einen Anstieg der Nominallöhne um 25 Prozent und real um 3,3 Prozent.

IT-Sektor und Banken zahlen am meisten

Die höchsten Gehälter zahlten auch 2022 der IT-Sektor sowie Banken und Versicherungen. Hier waren die nominalen Zuwächse mit bis zu 21 Prozent auch am größten. Überdurchschnittlich hohe Zuschläge bekamen 2022 außerdem die Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie im Groß- und Einzelhandel. Diese Branchen waren vergleichsweise wenig von Kriegshandlungen betroffen. Dagegen brachen die Löhne im Bausektor real gerechnet um über ein Drittel ein.

Durchschnittliche Bruttomonatslöhne in der Ukraine nach ausgewählten Branchen

Branche

Bruttolohn 2022 in Hrywnja

Veränderung zum Vorjahr (in %, nominal)

Landwirtschaft

12.200

4,3

Produzierendes Gewerbe

15.200

1,8

Bauwirtschaft

9.800

-13,4

Groß- und Einzelhandel

15.100

12,0

Transport und Logistik

13.700

-0,8

IT und Telekommunikation

30.800

20,8

Banken und Versicherungen

28.000

16,7

Öffentliche Verwaltung und Verteidigungssektor

20.800

9,0

Bildungswesen

12.000

1,5

Gesundheitswesen

14.000

18,4

Durchschnittlicher Jahreswechselkurs der Nationalbank NBU 2022: 1 Euro = 33,98 Hrywnja (UAH)Quelle: Ukrainisches Statistikamt Derzhstat 2022

Ungeachtet der Reallohnentwicklung hat der russische Angriffskrieg am ukrainischen Arbeitsmarkt für erhebliche Verwerfungen gesorgt. Das Wirtschaftsministerium schätzt, dass zu Jahresbeginn 2023 die Zahl der Arbeitslosen 2 Millionen betrug (ohne die ins Ausland Geflüchteten und ohne besetzte Gebiete). Weitere 2,7 Millionen Menschen würden gern aus dem Ausland in die Ukraine zurückkehren, wenn sie eine Arbeit fänden, sagte Wirtschaftsministerin Julija Swyrydenko. Die Zahlen unterscheiden sich stark von der offiziellen Arbeitslosenquote. Im Dezember 2022 waren bei den ukrainischen Arbeitsämtern nur 166.000 Menschen als arbeitssuchend gemeldet. Das war ein historischer Tiefstwert. Ein Jahr zuvor waren es noch 295.000.

Ein Viertel der Bevölkerung ohne Beschäftigung

Die Nationalbank NBU gab die durchschnittliche Arbeitslosenquote für 2022 mit 25,8 Prozent an (laut Berechnungsmethode der Internationalen Arbeitsorganisation ILO). Im Jahr vor dem Kriegsausbruch lag die Erwerbslosigkeit noch bei 9,8 Prozent. Für 2023 erwartet die NBU einen Wert von 26,1 Prozent; für 2024 von 20 Prozent.

Trotz dieser pessimistischen Prognose ist seit Sommer 2022 eine Belebung des Arbeitsmarktes zu verzeichnen. Immer mehr Unternehmen suchen neue Beschäftigte. Im Februar 2023 registrierte das Onlineportal Work.ua über 60.000 offene Stellen, so viele wie nie zuvor seit Ausbruch des Krieges. In einigen westlichen Landesteilen wie Transkarpatien, Tscherniwzi oder Lwiw gibt es jetzt mehr Jobangebote als vor der russischen Invasion.

Landwirtschaft und Einzelhandel suchen Personal

Arbeitskräfte gesucht werden besonders in der Landwirtschaft. Hier fehlen vor allem Fahrer für Traktoren und Mähdrescher. Außerdem stellen der Handel und das Gaststättengewerbe, sowie der Transport- und Logistiksektor Personal ein. Auch Maschinen- und Anlagenführer für Produktionsanlagen sind laut den Online-Stellenbörsen gefragt.

Nach Erhebungen des Kiewer Institute for Economic Research (IER) von Februar 2023 wollen etwa 89 Prozent der ukrainischen Unternehmen ihre Belegschaft in diesem Jahr stabil halten. Weitere 6 Prozent planen sogar Neueinstellungen.

Fachkräfte sind schwer zu finden

Für die Arbeitgeber wird es dabei immer schwerer, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Im Februar 2023 gaben 27 Prozent der Unternehmen an, Probleme bei der Suche nach neuen Beschäftigten zu haben. Auch ungelernte Hilfskräfte stehen am Arbeitsmarkt nicht immer zur Verfügung, gab jede fünfte Firma bei der Umfrage an.

Experten warnen bereits davor, dass die russische Invasion den Aderlass bei Spezialisten zu einem Dauerproblem werden lässt. Das Kiewer Zentrum für Wirtschaftsstrategien (CES) schätzt, dass bis zu 2,7 Millionen Geflüchtete auch nach Kriegsende nicht in das Land zurückkehren könnten. Das beträfe vor allem junge, mobile und gut ausgebildete Fachkräfte.

Regierung subventioniert Beschäftigung von Geflüchteten

Daher ist es wichtig, dass die Ukraine das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpft. Seit April 2022 zahlt die Regierung Arbeitgebern, die Binnengeflüchtete einstellen, zwei Monate lang Subventionen in Höhe des Mindestlohns (6.700 Hrywnja, rund 173 Euro; Wechselkurs am 13. März 2023: 1 Euro = 38,74). Für 2023 sind dafür Mittel zur Beschäftigung von 23.000 Arbeitnehmern eingeplant.

Außerdem beschloss die Regierung am 10. Februar 2023 Ausgleichszahlungen für Unternehmen, die bestimmte Kategorien von Arbeitssuchenden einstellen. Dazu gehören alleinerziehende Elternteile, Waisen und kurz vor der Rente stehende Arbeitnehmer (zehn Jahre und weniger bis zum Renteneintritt). Arbeitgeber, die solche Personengruppen für mindestens zwei Jahre lang beschäftigen, bekommen ein Jahr lang die Sozialabgaben vom Staat erstattet.

Eine besondere Herausforderung für den Arbeitsmarkt wird die Integration von Menschen mit Behinderungen sein. Laut Sozialministerium haben derzeit nur 16 Prozent der Menschen mit Invalidität eine Beschäftigung. Das ukrainische Parlament berät daher zurzeit das Gesetzesprojekt Nr. 5344, das die Rechte von behinderten Menschen auf Arbeit stärken soll. Es sieht mehr finanzielle Anreizsysteme für Unternehmen vor, solche Arbeitnehmer zu beschäftigen. Durch die fortdauernden Kampfhandlungen steigt die Zahl der Kriegsversehrten in der Ukraine weiter an.

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